Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Fremdenfeindlichkeit im Coolness-Pelz

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Auftreten
Basslastiger Sound zwischen Techno und Eurodance, der Lautsprecher in der Ecke des Bildschirms wummert im Viervierteltakt, aus seinem Zentrum schießen gelbe und weiße Pfeile im Graffiti-Stil. Eine Stimme ruft: „Das ist eine Kriegserklärung!“ Das Youtube-Video trägt den Titel „Identitäre Bewegung – Soundtrack“ und ist exemplarisch für das Auftreten dieser Bewegung. Sie verbreiten ihre Ansichten auf ihrer Internetseite, auf Facebook, Youtube und Twitter in jung-urbanem, zeitgemäßen Design. Ihre Ziele lassen sie von einer weiblichen Computerstimme aus dem Off sprechen, in etwa so wie die Hacker von Anonymous.
Ähnlich gehen die Identitären in der Öffentlichkeit vor. Sie wählen Aktionsformen wie Flashmobs, tanzen mit Kapuzenpullis zu Technomusik herum, tragen Masken, wie man sie von Demonstrationen der Occupy-Bewegung kennt. Sonderlich bedrohlich wirkt all das erst mal nicht.  

Screenshot aus einem Video der "Identitären Bewegung"

Slogans
Auch in ihren Slogans klingen sie oft zunächst harmlos. „Jugend an die Macht!“, heißt es dann, „Unser Weg führt nach Europa“ oder „Nicht links, nicht rechts, identitär“.  In Sprüchen wie „Heimat, Freiheit, Tradition“ oder „Multikulti wegbassen“ wird die Ausrichtung schon deutlicher – auch wenn letzterer wieder ein Motto aus der linken Protestkultur ist (Nazis wegbassen, Atomkraft wegbassen).  

Islamfeindlichkeit
Kernbotschaft der Identitären ist die Ablehnung der "Überfremdung" und vor allem der "Islamisierung" der Gesellschaft. Sie schüren Angst davor und geben vor, ihre Identität schützen zu müssen, „die heute durch den demographischen Kollaps, die Massenzuwanderung und die Islamisierung bedroht ist.“ Weiter heißt es: „Wir lieben unser Land und stehen zu unserer Tradition. Wir sind Patrioten. Als Patrioten können wir unser Heimat in der Stunde der Gefahr nicht im Stich lassen."    

Reconquista
Auf Plakaten und anderen Materialien der Identitären taucht immer wieder der Begriff „Reconquista“ auf. Er stammt aus Spanien und Portugal und bezeichnet die Zeit der Rückeroberung der Gebiete auf der Iberischen Halbinsel, die von muslimischen Eroberern besetzt worden waren. Passend dazu läuft einer der Youtube-Accounts, die Videos der Identitären verbreiten, auf den Namen Karl Martell. Er gewann im 8. Jahrhundert eine Schlacht, die gerne als entscheidende im Kampf der Europäer gegen die Mauren bezeichnet wird.    

Opferrolle
Die Identitären stellen sich gerne als Opfer der 68er dar, als die junge Generation, der die Eltern mit ihren linken Ansichten die Zukunft verbaut haben. „Entwurzelt und orientierungslos habt ihr uns in diese Welt geworfen, ohne uns zu sagen wohin wir gehen sollen, wo unser Weg liegt. Und alles was uns Orientierung hätte geben können, habt ihr zerstört.“ Diese Opferrolle ist natürlich praktisch: Ihnen ist etwas genommen worden, das sie sich jetzt nur rechtmäßig zurückholen müssen: Ihre Identität, ihren Frieden. Das sei nur gerecht, so die Argumentation, und wer darin gar rechtsradikale Absichten erkenne, habe Unrecht.    

Ethnopluralismus
Die Identitären propagieren eine Ideologie namens Ethnopluralismus. Pluralismus hört sich erst ja mal gut an. Auch das Bekenntnis zu Europa, das immer wieder bei den Identitären auftaucht. Nur ist eben kein Pluralismus gemeint, in dem verschiedene Kulturen, Ansichten und Meinungen sich vermischen. Sondern in dem jede einzelne Kultur bei sich selbst und ihren eigenen Werten bleibt. „ Wir wollen keine multikulturelle Gesellschaft, denn in ihr geht unsere eigene Kultur unter“, schreiben die Identitären. Die EU ist einer ihrer erklärten Gegner, sie wollen ein „Europa der Vaterländer“ – also eigentlich keines.    

Mitgliederzahlen
Die Zahl der aktiven Mitglieder ist nicht bekannt. Die Bewegung ist bislang ohnehin vor allem eine virtuelle, sie zeigt sich hauptsächlich im Netz. Dort aber mit einigem Erfolg. Seit dem Facebook-Beitritt der Gruppe sind sind knapp 40 lokale Gruppen mit eigenen Seiten entstanden, manche davon haben nur wenige Likes, manche mehrere Hundert. Die Seite der Identitären Bewegung Deutschland gefällt immerhin mehr als 2800 Facebook-Nutzern.  

Zielgruppe
Wer die Symphatisanten sind, lässt sich nicht sagen. Die Art und Weise des Auftretens richtet sich klar an latent fremdenfeindliche Jugendliche. Solche, die sich nicht als radikal bezeichnen würden, aber der Aussage, dass Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, wahrscheinlich zustimmen würden. Aber selbst wenn die Identitären immer wieder betonen, keine rechte Gruppierung zu sein, gibt es de facto zumindest Überschneidungen. Reporter von Radio Bremen haben bekannte NPDler und verurteilte Rechtsradikale bei den Identitären identifiziert, und auch der Bremer Verfassungsschutz hat festgestellt, dass viele Mitglieder ihnen als Rechtsextremisten bekannt sind.   

Ursprung
In Deutschland ist die Bewegung noch relativ jung. Auf Facebook wird die Gründung mit November 2012 angegeben. Das Vorbild stammt aus Frankreich, dort postete vergangenes Jahr die „Génération Identitaire“ ein Video mit einer deutlichen Botschaft gegen den Multikulturalismus. In Frankreich traten die Identitären auch schon mit einer größeren öffentlichen Aktion in Erscheinung. Im Oktober 2012 besetzten sie das Dach eines Moscheeneubaus, um Gegen Überfremdung zu demonstrieren.  

Das Zeichen Lambda
Auf Flaggen und Plakaten zeigt die Bewegung immer wieder ihr Zeichen, das, wenn es nach ihnen geht, „bekannter als Coca Cola“ werden soll. Es handelt sich um den griechischen Buchstaben Lambda – und ist eine weitere popkulturelle und geschichtliche Anspielung. Denn das Lambda war das Zeichen, das die Spartaner auf ihren Schilden trugen. Zur Erinnerung: Das waren die, die sich aufrecht, stolz und todesmutig einer Übermacht aus bösen Eindringlingen in den Weg stellte. Das Lambda ist auch in „300“, der Verfilmung dieser Geschichte, zu sehen.

  • teilen
  • schließen