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"Er muss machen, was ich will"

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Augsburg 1994. Ein zwölfjähriges Mädchen namens Katharina Löwel sitzt vor dem Fernseher und sieht MTV: Es läuft „Let’s Talk About Sex“ von Salt-N-Pepa . Sie findet diese drei singenden Frauen irgendwie interessant, weil sie irgendwie anders sind und irgendwie auch gar nicht singen, sondern nur schnell sprechen. Das gefällt Katharina. Anfang der 90er Jahre gehört Rapmusik noch nicht zum Subkultur-Inventar jeder Großstadt und in der bayerischen Stadt Augsburg kommen Trends ohnehin erst später an. Katharina sieht also etwas Neues auf dem ebenfalls neuen, damals auch in Deutschland nur auf Englisch moderierten Fernsehsender. Von nun an trägt die Zwölfjährige die Hosen weit und tief, die Füße stecken in schneeweißen Turnschuhen mit drei schwarzen Streifen. Die rappenden Frauen aus dem Fernsehen werden ihre Vorbilder. Beim Englischunterricht ist sie mit Aufmerksamkeit dabei, schließlich will sie wissen, was die drei Rapperinnen in ihren Liedern erzählen. Schnell versteht sie, dass Salt-N-Pepa Themen ansprechen, die auch pubertierende Augsburgerinnen beschäftigen: Jungs, die Scheidung der Eltern, Streit mit Freundinnen, schlechte Schulnoten von fiesen Lehrern, sich durchboxen müssen – vor allem als Frau in einer von männlicher Macht geprägten Welt.

16 Jahre später, im Sommer 2009, sitzt Katharina in einem Konferenzraum im neunten Stock des Berliner Haupthauses der Universal Music Group. Durch eine Fensterfront erhellt die Sonne das Zimmer. „Stört es dich, wenn ich die Sonnenbrille aufsetze? Ist ein bisschen unpersönlich und posermäßig, oder? Aber das Licht blendet so“, fragt die 27-Jährige. Hochgewachsen ist sie, das weiß man bereits aus ihren Musikvideos, von ihren Auftritten bei The Dome oder von Fotos, aufgenommen bei Awardshows wie dem VIVA Comet. Da steht Katharina neben dem Rapper Sido, der fast so groß ist wie ein Basketballspieler. Trotzdem überragt sie ihn. Und das liegt nicht bloß an den hohen Schuhen. Heute trägt Katharina neonfarbene Nike-Sneakers, enge Jeans und ein schulterfreies Shirt. Sie wirkt nicht nur sportlich, sie ist es auch. Jeden Morgen führt der Weg ins Fitnessstudio. Beim Zurücklehnen ist der flache, gebräunte Bauch über dem Hosenbund frei. Die langen Haare sind zu einem Zopf gebunden, der volle Pony zur Seite gekämmt. An ihren Ohren baumeln große, goldfarbene Ohrringe, um den Hals eine Kette mit einem strassbesetzten Kreuz, an den Handgelenken klimpernde Armbänder. Und den Handrücken ziert ein Tattoo in Schreibschrift: Kitty, ihr Künstlername. Sie streicht sich mit ihren langen, roten Fingernägeln über die Tätowierung und erklärt: „Das habe ich mir stechen lassen, als der Deal mit Universal bestätigt wurde." „Ich hatte ein Problem mit Autoritäten" Bis dahin war es ein weiter Weg. Katharina wird 1982 in der Halbstadt Ost-Berlin geboren. Sie ist vier, als ihre Eltern mit zwei der drei Töchter in den Westen fliehen. Katharina ist die Jüngste. An die Flucht erinnert sie sich nur schemenhaft. Die Familie beginnt in Augsburg ein neues Leben. Wenige Jahre später lassen sich die Eltern scheiden. Die Mutter arbeitet viel, Katharina ist ein Schlüsselkind. Auf dem Gymnasium ist das Mädchen mit den dunklen Haaren eher durchschnittlich. „Ich hatte einfach ein Problem mit Autoritäten. Ich war schon immer jemand, der wollte, dass alle gerecht behandelt werden. Und Lehrer sind halt nicht immer gerecht.“ Die sechste Klasse muss sie wiederholen. Weil die Noten dennoch nicht besser werden, schickt ihre Mutter sie auf ein Internat in der Nähe von München. „Das war eine coole Zeit, die mich sehr geprägt hat. Auf dem Internat habe ich gelernt, tolerant zu sein. Du wirst da mit Mädchen in ein Zimmer gesteckt, die du gar nicht magst – trotzdem musst du mit ihnen klar kommen.“ Als sie nach zwei Schuljahren zurück nach Augsburg geht, haben sich ihre Zensuren verbessert. Sie kommt zurück aufs Gymnasium. „Meine Augsburger Freundinnen waren aber alle auf der Realschule. Auf dem Gymnasium kannte ich keinen“, erklärt Katharina. Ihre Noten werden wieder schlechter und sie landet auf einer Mädchen-Realschule. Mittlerweile ist sie 14 und die CDs von Salt-N-Pepa haben im Regal Gesellschaft von Lil’ Kim, Tupac und Jay-Z bekommen. Aus Katharina wird jetzt Kat. Ihre Freundinnen geben ihr diesen Spitznamen – wie das eben so ist, wenn man pubertiert und cool sein will. Kat beginnt, eigene Texte zu schreiben. „Plötzlich stand für mich fest: Ich will Musikerin werden. Was anderes konnte ich mir nicht vorstellen.“ Und: Sie will zurück in ihre Geburtsstadt Berlin. „In einem Dorf wie Augsburg die große Rapkarriere machen, das geht nicht“.


