Hoher Besuch: Honorarkonsul Hans Prayon (links) empfängt den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl bei einem Brasilienbesuch
Foto: privat
Ich habe einige solcher Geschichten erlebt. Wenn man 31 Jahre lang Honorarkonsul ist, hört man viel. Meine Söhne sagen immer, dass ich ein Buch schreiben sollte. Ich habe so viele Menschen getroffen, darunter viele Persönlichkeiten. George Bush, den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und den Altbundespräsidenten Walter Scheel, der für mich ein guter Freund geworden ist. Das ist aber nicht der Grund, warum ich Honorarkonsul geworden bin: Ich will Vermittler zwischen den Mentalitäten sein. Wer als Deutscher nach Blumenau kommt, muss keine Sorgen haben. Der Brasilianer ist ja unheimlich locker. Man ist schnell ein „grande amigo“, ein guter Freund und gleich per Du. Das kennen Deutsche nicht. Ansonsten kommt man als Deutscher gerade hier in Blumenau, wo viele deutschstämmige Brasilianer leben, gut mit der Mentalität zurecht. Ich kann ja wie viele Deutsche ohne Arbeit nicht auskommen. Der Deutsche lebt nun mal, um zu arbeiten. Das ist eigentlich das Gegenteil vom Brasilianer, aber hier in Blumenau arbeiten alle gerne. Und die Beamten nehmen hier die deutsche Mentalität ernst. Ich kann deshalb Mittelständler und Studenten nur dazu aufrufen, in unseren Bundesstaat zu kommen. Allerdings sollte man mindestens Englisch sprechen. Am besten Portugiesisch. Denn obwohl Blumenau einst 1850 von dem deutschen Apotheker Hermann Blumenau gegründet worden ist, sprechen nur 5 Prozent Deutsch.
Und man sollte wissen: Im Juli ist es hier verdammt kalt. Das glaubt man gar nicht, wenn man an Brasilien denkt. Wir haben hier dann so 13 Grad – aber keine Zentralheizungen in unseren Häusern. Ansonsten erhält man hier eigentlich alles. Oft sind allerdings importierte Waren um 100 Prozent teurer als in Deutschland. Das einzige, was es hier in Blumenau nicht gibt, ist süßer Thomysenf und Thomy Meerrettich mit saurer Sahne.
Als Konsul habe ich mich oft mit Staatsangehörigkeitsfragen beschäftigt. Oft kamen Leute zu mir, die sprachen fließend Deutsch, wollten den deutschen Pass und ich musste ihnen erklären, dass sie keine Chance haben. Wer zum Beispiel vor 1914 ausgewandert ist und sich nicht innerhalb von zehn Jahren in den deutschen Konsularmatrikel eingetragen hat, verlor die Staatsbürgerschaft. Das haben wir Bismarck zu verdanken. Das muss man den Leuten dann klar machen und das ist hart. Dann gab es mal die Regel: Wer nach dem 31.12.1975 geboren wurde und eine deutsche Mutter hat, bekommt die Staatsangehörigkeit. Und ich kannte eine Familie, in der dann zwei Söhne Deutsche werden konnten, während der Älteste leer ausging. Obwohl gerade der sich so darauf gefreut hatte. In Brasilien ist das anders. Wer hier geboren wird, ist Brasilianer. Und selbst, wenn man mal mit Behörden Ärger hat, gibt es „Jeitinho“. Das bedeutet soviel wie: Wo ein Wille, da kann man einen Dreh machen.
Erlebt habe ich hier als Honorarkonsul wie gesagt viel. Eines Tages kommt ein junger Deutscher, so 25 Jahre, und will mich sprechen. Er war ziemlich zugerichtet: Hemd aufgerissen, Stichwunden am Körper. „Was soll denn das?“ denke ich mir. Er sagt mir, dass er oft überfallen wird. Dann gibt er mir zwei Sparbücher und bittet mich, diese aufzubewahren. Ich sage: „Selbstverständlich, ich habe ja einen Safe“.
Zehn Tage später. Mittags, Anruf von der Polizei. „Herr Konsul, kennen Sie den soundso? Den haben wir in Sicherungsverwahrung genommen“, sagt der Polizist. Ich komme auf die Polizeiwache. Halbtot liegt er da, so was von fertig, dass ihn nicht mal das Hospital aufnehmen will. Und dann klärt sich alles auf: Er wird nicht dauernd überfallen, sondern er provoziert im Suff dauernd Streit. Und wird deshalb oft verprügelt. Dann wird es richtig kurios: Er will nämlich bleiben. In der Zelle der Polizeibehörde. Um sich zu erholen.
Einen Monat später klingelt das Telefon. Am Apparat: Der Polizeichef. Und fragt mich, was er jetzt mit dem jungen Mann machen soll. Ich sage: „Um Gottes Willen, ist der immer noch da?“. Ja, sagt der Polizeichef. Und erzählt, wie nützlich sich der junge Deutsche mittlerweile macht. Der fegte alles, machte alles, was sonst an den Polizisten hängen blieb. Ich habe mich dann natürlich darum gekümmert, ihn ans Generalkonsulat zu vermitteln. Jedenfalls, das klappte dann. Doch das war noch die Sache mit dem Koffer, den er noch holen musste. Aus einem Puff. Um Gottes Willen, denke ich mir – ich kann doch nicht in den Puff. Ich fahre also mit einem Polizisten hin. Halte davor an, hupe, die Puffmutter kommt vor die Tür und sagt dann: „Herr Prayon, wie geht’s Ihnen?“. Der Polizist musste natürlich denken, ich sei da Stammgast. Dabei kannte mich die Frau nur, weil ich in Blumenau durch meine Tätigkeit als Unternehmer und Honorarkonsul überall bekannt bin wie ein bunter Hund.
Diese Geschichte mit dem Mann, der einen Herzinfarkt auf dem Flughafen bekommen hat, führte übrigens noch zu einem richtig erfreulichen Erlebnis. Meine Aufgabe war es nun, der früheren deutschen Ehefrau und den Kindern Bescheid zu geben. Die Ehefrau wohnte nun im Landkreis Freising bei München. Als ich alle informiert hatte, musste ich noch klären, wer das bezahlen soll. Plötzlich habe ich während meiner Recherchen eine Stimme am Telefon, die mir bekannt vorkommt. Die Stimmt meint: „Ich kannte mal einen Hans, den ich vor drei Jahren auf dem Oktoberfest getroffen habe“. Ich sage, dass ich mal einen Soundso kannte, den ich vor drei Jahren dort getroffen habe. Er: „Bist du nicht zufällig…Hans Prayon?“ Ich daraufhin: „Zufällig nicht, ich bin’s“.