- • Startseite
- • Redaktionsblog
-
•
Friseur-Montag und Kellner-Silvester: Berufseigenarten
Blauer Montag
Der berühmte arbeitsfreie Werktag verbindet gleich mehrere Berufsgruppen, auch wenn er im Zeichen der Bruttosozialproduktssteigerung zunehmend an Bedeutung verliert. Viele moderne Berufsmythen sind an den Montag geknüpft, die meisten basieren auf Sitten und Bräuchen, die so alt sind, dass kaum jemand mehr so richtig durchsteigt. Die einen sagen, der Montag sei besonders für mittelalterliche Handwerksgilden und –zünfte ein traditioneller Tag des Müßiggangs gewesen, andere vertreten die Erklärung, es habe sich ursprünglich nur um den kirchlichen Fastenmontag gehandelt, der später einfach auf alle Montage des Jahres erweitert wurde. Fest steht: Wer montags gerne frei hat, sollte Friseur/in werden. Friseure müssen oft ihren Samstag dem Styling von Wochenend-Partygängern opfern und holen sich montags den verlorengegangenen freien Tag zurück (obwohl man selbst in dieser Branche mittlerweile nicht mehr auf montägliche Erträge verzichten mag). Weitere Möglichkeiten sind: Museumswärter (Ausstellungen sind häufig montags geschlossen, weil kaum Besucher - oder nur Friseure - kommen) - und Geistlicher.
11 Uhr Tee
Eine mit Vorsicht zu genießende Sitte aus dem Bauhandwerk, die von Region zu Region unterschiedliche Namen und Ausprägungen hat. Du erwägst, dir ein paar Euro auf dem Bau dazu zu verdienen? Dann mach dich darauf gefasst, dass du hinterher große Schmerzen und eine große Leber haben wirst. Gehörst du nicht zu den Gesellen, Meistern oder ausgebildeten Fachhandwerkern, dann heißt deine Position: Stift. Seine Aufgaben beschränken sich auf die Bereiche "Schleppen" und "Bierholen". Weil die bauhandwerkliche Arbeit schon im Morgengrauen beginnt, findet die Mittagspause meist gegen elf Uhr statt. Dazu gehört der traditionelle Elf-Uhr-Tee, eine irreführende Bezeichnung für die erste Halbliterflasche Bier, auf die der unerfahrene Stift nicht vorbereitet ist. Vom Schutt Schleppen ganz durstig, stürzt er die kühle Erfrischung eilig hinunter, den zotigen Bemerkungen seiner vorgesetzten Kollegen lauschend. Plötzlich fällt ihm das Schleppen und Treppensteigen viel leichter. Für etwa eine halbe Stunde. Dann folgt ein Gefühl der Schwere, das den jungen Mitarbeiter bis zum Abend nicht mehr verlassen und in Kombination mit den Rückenverspannungen für einen komatösen Tiefstschlaf sorgen wird.
Die Urlaubspause
Wenn man ehrlich ist, ist dieser kurze Zwangsurlaub keine Eigenart der Piloten- oder Fernfahrerbranche. Auch wenig reisende Lohabhängige sind laut Gesetz angehalten, Ruhezeiten einzuhalten. Oft hält sich der Kaffee-Verkäufer oder Zeitungs-Austräger jedoch nicht daran, zwischen Ende der einen und Beginn der anderen Tätigkeit eine mehrstündige Pause einzuhalten (vom einen Tag auf den nächsten). Bei Berufen jedoch, bei denen das Wohlergehen anderer sehr eng davon abhängt, dass der Pilot, Fahrer oder Steuermann nicht vor Müdigkeit wegkippt, legt der Gesetzgeber großen Wert darauf, dass der Pilot, Fahrer oder Steuermann Ruhepausen einlegt. Ganz egal, wo er oder sie gerade ist: Alos kann man als Pilot, Fahrer oder Steuermann durchaus mal in Australien, auf Mallorca oder in New York zu einer Zwangspause genötigt werden. Wenn schlecht läuft, aber auch am Camener Kreuz.
