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Full House in Greifswald
„Bei der Suche im Internet sah es noch gar nicht so schlimm aus“, erzählt Jens, „aber beim AStA hieß es dann: 500 bis 700 Studierende werden erst mal nichts finden. Das war schockierend.“ Jens, 24, beginnt in diesem Semester sein Humanbiologie-Studium in Greifswald. Bei der Suche nach einer Bleibe hat er die angespannte Wohnraumsituation in der vorpommerschen Hansestadt deutlich zu spüren bekommen. Die meisten Studiengänge in Deutschland beginnen mit dem Wintersemester. Darum sind im September und Oktober besonders viele Studienanfänger auf Wohnungssuche und sehen sich mancherorts einem Mangel an Wohnraum gegenüber. Am kritischsten ist es in den süddeutschen Universitätsstädten wie Heidelberg, Freiburg und Karlsruhe. Auch in Darmstadt, Köln und Bochum wird es knapp. Dass die Wohnungsnot jedoch auch den äußersten Nordosten erreicht hat, wissen die wenigsten. „Die maximale Anzahl an Studenten ist längst erreicht“, sagt Pedro Sithoe, Referent für Wohnen und stellvertretender Vorsitzender des AStA in Greifswald. An der Universität Greifswald gibt es zur Zeit etwa 12.000 Studierende – im Wintersemester 2000/01 waren es 7.100, kurz nach der Wende 3.000. Die Universität profitierte von der deutschen Einheit, lockte mit Werbekampagnen wie „Studieren mit Mehrwert“ und hat heute, vor allem im medizinischen Bereich, einen sehr guten Ruf. Doch der rasant ansteigenden Zahl neuer Studenten war und ist der Wohnungsmarkt nicht gewachsen. Der AStA hat bereits mit der Stadt und der örtlichen Wohnbaugesellschaft WVG verhandelt. „Die WVG stellt 60 weitere Wohnungen zur Verfügung, die abgerissen werden sollten. Das ist gut, aber es reicht noch nicht“, erklärt Sithoe. Der Abriss des städtischen Plattenbaubestandes verschärft die Wohnungsknappheit. Gleichzeitig verkauft die Stadt Grundstücke an private Anbieter, die dem AStA ein Dorn im Auge sind. Die Investorengruppe „Youniq“ hat im Frühjahr 2009 zwei Wohnheime fertiggestellt. Die Anbieter werben mit Lifestyle-Einrichtung, Studienberatung und Vergünstigungen bei diversen ansässigen Unternehmen. Für eine 29 Quadratmeter-Wohnung inklusive Küche und Bad zahlt man dort zwischen 365 und 405 Euro Warmmiete. Wer nichts günstigeres findet, mietet sich dort ein. „Wir versuchen, dagegen vorzugehen, indem wir auf unserer Homepage keine Angebote veröffentlichen, bei denen die Mieten mehr als 10 Euro pro Quadratmeter betragen“, erklärt Pedro Sithoe. Claudia Klasen, Abteilungsleiterin studentisches Wohnen des Studentenwerks, findet die privaten Angebote ebenfalls problematisch. „Studenten können sich die Mieten oft nicht leisten“, sagt sie, „außerdem müssen sie sich auf einen fraglichen Mietvertrag einlassen.“ Bei „Youniq“ gibt es angeblich ausschließlich Jahresverträge, sodass die Studenten erst dann kündigen können, wenn das nächste Wintersemester und damit erneuter Wohnungsmangel ansteht.
Wohnungsnot ist in Studentenstädten immer wieder ein Problem, in den östlichen Bundesländern ist sie für viele aber noch eine neue Erfahrung. Das Bild stammt aus dem Jahr 2002. Damals protestierten Studenten auf dem Freiburger Rathausplatz für den Bau eines neuen Studentenwohnheims.
Doch warum stellt das Studentenwerk nicht selbst mehr Wohnraum zur Verfügung? „Wir bauen gerade zwei neue Wohnheime mit insgesamt 66 neuen Plätzen“, erläutert Klasen, „aber wir müssen wirtschaftlich denken. Jetzt ist der Bedarf da - doch wie sieht es in 10 Jahren aus?“ Das Studentenwerk stellt in diesem Semester etwa 250 Plätze zu Verfügung – für circa 1000 Bewerber. Claudia Klasen kennt die Verzweiflung der Erstsemester angesichts dieser Situation: „Viele weinen am Telefon, wir hören zu und beraten. Aber manchmal sind auch die Erwartungen zu hoch. Eine Zulassung geht schließlich nicht mit einem Wohnungsangebot einher.“
Christina, 23, studiert bereits seit 2006 in Greifswald. Auch damals war es nicht leicht, eine Wohnung zu finden. „Ich habe übers Studentenwerk gesucht und bin im Wohnheim untergekommen, einem Plattenbau am Stadtrand“, erzählt sie. Im zweiten Semester ist sie in eine der WVG-Wohnungen gezogen. Die privaten Angebote stellen für sie keine Alternative dar: „Die meisten älteren Privat-Anlagen sind schlecht gepflegt. In den neuen youniq-Wohnheimen hat sich meine Mitbewohnerin ein Zimmer angeschaut und war erbost, wie unpraktisch und schlecht das Mobiliar ist. Es ist offensichtlich, dass die einen abziehen.“
Die älteren Semester sehen das jährliche Wohnungs-Chaos mittlerweile gelassener. „Wenn man schon länger hier ist, lächelt man das weg und denkt sich ‚Die kommen schon unter.’“, erzählt Christina. „Viele Erstsemester haben einfach Panik und denken, sie müssten in der Turnhalle schlafen.“ Immer wieder kursiert in Greifswald das Gerücht von angeblichen Notunterkünften in Turnhallen. Manche Studienanfänger glauben daran und rufen sogar im Studentenwerk an, um nach einem Platz zu fragen.
Jens hat Glück gehabt: Seine persönlichen Favoriten haben ihm zugesagt und er kann sein neues WG-Zimmer beziehen. Wer bis zum Semesterbeginn noch keine Wohnung hat, findet vielleicht über die Couchsurfing-Börse auf der AStA-Homepage ein Sofa, auf dem er übernachten kann. Viele wohnen die erste Zeit in Jugendherbergen oder Pensionen. Ein Stuttgarter bat beim AStA um eine Stellplatz-Vermittlung für seinen Wohnwagen. Er muss darauf hoffen, dass sich die Lage bis Weihnachten entspannt hat, wie es Uni und Stadt versprechen – sonst könnte es für ihn ein harter Winter an der Ostsee werden.
Text: nadja-schlueter - Fotos: photocase.com/madochab; dpa