Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Faschismus im Klassenzimmer: "Die Welle" ist im Kino. So richtig gut ist der Film aber nicht

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Eine Schultheatergruppe, die an der Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame scheitert“ und ein Wasserball-Turnier, das verloren geht - ein Schüler schlägt seine Faust wütend ins Wasser. So beginnt der Kinofilm „Die Welle“. Was haben die beiden Episoden gemein? Das Scheitern. Es fehlt an Ordnung, an Teamgeist, an Zusammenhalt. Bei der Theaterprobe hält sich keiner an den Text, beim Wasserball-Turnier scheitert die Schulmannschaft am Pass-Spiel. Im Film ist diese Orientierungslosigkeit einer Gruppe junger Menschen, symbolisch in Szene gesetzt durch die beiden Anfangs-Episoden, fruchtbare Basis für die Entstehung von Autokratie.

Vorlage für den Film ist der gleichnamige Schullektüren-Klassiker von Morton Rhue. Sein Kultroman basiert auf einer wahren Geschichte, die sich 1967 an einer Highschool in Kalifornien zugetragen hat: Geschichtslehrer Ron Jones wird in einer Schulstunde mit der Frage konfrontiert, wie die Deutschen den Nationalsozialismus mit all seinem Schrecken mitmachen konnten. Jones startet einen Klassen-Selbstversuch, in dem die Schüler durch Disziplin und Autoritätshörigkeit zu einer Gemeinschaft geformt werden. Die Klasse reagiert mit Begeisterung auf das „Third Wave“-Projekt, das nach wenigen Tagen auf die gesamte Schule übergreift und nach einer Woche vom Lehrer abgebrochen werden muss. Regisseur Dennis Gansel („Mädchen, Mädchen“, „Napola“) hält sich weitgehend an die Romanvorlage, versetzt die Geschichte jedoch in das gut-bürgerliche Umfeld eines deutschen Gymnasiums. Jürgen Vogel spielt den sympathischen Lehrer Rainer Wenger, einen ehemaligen Hausbesetzer im „Ramones“-Shirt, der von seinen Schülern geduzt und geliebt wird. Es ist Tag eins der Projektwoche, Thema „Staatsformen“. Rainer ist die „Autokratie“-Gruppe zugeteilt worden. Die Stimmung in der Klasse ist bockig: „Nazi-Deutschland war scheiße. Langsam habe ich es auch kapiert“, rotzt es von den hinteren Bänken der Klasse. - „Ihr seid also der Meinung, dass ne Diktatur heute in Deutschland nicht mehr möglich wäre?“, fragt Rainer. Es ist der Auslöser für den Selbstversuch, der tragisch enden wird: Ab sofort heißt Rainer nicht mehr Rainer sondern „Herr Wenger“. Die Schüler müssen sich melden und aufstehen, wenn sie sprechen möchten. „Macht durch Disziplin“, heißt die Parole, und wer nicht spurt, wird hinausgeschmissen. Die Gruppe bekommt einen Namen – „Die Welle“ – und grenzt sich durch Uniform nach außen ab. Das Projekt verselbstständigt sich und „Die Welle“ überrollt die gesamte Schule. Das alles weiß man bereits, der Roman wurde 1981 in Amerika schon einmal verfilmt. Was kann Regisseur Gansel der Vorlage neu abgewinnen? Klar soll der Zuschauer sehen, wie eine Diktatur entstehen kann, er will jeden einzelnen Schritt nachvollziehen. Phasenweise funktioniert das in „Die Welle“. Etwa, als die Schulklasse beschließt, ihr Projekt nach außen hin durch eine Uniform zu präsentieren. Die Schüler sehen den Spaß an der „Verkleidung“, und schon ist die Klasse uniformiert. Das lässt sich als Zuschauer leicht schlucken. Wenn aber von einem Tag auf den nächsten Mitschüler nicht mehr ins Schulgebäude gelassen werden, da sie nicht uniformiert sind, stellt sich beim Zusehen das Gefühl ein, dass hier eine Sprosse auf der Autokratie-Leiter übersprungen wurde. Hier fehlt die kritische Distanz, die einem echten Oberstufen-Gymnasiasten durchaus zugetraut werden darf. Denn entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Radikalisierungsprozesses in der Klasse ist die Echtheit der Charaktere. Und hier liegt das Problem: Der Regisseur inszeniert die Jugendlichen in der Oberfläche sehr realitätsnah – Sprache und Aussehen passen so gut wie selten im Vergleich mit anderen deutschen Jugendfilmen (als Beispiel für völliges Scheitern sei hier nur Gansels „Mädchen, Mädchen“ genannt). Den Charakteren fehlt es aber an der Tiefe, die nötig wäre, um sie gerade für jüngere Zuschauer realistischer zu machen. Die Protagonisten kiffen und keifen sich rotzfrech an – typisch pubertär eben. Doch wo bleiben Ironie und Selbstreflexion kluger junger Menschen? Setzen sie sich wirklich nicht mit der Wirkung ihres Handelns auseinander? „Ihr seid also der Meinung, dass ne Diktatur heute in Deutschland nicht mehr möglich wäre?“ Nach etwa eineinhalb Stunden endet ein sehr unterhaltsamer Film, der diese entscheidende Frage aber nur im Rahmen des Films beantworten kann. Besonders "echt" und glaubwürdig aber wirkt er in seiner Botschaft nicht.

Text: sascha-chaimowicz - Foto: dpa

  • teilen
  • schließen