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Für den Magen und den Kopf
„In Burundi bist du jung, solange du nicht geheiratet hast.“ Der Mann, der das sagt, heißt Patrick. Er ist 26 Jahre alt, der Vorsitzende der Jugendgruppe von Busoni, einer Gemeinde im afrikanischen Burundi. Er lehnt am Kopfende des Plastik-Tischs. Roter Staub wirbelt durch die Luft, hier gibt es keine Straßen. Hier gibt es nur Wege, die sich durch trockene Bananen-Plantagen und an Hügeln entlang schlängeln. Seit Wochen hat es in Busoni nicht mehr geregnet. Wenn Patrick spricht, schweigen die anderen. Normale Jugendliche sitzen in der zweiten Reihe, Würdenträger in der ersten.
Rund 15 Jugendliche aus dem Ort haben sich versammelt, es ist Mittwochvormittag. Eigentlich müssten sie arbeiten – aber es gibt keine Arbeit. Ihre Eltern konnten die Probleme ihres Landes nicht lösen, bald sind sie an der Reihe. Aber eigentlich will niemand da bleiben. „Ich will nach Deutschland. Im Radio kommen nie schlechte Nachrichten von dort“, sagt Naorimana Hadj, ein junger Mann mit Hemd und Anzughose. Es ist die Kleidung, die er nur zu besonderen Anlässen trägt.
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Nadj und die anderen sitzen vor dem Versöhnungszentrum der Welthungerhilfe. Die deutsche Organisation hat es direkt gegenüber dem örtlichen Gefängnis aufgebaut, einem Raum mit Gitterstäben, in dem es nichts gibt außer Insassen, Dunkelheit und Schmutz. Im Fokus der Welthungerhilfe steht nicht nur die direkte Bekämpfung des Hungers in Burundi. Die Organisation hat den Aufbau des Versöhnungszentrums ermöglicht. Neben Jugendgruppen treffen sich dort auch verschiedene andere Vereinigungen der Stadt. In dem Zentrum berät sich zum Beispiel ein Versöhnungs-Komitee, das versucht, Streits zwischen Anwohnern zu schlichten. Eine Alternative zu den korrupten Richtern und dem bestechlichen Justizsystem Burundis.
Patricks Jugendgruppe spricht nur selten über Korruption und Gewalt. Was ihn interessiert, ist die Zukunft. Burundi wäre gern fortschrittlich, würde gern boomen, ein Vorbild in Afrika sein. Ein Wunsch, der blasser wird, je öfter man ihn träumt.
Wer etwas über das Leben junger Burunder erfahren möchte, sollte ihnen lieber keine Fragen stellen. Er sollte sich Fragen stellen lassen. Die klingen so: „Was ist den Deutschen im Leben am wichtigsten – natürlich nach Gott und ihrer Familie?“
„Wie viel Geld muss ich besitzen, um eine deutsche Frau zu heiraten?“
„Urteilen die deutschen Richter wirklich gerecht?“
„Wie viel Hunger gibt es in Deutschland?“
Burundi hat nur rund 10 Millionen Einwohner, die genaue Zahl kennt niemand. Ein winziger Punkt im riesigen Afrika. Zum letzten Mal geriet das Land 2011 in die Nachrichten, als über 30 Menschen bei einem Massaker in der Hauptstadt Bujumbura ums Leben kamen. Einem durchschnittlichen Europäer fallen genau drei Dinge ein, wenn er an Burundi denkt: Gewalt, Hunger – oder gar nichts. Nur in vier Ländern der Welt wird der Hunger als „extrem alarmierend“ eingestuft. Burundi liegt auf Platz zwei einer Liste, auf der kein Land stehen möchte. Würde Burundi versuchen, von „extrem alarmierend“ auf „alarmierend“ herabgestuft zu werden, müsste es sich 10 Punkte auf der Welthunger-Skala verbessern. 10 Punkte, das entspricht dem Unterschied zwischen Thailand und dem Sudan. Und die Situation verschärft sich weiter. Während immer weniger Wasser zur Verfügung steht, wäBerchst die burundische Bevölkerung unaufhörlich.