Der Feiertag vor dem Feiertag
Tagesmedien sind eine prima Sache, weil sie einen jeden Tag aufs Neue mit spannenden Informationen versorgen. Aber natürlich muss es dafür Menschen geben, die diese Informationen jeden Tag für den kommenden Tag einsammeln und aufschreiben. Man ahnt es: Die Rede ist von Journalisten. Während das völkische Gros büßt und betet, trauert, weihnachtet oder himmelfährt (vatertagt), sich also im Klartext einen staatlich verordneten Lenz macht, muss sich irgendjemand darum kümmern, dass am Tag nach dem freien Tag eine mit brandaktuellen Informationen vollgestopfte Tageszeitung erscheint. Am Tag davor hingegen ist Informationensammeln nicht so wichtig, weil am folgenden Feiertag ja sowieso keine Zeitung erscheint. Deswegen haben viele Journalisten am Tag vor einem Feiertag ihren eigenen Feiertag – sie nennen ihn daher passend: Journalistenfeiertag.
Akademisches Viertel
Eine der absurdesten Gepflogenheiten im akademischen Berufsleben überhaupt. An nahezu jeder Universität Deutschlands kann man jedes Semester aufs Neue erleben, wie sich dicke schwarze Fragezeichen über dem Kopf von beginnenden Erstsemestern abzeichnen, wenn sie das erste Mal einen Blick in ihr Vorlesungsverzeichnis werfen. "Schlüsselexperimente der Teilchenphysik", steht da, "Prof. Kreusch, Audimax, Beginn: 9:00 Uhr c.t.". C.T.? Der Neuling rätselt. Ist das eine Zeitzonenbezeichnung, vielleicht für Internet-Fernstudenten? Oder heißt das was anderes, vielleicht "codierter Text" oder "changierendes Thema"? Erst wenn man die Viertelstunde vor dem Veranstaltungsort brav (und allein) abgesessen hat, begreift man, dass es sich um eine eingeplante Verzögerung des Veranstaltungsbeginns um 15 Minuten handelt. Man findet zwei verschiedene Erklärungen für diese Sitte. Erstens: Ein zusätzliches Zeitfenster, das Studierenden ermöglichen sollte, zwischen zwei Lehrveranstaltungen die Räumlichkeit zu wechseln, ohne Stoff zu verpassen, zweitens: Eine Option, die ersten 15 Minuten den Stoff der letzten Vorlesung zu wiederholen. "C.t." steht für das lateinische cum tempore, zu deutsch: mit Zeit. An gewissenhaften Unis findet man im Vorlesungsverzeichnis bei Veranstaltungen, die zur vollen Stunde beginnen, den Zusatz "s.t." (sine tempore = ohne Zeit).
Alternativ-Jahreswechsel
Silvester und Weihnachten sollte man eigentlich mit Freunden und Familie verbringen. Wenn man in d er Gastronomie arbeitet, wäre man aber schön doof, sich ausgerechnet dann frei zu nehmen. Denn wer kann, sollte an den höchsten Feiertagen arbeiten, wenn sich alle Chefs die Finger nach dir ablecken und deshalb mitunter eine hundertprozentige Lohnerhöhung herausspringt. Erfahrungsgemäß sind an diesen Tagen auch die Gäste ziemlich großzügig, was wiederum ein ordentliches Trinkgeld verspricht.
Trotzdem lässt es sich nicht leugnen, dass es ganz schön an den Nerven ziepen kann, wenn die Meute um dich herum Silvester feiert, sich den schönsten Rausch des Jahres antrinkt und du professionell-freundlich an deinem Leitungswasser nuckelst, wenn du überhaupt die Zeit dazu findest vor lauter Arbeit. Am Ende gehst du um 10 Uhr vormittags mit einem dicken Geldbeutel und schwarzen Augenringen nach Hause und bist wehmütig.
Für all diese armen Geschöpfe der Nacht gibt es das „Gastro-Silvester“, meist einen Monat nach dem Echten. Im Prinzip ist es nur eine Ausrede zu einer sehr ausgelassenen, sehr feuchten und sehr ausdauernden Party, denn das Thekenpersonal weiß am allerbesten, wie man so richtig feiert. Einziger kleiner Wermutstropfen: das Gastro-Silvester findet fast immer in sehr schlimmen Proll-Locations statt. Aber selbst die kann man sich schön saufen.
Text: henrik-pfeiffer - christina-waechter, dirk-vongehlen, Illustrationen: katharina-bitzl