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Fußball in Afrika: Zu Besuch bei Oliver Pochers Nationalmannschaft

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Es gibt nur einen Weg, in Sansibar nichts von Fußball mitzukriegen: Türen und Fenster schließen. Mit niemandem reden. Nie auf die Straße gehen. Denn irgendwo ist in Stone Town, der größten Stadt der Hauptinsel Unguja, immer Fußball: im Fernsehen. In den Playstation-Läden, in denen Jugendliche Fifa World Cup spielen. An den schwarzen Tafeln, die vor Häusern hängen und die Begegnungen des nächsten Spieltags der englischen Premier League ankündigen. Und in aller Munde. Es gibt sogar Männer, die bei der Hochzeit ihrer Schwester ein nahezu perfekt imitiertes Trikot des FC Liverpool tragen, importiert aus Thailand. Es gibt aber auch nur einen Weg, in Sansibar etwas von dem deutschen Fernsehkomödiant Oliver Pocher mitzukriegen, und der ist immerhin Sansibars Fußball-Nationaltrainer: Man muss die richtigen Leute treffen. Die richtigen Leute sind zum Beispiel die Nationalspieler oder die Vorstandschaft der Zanzibar Football Association (ZFA). Hassan dagegen, ein einfacher, aber nahezu allwissender Fußballfan, ist zum Beispiel der falsche. „Fußball berührt mein Herz“, sagt Hassan, der ein Anhänger des Teams AS Polisi ist, das an diesem Tag in Sansibars größtem Stadion in der afrikanischen Champions-League 0:2 gegen das tunesische Team Etoile Sahel verliert. Hassan kennt die deutschen, italienischen, englischen und brasilianischen Auswahlspieler, weiß, wer von ihnen kopfballstark ist, und wundert sich, wie es sein kann, dass es keinen Bundesligaklub aus Ostdeutschland gibt, wenn doch Spieler wie Michael Ballack oder Matthias Sammer dort geboren sind. Er hat eine Meinung zu Deutschlands Torhütern, er liebt Ronaldinho und findet, Didier Drogba, der berühmteste Spieler aus der Elfenbeinküste, der seine Nationalmannschaft bei der WM in Deutschland zum Erfolg führen soll, sei leider nur unwesentlich begabter als ein zweibeiniger Büffel. Er beschäftigt sich mit allem, was mit Fußball zu tun hat. Nur an der Frage nach Oliver Pocher scheitert Hassan. Weder er noch einer seiner Sitznachbarn hier im Stadium haben je von ihm gehört. Pro7 hat die Geschichte aufgebracht, Pocher sei Sansibars Nationaltrainer, als er sich 2005 für seine Sendung „rent-a-Pocher“ als Trainer mieten ließ. Und die Geschichte ist nicht wirklich falsch: „Oliver Pocher ist offiziell unser Nationaltrainer“, sagt Farouq Karim, der Vize-Präsident der ZFA. Aber inoffiziell amüsieren sich die Eingeweihten auf Sansibar durchaus, wenn sie hören, dass man in Deutschland dieser offiziellen Version folgt. Einer von den Eingeweihten ist Ali Fereji Tamim, der Präsident der ZFA, der Wimpel des Deutschen Fußball-Bundes und des AC Mailand in seinem Büro aufgehängt hat: „Nein, nein“, sagt er, „dieser deutsche Komiker“ – mit dem Namen muss man ihm helfen – „spielte nur vor der Kamera den Trainer“. Er macht Pochers Faxen nach, wie er die Spieler hierhin und dorthin dirigierte, und lacht über seine eigene Parodie. Aber dann diktiert er die Namen der anderen, der wirklichen Trainer ins Notizbuch: Abdulghan Msoma, Trainer. Selemani Mahmoud und Ali Bushir, Ko-Trainer. Oliver Pocher wurde von einem Berliner Filmteam nach Sansibar vermittelt. Alisan Saltik und Stephan Ottenbruch drehten dort einen