Annette Oelßner sitzt in ihrem weißen Jeep und wirbelt Staub auf. „No Weapons, don´t shoot!“, steht an der Tür. Wir wollen Euch doch nur helfen, ist damit gemeint. Wenn ihr Fahrer hupt, springen die Menschen auf der Straße vor ihr zur Seite. Hupen sind die burundischen Ampeln. Denn Verkehrsregeln kennt man hier nicht, es gibt sowieso fast nur Fahrräder. Seit elf Jahren arbeitet die Deutsche für die Welthungerhilfe in Burundi. „Wenn man in Deutschland an Hunger denkt, hat man Bilder von Flüchtlingslagern vor sich, in denen die Menschen in langen Schlangen auf die Ausgabe von Lebensmitteln warten“, sagt sie, gegen den Lärm ihres Fahrzeugs ankämpfend. „Aber hier in Burundi hungern die Menschen nicht nur in Dürreperioden. Hier ist der Hunger Normalität, er ist immer da.“ Am Straßenrand hängen grüne Bananen an den Stauden, doch sie sind zu klein, um davon zu leben. Das ist das Paradoxe: Es gibt Wasser, es gibt Früchte. Würde Burundi lernen, die vorhandenen Ressourcen sinnvoll zu nutzen, so sagen Experten, könnte es seine Hungerprobleme lösen. „Der Kopf ist genauso wichtig wie der Magen“, erklärt die Welthungerhilfe-Mitarbeiterin Annette Oelßner das Konzept. Brunnen zu bauen helfe nicht, wenn das Wasser verschwendet oder geklaut werde. Seit die Welthungerhilfe warmes Essen in den Schulen verteilt, wächst die Anzahl der Kinder, die in die Schule gehen, stetig. Die Kinder essen dort die neu gezüchteten Maniok-Sorten, die bislang noch weitgehend unbekannt sind. Bald werden die einstigen Schüler selbst Mütter und Väter sein und ihr Wissen umsetzen, hoffen die Entwicklungsarbeiter.
Seit zwei Stunden sitzen die 15 jungen Männer und Frauen im Versöhnungszentrum im Halbkreis. Sie sind bei einem heiklen Thema angelangt: Eltern werden. „Ich hätte gern eine Frau, die keine Probleme macht und ordentlich mitarbeitet“, sagt einer der Jugendlichen. Elisabeth Nabarushimana lacht. Sie hat andere Vorstellungen: „Ich will einen Mann, der mich als gleichberechtigte Partnerin ansieht und seine Gedanken mit mir teilt“, sagt sie. Elisabeth Nabarushimana ist ein Mensch, der die Dinge gern anpackt. Die 20-Jährige spielt Fußball. „Und zwar um den Männern hier zu zeigen, dass ich das genauso gut wie sie kann.“ Wenn sie davon erzählt, spricht sie mit gefasster Stimme. Ihr ist egal, ob sie von den Männern neben sich ausgelacht wird. Die junge Frau will Kinder, will eine Familie. Vor allem will sie in Burundi bleiben. „Ich möchte helfen, unser Land aufzubauen“, sagt sie. 14 junge Gesichter sind auf sie gerichtet. Keiner der Jugendlichen sagt etwas. Schließlich durchbricht die Stimme einer 18-jährigen Schülerin die Stille. „Ich möchte nach Italien. Dort soll es gutes Essen geben!“
Die Welthungerhilfe lädt anlässlich ihres 50. Geburtstages am 23. und 24. August circa 16 junge Menschen zum Think Tank „Young Searchers Unlimited" nach Berlin ein, um gemeinsam frische Perspektiven und Ideen rund um die Themen Entwicklungszusammenarbeit, globale Verantwortung und die Aktivierung unserer Gesellschaft zu entwickeln. jetzt.de wird darüber berichten.
Text: rick-noack - Fotos: Oscar Lebeck