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Flick dich

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  Soll in einem Film ein Lehrer oder ein gleichsam vom wilden Leben verschonter Charakter mit Hang zur Nostalgie dargestellt werden, behilft sich die Requisite gern mit Lederflicken am Ellbogen. Das kleine Accessoire trägt dann mehr zur Identifizierung des sympathisch-zerstreuten Wissenschaftlers bei, als aufwändige Bibliothekskulissen oder ein verstaubter Globus. Im echten Leben ist die wichtigste Aufgabe des Flickens meist nicht mehr die Kaschierung einer Schadstelle, sondern gezielte Herabminderung des Sakkos. Wer als Künstler oder eben Sozialkundelehrer nicht in den Verdacht allzu großer Geschniegeltheit geraten möchte, der gibt seinem Sakko damit einen Hauch von Understatement, Arbeiterklasse und verarmtem Landadel. Für sexy galt man allerdings bisher damit noch nie, sondern eher als der Tweed-Opa, dem nur noch die Tabakspfeife zur endgültigen Verschrobenheit abgeht. 

  Als Jungmensch mied man folgerichtig den Lederflicken oder trug ihn nur, wenn man sich seiner ironischen Ausstrahlung sicher war – auf dem Jackett aus dem Secondhand-Laden zum Beispiel und als Kontrast zur restlichen Durchgeknalltheit. Genau in diesem Kontext schlich sich der Flicken auch in den letzten Jahren immer mal wieder in die Kollektionen der Indie-Designer, als ironisches Detail, das am richtigen Arm die richtige Prise Nostalgie-Chic beisteuerte. 



  Das galt so bis zu diesem Winter, in dem eine Springflut von Lederflicken an die Ärmel von Jacken, Pullover und sogar Hemden wuchs. Die Herrenabteilungen gingen über vor „Lederapplikationen“, die oftmals gar nicht mehr aus Leder waren, sondern auch mal nur eine farblich oder mit Nähten abgetrennte Sonderzone am Gelenk. Mit dieser Pandemie wurde dem kleinen Lederstück sein letzter Rest Tweed-Charme genommen, denn eine In-Vitro-Ehrwürdigkeit gibt’s nun mal nicht. Vor etwa zwanzig Jahren riss man sich die Jeans selber auf, wenn man gerne etwas kaputter wirken wollte, als es die brave 501 hergab. Als Folge und bis heute tragen Jeans fabrikseitig eingestanzte Löcher und Sollbruchstellen an den Oberschenkeln und Thomas Gottschalk moderiert mit Vorliebe zwischen diesen Löchern. Das Jeansloch erfuhr also schon eine ähnliche modische Gentrifizierung wie der Lederflicken, allerdings kam die aus der anderen Richtung – die Alten nahmen sie den Jungen weg. Denn so arriviert und albern die zerrissene Jeans ist, es steckt in ihr immerhin eine ansatzweise radikale Botschaft, die von Konsumverweigerung, Anti-Establishment, Punk und dank der freigelegten nackten Haut auch ein wenig vom Sex flüstert.

  Als Generation aber, die sich in den letzten Monaten von H&M bis Hackett mit Lederflicken am Ellbogen einkleiden ließ, verbreiten wir damit heute höchstens die Botschaft einer behäbigen, doppelt genähten Zufriedenheit. Wir haben die Lederflicken den Alten weggenommen. Unser Geburtsfehler namens Retro-Reflex hat uns diesmal endgültig verraten: Ja, wir sind dem Tweed-Opa mental näher als dem Punk, dem Sicherheitsgurt selbstverständlich näher als der Sicherheitsverwahrung. Und? Was können wir dafür, dass die alte Eltern-Kind- Antithese bei uns nicht mehr funktioniert? Als Sprösslinge von Eltern, die Manufactum und Landlust zu Verkaufsschlagern machten, sollten wir die Lederflicken doch eigentlich mit rostigen Rasierklingen heraustrennen und gegen alles aufbegehren, was aussieht wie vom Hoflieferanten. Stattdessen adaptieren wir die Lederflicken so stolz wie mit dreizehn die erste Zigarette: Als Abzeichen des Erwachsenseins. Davon hat leider keiner was. Nur unsere Sozialkundelehrer mit ihren Original-Lederflicken, die lachen sich ins Fäustchen.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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