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Homophobie auf dem Schulhof
"Ich habe erkannt, dass mein Leben unter Menschen nicht mehr einfach sein wird. Weil ich zu sehr von ihrem ruhigen Leben abweiche", singt die französische Band Indochine bei ihrer Single „College Boy“. Das Lied ist ihr Zeichen gegen Homophobie, gegen die täglichen Anfeindungen großer und kleiner Art, denen Homosexuelle in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Das Musikvideo spitzt die Aussage zu: Ein schwuler Schüler wird von seinen Klassenkameraden erst mit Papierkugeln beworfen, dann angepinkelt, gekreuzigt und mit Maschinengewehren durchlöchert. Die anderen Schüler tragen Augenbinden, filmen die Szenerie aber mit Handykameras.
http://www.youtube.com/watch?v=Rp5U5mdARgY
Das Werk des franko-kanadischen Regisseurs Xavier Dolan trifft einen empfindlichen Nerv: Seit Beginn der Debatte über die Einführung der Homo-Ehe, der „Ehe für Alle“, ist in Frankreich ein neues Bewusstsein für Homophobie erwacht. Das Video verteilt sich über Facebook und Twitter, wurde allein auf YouTube in zehn Tagen mehr als 800 000 Mal angeschaut. Für die gezeigte Gewalt wird das Video in Frankreich kontrovers diskutiert, bei manchen Sendern zensiert. Auch die oberste Medienbehörde Frankreichs, der Conseil supérieur de l’audiovisuel, fordert, dass das Video zwecks Jugendschutz erst ab 22 Uhr im Fernsehen gezeigt werden darf. Dazu hat der Regisseur Xavier Dolan eine klare Meinung: „Wenn man die unterschwellige Gewalt der Demonstrationen (gegen die Ehe für Alle) und die meines Videos vergleicht, ist das letztere wie eine Märchengeschichte für Kinder“, sagte er der Zeitung LeFigaro.
Tatsächlich ist in Frankreich die Zahl der dokumentierten homophoben Handlungen in die Höhe geschnellt. So registrierte zum Beispiel die französische Organisation „SOS Homophobie“ im Jahr 2012 30 Prozent mehr Anrufe von Opfern homophoben Verhaltens im Vergleich zum Vorjahr, in den ersten Monaten dieses Jahres sind es sogar drei Mal so viele Beratungsgespräche wie im Frühjahr 2012. „Das ist eine direkte Folge der gesellschaftlichen Debatte, die Leute nehmen Homophobie bewusster wahr“, sagt die Präsidentin der Organisation, Elisabeth Ronzier. Betroffen sind alle Landesteile und alle Altersgruppen, auch wenn sich die Zahl der Teenager, die sich bei „SOS Homophobie“ gemeldet haben, besonders deutlich gestiegen ist. Deswegen hat Ronzier auch eine klare Meinung zum umstrittenen Musikvideo: „Es ist brutal, aber notwendig, weil mit dem Video vielleicht Jugendliche erreicht werden, die wir normalerweise nicht erreichen.“
Obwohl das Gesetz zur Einführung der Homo-Ehe längst beschlossen wurde und es noch in diesem Monat rechtskräftig werden sollte, regt sich noch immer Widerstand: Am 26. Mai wollen die Gegner der gleichgeschichtlichen Ehe erneut eine Großdemonstration veranstalten. Der Protest gegen die Gleichstellung Homosexueller mobilisiert seit Beginn der Debatte und ist ungebremst emotionalisiert. Die Gegner kommen aus allen Teilen des Landes zu den Großdemonstrationen und setzen die Homo-Ehe mit Werteverfall gleich. Obwohl sich weite Teile der Bewegung nicht als homophob einstufen lassen wollen, steckt hinter den vorgebrachten Argumenten der glücklichen „Mutter, Vater, Kind“-Familie aber klar eine schwulenfeindliche Einstellung, meint zum Beispiel der Autor des „Wörterbuchs der Homophobie“ Louis-Georges Tin gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung. Er umschreibt das Auftreten der Gegenbewegung als „verschämte Homophobie“, die sich ihrer Unzeitgemäßheit bewusst ist und deshalb gezwungenermaßen tolerant auftritt.
Die Proteste gegen die Homo-Ehe sind schon an sich eine emotionale Belastung für Homosexuelle, sagt „SOS Homophobie“-Präsidentin Elisabeth Ronzier. Gleichzeitig sind sie auch der Aufhänger, durch den viele Homosexuelle erst realisieren, wie ihre Bekannten oder Kollegen wirklich zu ihrer Sexualität stehen. „Menschen, die man kennt und schätzt, fahren auf einmal zu diesen Protesten oder lehnen das Gesetz ab“, erklärt Elisabeth Ronzier. Gerade, wenn der Betroffene im Büro oder Freundeskreis nicht offen mit seiner Sexualität umgeht und die homophoben Kommentare noch ungefilterter ausfallen. Manche Gegner der Homo-Ehe sind sich ihrer deutlichen Lesben- und Schwulenfeindlichkeit aber auch nicht bewusst, sagt Ronzier: „Zum Beispiel die Aussage, dass Homosexuelle keine guten Eltern sind – manche meinen das vielleicht nicht böse, aber es verletzt.“
Klare Worte für die Protestbewegung findet auch Wilfred de Bruijn. Der Niederländer wurde von Fremden brutal zusammengeschlagen, weil er in seinem Wohnviertel in Paris mit seinem Freund Händchen gehalten hatte. Im Anschluss postete sein Freund das von blauen Flecken überzogene Gesicht von de Bruijn auf Facebook, das Foto erlangte eine traurige Berühmtheit. Zu der Nachrichtenagentur Associated Press sagte de Bruijn, wer in seinen Augen wirklich die Schuld für die gestiegene Homophobie trägt: die Köpfe der Protestbewegung, Frigide Barjot und der Bischof von Avignon Jean-Pierre Marie Cattenoz, auch wenn diese Gewalt oder Schwulenfeindlichkeit ablehnen und verneinen. „Mir hat nicht Frigide Barjot auf den Kopf geschlagen, der Bischof von Avignon hat auch nicht in den Straßen herumgelungert, um uns anzugreifen. Aber sie sind verantwortlich.“
Text: dorothea-wagner - Screenshot: YouTube