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Großes von der kleinen Schwester

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Schüchtern schaut sie drein auf den einschlägigen Pressefotos. Doch der Eindruck täuscht. Lianne La Havas ist nicht schüchtern, sie ist es zumindest nicht mehr. Sie lacht viel und herzlich, hat einen subtilen Wortwitz und eine liebenswert kindliche Art, die es leicht macht, sie zu mögen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass sie sich im Umgang mit fremden Leuten schwer tat. „Als Teenager war ich sehr in mich gekehrt“, erzählt sie im Interview anlässlich ihres Konzerts im Roten Salon in Berlin. „Ich musste mich wirklich überwinden, auf Menschen zuzugehen und den Mund aufzubekommen. Manchmal war es so schlimm, dass ich am ganzen Körper gezittert habe und mich kaum rühren konnte.“ Sie macht eine kurze, gedankenverlorene Pause. „Die Musik hat mir letztlich geholfen, diese alberne Angst vor Menschen zu überwinden.“  

Der Titel ihrer allerersten Single, die im letzten Jahr erschien, dürfte deshalb in vielerlei Hinsicht programmatisch für die 22-jährige sein. Sie heißt „No Room For Doubt“ und ist ein Duett mit dem amerikanischen Singer/Songwriter Willy Mason. Und tatsächlich scheint Lianne La Havas sämtliche Zweifel mittlerweile abgelegt zu haben. Kein Wunder, wird ihr doch von nahezu sämtlichen Musikmedien eine große Zukunft vorausgesagt. Druck verspürt sie deshalb aber nicht. Im Gegenteil: Dieser Umstand hat vielmehr etwas Beruhigendes. „Warum sollte ich auch Druck verspüren? Klar, ich stehe auf einigen dieser Listen von Newcomern, deren Namen man sich merken sollte. Aber letztlich ist das doch bloß eines: Ein riesengroßes Kompliment. Die Leute mögen offensichtlich meine Musik, und das ist toll. Das werde ich mir nun sicherlich nicht dadurch kaputt machen, in dem ich vor jedem Auftritt einnässe“, wirft sie ein – und macht sich stattdessen fast vor Lachen in die Hose.

  http://www.youtube.com/watch?v=pBCt5nfsZ30  

Lianne ist eine dieser Künstlerinnen, der man den medial prophezeiten Erfolg wirklich von ganzem Herzen gönnt. Und zwar nicht nur, weil ihr Debütalbum wirklich tolle Songs enthält wie das bereits erwähnte „No Room For Doubt“ oder den in New York entstandenen Titeltrack, sondern weil sie in dieser popmusikalischen Scheinwelt so angenehm ungekünstelt daher kommt. Nicht, dass die aktuelle Popmusik ansonsten nur trällernde Plastikbarbies und aufgehübschte Aufziehpuppen zu bieten hätte, aber Lianne macht es einem unglaublich leicht, ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Es gibt keinerlei Barrieren oder Stufenunterschiede zwischen Künstlerin und Konsument, und das soll es auch gar nicht. Wenn sie sich auf einem Song wie „Forget“ über ihren Exfreund auslässt oder man sie in „Age“ über den Altersunterschied zu ihrem aktuellen Freund singen hört, dann hat man eher das Gefühl, mit der kleinen Schwester auf dem zerknautschen Second-Hand-Sofa ihrer 4er-WG zu sitzen und einem Schwank aus ihrem turbulenten Studentenleben zu lauschen. Das macht sie greifbar. Und das weckt in einem das unmittelbare Bedürfnis, sie mal sanft in die Seite knuffen oder ihr den Kopf tätscheln zu wollen. Aber eben nicht, um ihr tröstenden Zuspruch zukommen zu lassen, weil sie ihr juveniles Leben nicht in den Griff bekommt, sondern weil die kleine Schwester mit ihrem Solodebüt und den darauf enthaltenden Geschichten so Großes vollbracht hat. Man verspürt Geschwisterstolz sozusagen.  

„Ich kann über nichts anderes singen als über das, was ich bin und was mich ausmacht“, erklärt Lianne – wohlwissend, dass sie mit dieser Herangehensweise alles andere als eine Exotin ist; das therapeutische Potenzial von Musik hat sie schließlich nicht als Erste entdeckt. Aber sie lässt einen im Gespräch offenherzig an den Auswirkungen der künstlerischen Auseinandersetzung mit ihrem Innersten teilhaben, wenn sie beispielsweise über das Beziehungsdesaster mit ihrem Exfreund spricht. „Wir haben alles untereinander geklärt, aber es gibt für mich keinen Grund, weiterhin mit ihm befreundet zu bleiben. Er hat seinen Zweck erfüllt in meinem Leben“, befindet die 22-jährige, die den Song („Forget“) auch schon mal performt hat, als der Geschasste bei einem Konzert zugegen war. „Im Anschluss an das Konzert hat er natürlich so getan, als ob ihn das Stück nicht kratzen würde, um sein Gesicht zu bewahren. Aber genau diese Scheißegal-Haltung war auch das Hauptproblem während unserer Beziehung.“  

Mit ihrem neuen Freund, besagtem älteren Mann, läuft es hingegen hervorragend. „Der ist natürlich mein größter Fan. Zu ihm habe ich nicht nur eine wahnsinnig emotionale, sondern auch eine sehr starke musikalische Verbindung.“ Und wenn man ihre augenzwinkernden Lyrics in „Age“ richtig versteht, scheint sie ihren aktuellen Lover auch weitaus besser im Griff zu haben als ihren Ex: „Is it a problem that he is so old, so long as he does what he’s told?“ Schwesterchen hat gelernt. Und wir sind stolz.  


„Is Your Love Big Enough?“ von Lianne La Havas erscheint am 13. Juli bei Warner.

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