Ein Ziel hat Katharina immer klar vor Augen: von der Rapmusik leben zu können. Bevor das funktioniert, macht sie nach ihrem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Bankkauffrau. Nach der Ausbildung bietet die Bank ihr eine Anstellung an. Doch sie lehnt ab. Stattdessen zieht sie 2003 nach Berlin und lernt dort den Produzenten Paul NZA kennen. Tagsüber arbeitet sie als Assistentin in einer Werbeagentur, nachts nimmt sie im Studio Songs auf. Der Rest ist schnell erzählt: Aus Katharina wurde Kat, aus Kat wird Kitty Kat. Zwischendurch nennt sie sich auch Brooke Skillz, angelehnt an die amerikanische Schauspielerin mit den buschigen Augenbrauen. „Den Witz haben leider nicht alle kapiert“, lacht sie. In Paul NZAs Studio trifft sie eines Tages auf Rapper Sido, der zu dem Zeitpunkt gerade auf dem Weg nach ganz oben ist. Nach einigen Veröffentlichungen auf Untergrund-Mixtapes ist ihre Musik das erste Mal 2006 als Feature auf Sidos zweitem Album „Ich“ der breiten Masse zugänglich. Der Inhalt von „Mach keine Faxen“ ist in diesem Genre üblicher Standard – das Niedermachen von Konkurrenten: Kitty Kat und Sido sind die krassesten Rapper, alle anderen sind scheiße. Es folgen weitere Features auf Alben anderer Berliner Künstler. „Dich würde ich nie ficken" Ende 2005, wenige Tage vor Weihnachten, verliert Katharina ihren Job in der Werbeagentur. Über ein halbes Jahr ist sie arbeitslos. „Da hatte ich fast den Glauben verloren, es als Rapperin schaffen zu können. Ich habe gemerkt, dass jetzt irgendwas passieren muss – sonst müsste ich wieder als Bankangestellte arbeiten.“ Doch es kommt besser als erhofft. Im Sommer 2006 bietet Aggro Berlin der Rapperin einen Vertrag an. „Das hat mir meine sieben Katzenleben gerettet.“ Ein Album wollen sie mir ihr machen, versprechen die Aggro-Chefs. Bis dahin soll aber geheim bleiben, wie Katharina aussieht. Um Interesse zu wecken. Erst 2008 wird ein Foto der Rapperin veröffentlicht – über zwei Jahre nach dem ersten Feature auf einer Aggro-Berlin-Platte. Die Fans sind mittlerweile genervt von der Marketing-Strategie. Im Internet kursieren Gerüchte über das Aussehen der Musikerin. „Bestimmt ist sie hässlich, deswegen wird sie nicht gezeigt“ oder „Vielleicht ist sie ja fett und muss erstmal abnehmen“, hieß es immer öfter in Musikforen. „Natürlich stresst einen sowas“, gibt Katharina zu, „aber darauf muss man scheißen.“ Scheißen muss man auch auf Verbalattacken von anderen Rappern. Erst Anfang des Jahres veröffentlichten Düsseldorfer Rapper einen sogenannten Diss-Track gegen sie. Als „Kanisterkopf“ wurde sie da beschimpft, und „dich würde ich nie ficken.“ Doch Katharina ist das egal. „Disses sind im Hip Hop völlig normal. Für eine Frau ist es zwar das Härteste, zu hören, man sei hässlich. Aber ich denke mir einfach: ‚Ihr Typen seid behindert. Fickt euch selbst.’“