Dokumentarfilm namens „Zanzibar like Paradise“. Es geht um Fußball darin, um die Bemühungen der ZFA, Mitglied des Fußballweltverbands Fifa zu werden. Saltik und Ottenbruch beschlossen, dieses Anliegen zu unterstützen. Sie initiierten die Webseite www.zanzibar-for-fifa-com, auf der Unterschriften für die Fifa-Aufnahme Sansibars gesammelt werden. Und sie fanden einen Weg, über Pro7 und Sponsoren an die Öffentlichkeit zu gehen. Pocher drehte auf Sansibar, dann flogen die sansibarischen Nationalspieler nach Deutschland, ließen sich Leopardenmuster auf die Köpfe färben und spielten in Hannovers Stadion vor Fernsehkameras gegen eine Auswahl von deutschen B-Prominenten. „Wir haben gute Kontakte nach Deutschland“, sagt Ali Fereji Tamim. Er zeigt sich dankbar für die Unterstützung durch das deutsche Filmteam. Die Fifa allerdings zeigte sich davon unbeeindruckt und lehnte das Aufnahmegesuch des Verbands ab. Ihren Statuten nach dürfen nur Verbände von anerkannt unabhängigen Staaten Mitglied werden. Darunter fällt Sansibar nicht. Sansibar bildet mit dem ehemaligen Tanganyika seit 1964 den Staat Tansania. „Damit erfüllt Sansibar die Mitgliedschaftskriterien einfach nicht“, sagt Andreas Herren von der Fifa. „Wir können ja nicht unsere eigenen Statuten umgehen.“ Farouq Karim von der ZFA sagt: „Das Problem ist, dass die Statuten der Fifa nicht die besondere Situation Sansibars respektieren.“ Und Mwinjuma Hassan Saadat, der Generalsekretär der ZFA sagt: Tansania und Sansibar, „wir sind zwei Nationen“. Zumindest empfindet er es so, weil Festland und Inseln bis einige Jahre nach Ende der Kolonialzeit nicht zusammengehörten; Sansibar ist lange Zeit ein omanisches Sultanat gewesen. So kommt es, dass Sansibar Mitglied des ostafrikanischen Fußballverbands werden konnte – schon vor Ende der Kolonialzeit –, aber bislang nicht Mitglied der Fifa werden durfte. Der gesamtafrikanische Fußballverband Caf hat Sansibar im Herbst die erst im Jahr zuvor verliehene Mitgliedschaft mit der Begründung gekündigt, wenn die Inseln nicht Fifa-Mitglied werden dürften, könnten sie auch nicht Caf-Mitglied sein. Sansibars Meister kann ab kommender Saison nun nicht mehr an der von der Caf organisierten afrikanischen Champions-League teilnehmen. Hinter Sansibars Fifa-Bewerbung steckt daher mehr, als Pro7 in ein Unterhaltungsprogramm packen kann. Oliver Pocher ist im Bemühen um die Mitgliedschaft, die dem sansibarischen Verband ein ernsthaftes Anliegen ist, nur eine kleine Randfigur. Und so wird er in Sansibar auch wahrgenommen: kaum. Denn es geht um noch mehr als sportliche Anerkennung und die 250000 US-Dollar im Jahr, die eine Fifa-Mitgliedschaft brächte. Es geht auch um die gefühlte Unabhängigkeit Sansibars vom Festland. Die Verantwortlichen der ZFA bestreiten zwar jeden politischen Hintergrund ihres Anliegens. Vor allem auf dem tansanischen Festland aber gibt es Stimmen, die einen Zusammenhang mit dem Wunsch sehen, den die auf Sansibar starke Oppositionspartei Cuf (Civic United Front) hegt: nach größerer Autonomie der Inseln. In eine Zahl gefasst, wäre das Ziel der ZFA Platz 206 der Fifa-Weltrangliste. Das wäre der letzte Platz. Für einige auf Sansibar wäre das wie der gefühlte Gewinn der Weltmeisterschaft. Doch ob politisch gemeint oder nicht: Für einige in Tansania wäre es auch irritierend.

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