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Fundstück: Der Osama bin Laden von Bogotá und seine Bedeutung
Es gibt ihn ja in jeder Zeitung, den Panorama-, den Weltspiegel-, den Vermischtes-Teil. Auf diesen Seiten treiben frisch von einem eifersüchtigen Mißgünstling kastrierte Indonesier, 136-jährige Japaner und Stromausfälle im Nigerdelta ihr Unwesen. Von den Wetterunbilden in Tadschikistan, den Drei-Meter-Männern in der Mongolei und den beliebtesten Kindernamen und den Trennungen von siamesischen Zwillingen ganz zu schweigen. Diese Seiten sind ein Panoptikum des menschlichen Irrwitzes, aus dem man bisweilen auch etwas lernen kann. Denn manchmal scheint sich in diesen Momentaufnahmen, die im besten Falle eine schlechte Kneipenanekdote abgeben, auch ein Stück Lernenswertes über den Menschen im Allgemeinen und Besonderen zu verbergen. Immer wieder ist auf diesen Seiten vom Grusel des Alltags zu lesen, vom Schauder der Vergangenheit, vom geschmacklosen Umgang mit dem Verbotenen. Neulich hat ein Hotelier irgendwo auf dem Balkan eines seiner Gästezimmer mit einem Hitler-Portrait versehen. Einen Moment lang stockt einem der Atem und im nächsten Moment kommt man nicht umhin, über das Ikonenhafte am Bösen nachzudenken. Darüber, dass das Böse in der Geschichte immer wieder seltsam kenntlich und parodierbar und reproduzierbar ist. So, dass noch heute jeder miese Comedian nur zwei Finger unter die Nase schnallen muss und mit einem angedeuteten Schnarren ein "Hoho" aus seinem Publikum quetscht. So rutscht das Böse immer wieder ins Kabarett und ins Panorama sowieso. Diese Woche kam das nächste Beispiel dafür, dass dem Bösen und seiner ikonenhaften Darstellung ein angenehmer Grusel innewohnt. Anders ist es nicht zu erklären, dass man ratlos und doch fasziniert auf die Bilder von Fernando Aguirre starrt, die die Nachrichtenagentur Reuters aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá übermittelte. Der Kerl kleidet sich wie Osama bin Laden und patrouilliert allabendlich durch die gefährlichsten Slums von Bogotá. In der Hand hat er eine Spielzeugknarre und die Polizei findet das auch gar nicht schlecht: Aguirre berichtet den Polizisten von kleineren Vorfällen und darf deshalb auch mit seiner Spielzeugknarre umher marschieren.
Eine typische Panoramameldung, sicher. Aber die Bilder von diesem Mann wirken wie Kunst. Wie die absichtliche Vermischung von Wirklichkeit und Traum. Herr Aguirre ist Herr bin Laden. Der meistgesuchte Terrorist der Welt wird einen gedankenlosen Moment lang zum Gehilfen der Polizei von Bogotá. Ein seltsamer Traum von einer besseren Welt. Die falsche Wahrheit.
Text: peter-wagner - Fotos: rtr