Ihr Selbstbewusstsein zeigt Kitty Kat auch auf am 4. September erscheinenden Album „Miyo!“ In ihren Songs spricht sie mit weiblich-sanfter Rapstimme über Männer, Partys und starke Frauen. Sie kokettiert mit dem im Hip Hop typischen Superlativ: Ich bin die Coolste, ich zeige dir, was eine Bitch ist, Kitty Kat kommt und hackt deinen Schwanz ab und so weiter. Über Sex rappt sie ebenfalls. Im Hip Hop ein schwieriges Thema. Rappern wird häufig vorgeworfen, frauenfeindlich zu sein, weil in ihren Texte oft von „bitches“ die Rede ist, von Schlampen, höchstens für eine Nacht zu gebrauchen. Ob sich das nicht widerspricht mit dem Image einer selbstbewussten, rappenden Frau? „Wenn männliche Rapper sagen, Frauen seien Schlampen, meinen sie natürlich nicht jede Frau. Die reden von nervigen, willigen Groupies, die es ja vor allem im Hip Hop massig gibt“, antwortet Katharina. Allerdings gibt sie sich als Kitty Kat in einigen Songs gleichermaßen niveaulos wie willig: „Das, was ich will, muss er machen / Wenn er gut ist, darf er mich anfassen / All’ die ganzen schweinischen Sachen / rein, raus, rein, raus / Bitte mit Klatschen“, heißt es in dem Song „Ficken“. Ist das nicht das Gegenteil von der selbstbewussten Frau, die nicht nur auf ihre weiblichen Reize reduziert werden will? „In meinen Songs bin ich nicht immer ich selbst, sondern schlüpfe auch in Rollen. Mal bin ich eine Stripperin, mal eine Schlampe, dann wieder eine betrogene Freundin, die sich an ihrem Ex rächt.“ Das habe nichts mit Unterwerfung zu tun. „Im Gegenteil: Frauen haben auch Bedürfnisse und sollen sich nehmen können, was sie brauchen – genau wie Männer.“ Klingt ein bisschen nach „neuem Feminismus“, nach „Feuchtgebiete“ und nach Gossip-Sängerin Beth Ditto, die sich optischen Idealvorstellungen nicht anpassen will. „Wenn ich anderen Mädchen durch meine Songs Mut mache und ihnen Selbstbewusstsein vermittele, dann ist das cool. Aber ich will nicht für einen neuen Feminismus stehen“, sagt Katharina. „Ich will einfach nur rappen, weißt du?“ Nie wieder in der Bank am Schalter sitzen Im Frühjahr 2009 lösten die Aggro-Berlin-Chefs ihr Label auf. Katharina hat es, wie Medien und Fans auch, über die Internetseite der Plattenfirma erfahren. Ein großer Grabstein mit der Gravur „Rest in Peace“ war dort zu sehen. Katharina rief sofort ihren – so würde sie ihn nicht nennen, aber letztendlich brachte er ihren Stein ins Rollen – Mentor Sido an. „Mach dir keinen Kopf“, beruhigte er sie, „Wir kriegen einen Deal bei Universal.“ Und so kam es, dass das Mädchen mit den langen, schwarzen Haaren nun bei dem erfolgreichsten der vier großen Majorlabels in einem Konferenzraum sitzt. „Der erste Schritt ist geschafft. Ich wohne zwar immer noch in der kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in Charlottenburg, die ich gemietet habe, als ich nach Berlin zurückkam. Aber ich merke, dass etwas passiert. Und ich hoffe nur, dass ich nie wieder in einer Bank am Schalter sitzen muss.“ Wieso ihre Vorgängerinnen, rappende Frauen wie Cora E, Sabrina Setlur, Nina MC, Pyranja oder Lady Bitch Ray, nicht mehr erfolgreich sind oder es nie waren, weiß Katharina nicht. Es ist ihr auch egal. „Vielleicht waren die zu männlich. Das finden männliche Rap-Fans nicht geil und weibliche werden nicht angesprochen, weil sie sich mit denen nicht identifizieren können.“

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