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Funktioniert der Studiengebühren-Boykott? Ein Überblick, ein Interview
Fredrik Dehnerdt vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren war einer der ersten, die im November 2006 die Idee verkündeten, Studenten sollten die Gebührenzahlungen boykottieren. Folge für jeden, der nicht zahlt, wäre eigentlich die Exmatrikulation. Aber angenommen, ein Viertel oder ein Drittel aller Studenten würde boykottieren – würden die Hochschulen dann wirklich ein Drittel oder ein Viertel ihrer Studierendenschaft rauswerfen? Kaum, dachten die Initiatoren an den Unis. In den vergangenen drei Monaten fanden an vielen Hochschulen in den betroffenen Bundesländern Vollversammlungen statt, in denen auch sogenannte "Quoren" beschlossen wurden. An der Universität Freiburg zum Beispiel liegt das Quorum bei 25 Prozent. Das heißt, wenn mindestens 25 Prozent aller immatrikulierten Studenten die Gebühr auf ein Treuhandkonto überweist, ist der Boykott erfolgreich. Und dann? Dann bleiben die Gelder auf dem Konto, dann wird nicht überwiesen, dann verhandeln die Aktionskreise oder Vertreter der Studierendenschaft mit den Hochschulleitungen oder gar den zuständigen Ministern neu über die Studiengebühren. Druckmittel: Die eingesammelten Gebühren der boykottierenden Studenten. Wird das Quorum nicht erreicht, dann wandern die Gebühren sofort vom Treuhand- auf das Hochschulkonto.
Das dpa-Bild entstand bei einer Demonstration im Januar in Karlsruhe. Wie steht es zurzeit um die Boykott-Aktionen? Für die deutschen Hochschulen gibt es keine einheitlichen Rückmeldefristen, zu denen die Gebühren für das folgende Semester überwiesen sein müssen. Während man sich an der Fachhochschule Wilhelmshaven bis zum 2. Januar rückmelden musste ist an der Uni Karlsruhe noch Zeit bis zum 23. März. Trotz dieser Unterschiede zeichnen sich drei Trends ab: 1. Sehr boykottfreudig scheinen die Studenten in Baden-Württemberg zu sein. 2. An drei Hochschulen wurden die Quoren erreicht. 3. In Bayern ist der Widerstand gegen Gebühren offenbar am geringsten. An der Universität Bamberg hätten etwa 2.000 Studenten ihr Geld dem Treuhänder überweisen müssen. Getan haben das nach Angaben von studis-online.de – dort werden die Zahlen für alle Boykott-Hochschulen gerade laufend aktualisiert – nur etwa 280. Der Aktionskreis an der Münchener Universität hat bereits im Dezember beschlossen, erst zum Wintersemester 2007/08 einen Boykottversuch zu wagen. Bisher, so die Erklärung, sei die Widerstandsbasis noch nicht besonders groß. Aus Baden-Württemberg, genauer aus Karlsruhe, kamen hingegen die ersten Erfolgsmeldungen: An der Hochschule für Gestaltung, an der Kunstakademie und an der Musikhochschule der Stadt wurden Ende Januar die 30-Prozent-Quoren erreicht. Ein Motivationsschub für die Organisatoren, die Signalwirkung darf jedoch nicht überschätzt werden. An den genannten Hochschulen sind nur wenige Studenten eingeschrieben; um die Quoren zu erreichen mussten nur zwischen 100 und 124 Studenten ihre Zahlung verweigern. Weit aussagekräftiger ist, was sich an den großen Unis abspielt. Erreichen die Boykotteure dort die Masse der Studenten? Rike Sinder, 20, sitzt an der Universität Freiburg am Boykott-Telefon der Unabhängigen Studierendenschaft und ist guter Dinge. An ihrer Hochschule ist der 15. Februar 2007 der Einzahlungsstichtag. Soll das Quorum erfüllt sein, müssen bis dahin 5.500 Studenten jeweils 500 Euro auf das Treuhandkonto überwiesen haben, das der Rechtsanwalt Michael Moos verwaltet. Zusätzlich, so haben es die Boykott-Initiatoren im Vorhinein beschlossen, muss auch ein Baden-Württemberg-weites Quorum von 10.000 Gebührenverweigerern erfüllt sein. Rike, wieviele Studenten haben bislang auf euer Treuhandkonto eingezahlt? Bis Donnerstag 1.170. Das sind 585.000 Euro. Wir denken, dass es jetzt erst richtig ansteigt, weil die meisten erst kurz vor dem Stichtag überweisen. Wie sieht es an den anderen Hochschulen aus? In Karlsruhe haben die ersten das Quorum erreicht und auch in Stuttgart, Tübingen und Heidelberg sieht es sehr gut aus. Was passiert, wenn ihr Erfolg habt? Das Geld bleibt auf dem Treuhandkonto und wir denken, dass die Uni dann nicht exmatrikuliert. Gerade unsere Uni kann sich das nicht leisten. Bei uns wird 2007 groß gefeiert, wir werden 550 Jahre alt. Am Mittwoch gab es bereits ein Eröffnungskonzert zum Jubiläumsjahr, viele Prominente werden zu Veranstaltungen vorbeikommen. Da macht es sich nicht gut, wenn die Uni 25 Prozent ihrer Studenten exmatrikuliert. Mit diesem Druckpotential wollen wir dann über die Gebühren verhandeln. Unser Ziel ist: Alle Boykottierenden sollen von der Uni zurückgemeldet werden, ohne Gebühren gezahlt zu haben. Wie schätzt du den Rückhalt unter den Freiburger Studenten ein? Es gab eine Umfrage von zwei Soziologie-Studierenden gemeinsam mit einem Statistik-Professor. 480 Studenten wurden befragt. 46 Prozent gaben an, sich an einem Boykott beteiligen zu wollen. Wie reagieren die Uni-Verantwortlichen bei euch? Die Uni hält derzeit still. Aber unsere Plakate verschwinden immer schneller. Die Hausmeister sind sehr eifrig. Wir plakatieren mittlerweile in der Stadt. Was macht ihr, wenn ihr das Quorum nicht erreicht? Eventuell im Sommersemester nochmal boykottieren. Ansonsten konzentrieren wir uns auf die Klagen gegen die Studiengebühren. Die werden sich aber fünf bis sechs Jahre hinziehen. Rike Sinder studiert Jura, Politik und Islamwissenschaften