Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Einkaufsliste: Bücher für Jungs

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

„Anke“ von Linus Volkmann (Ventil-Verlag): Gärtner hat es schlecht. Er ist 30, war mal wer in einer Plattenfirma, lebte in Hamburg und Berlin und jetzt, die großen Plattenfirmen-Zeiten sind nun mal einfach vorbei, muss er nach Hause ziehen. Zu seinen Eltern in einen Vorort von Frankfurt. Die sind nicht ganz so aus dem Häuschen, wie sich Gärtner das vorgestellt hat, sondern benehmen sich immer noch Eltern-haft ekelhaft und lassen ihn spüren, wer im Haus das Sagen hat. Gärtner findet sich aber recht schnell in sein neues würdelose Dasein rein und nimmt Kontakt mit seinem alten Saufkumpel Juli auf. Auf einer Stadtmagazin-Party trifft er wenig später auch Anke wieder, seine Jugendliebe, die er damals schnöde sitzen ließ, als ihn der Ruf der weiten Welt, bzw. Hamburg, ereilte. Die ist mittlerweile Redakteurin der hessischen Vogue und ein lustiges, bisschen paranoides Wesen. Gärtner und sie ziehen sich auf die Herrentoilette zurück und kurze Zeit später wohnt er schon in ihrer WG. Da seine berufliches Dasein eher im Schneckentempo voran geht, verlegt sich Gärtner aufs Kochen und Gassiführen des Hundes, um eine Daseinsberechtigung und vor allem Ankes Zuneigung zu erlangen – eine moderne, ein bisschen anstrengende Partnerschaft mit ordentlich Knatsch. Normal eben. Dazwischen geht es viel um die Misere der Musikindustrie, ein paar Drogen und Wortwitz. Linus Volkmann hat zum ersten Mal einen richtigen und realistischen Roman geschrieben. Nicht, dass seine anderen Bücher, wie „Superlupo“ keine Handlung gehabt hätten, aber diesmal konzentriert er sich spürbar auf Anfang, Mitte, dramatischen Höhepunkt und Schluss. Das ist irgendwie gut, weil ein Buch so gestrickt sein sollte. Aber so charmant, wie seine anderen Literatur-Katastrophen ist es dann halt leider doch nicht. Lesenswert, trotzdem.

Oliver Maria Schmitt- „Anarchoshnitzel schrieen sie“ (Rowohlt Berlin) An Provinz-Punkromanen ist diese Zeit nun nicht gerade arm. Trotzdem nahm man das Buch noch mal mit leichtem Heißhunger zur Brust, schließlich war Oliver Maria Schmitt mal Titanic-Chefredakteur, ist auch sonst umtriebiger Witzgeist und lachen täte man ja gerne mal wieder. So richtigen Anreiz dazu schafft Schmitt aber auf 350 Seiten nicht. Seine Story ist in Maßen grotesk: Ein paar betont widerliche alte Männer fahren in die neuen Bundesländer, um sich noch mal für einen einmaligen Auftritt ihrer katastrophalen Jugendpunkband zusammen zu raufen. Statt tatsächlichem Handlungsverlauf müht sich die Geschichte von einer aberwitzigen Begebenheit in die nächste, dreht sich um schwule Skinheads, Cannabis-Plantagen und neurotische Ostler, während die auftretenden Personen über das Phänomen des deutschen Punks früher und heute referieren und auch sonst ein paar mittelmäßig pointierte Gesellschaftsbetrachtungen anstellen. Weder die Geschichte noch der Wahnsinn sind so richtig überzeugend durchgespielt und deswegen bleibt nach der Lektüre nicht mehr als ein vage unterhaltenes: „Passt schon“. Keinesfalls so konsequent irre wie etwa Rocko Schamonis „Risiko des Ruhms“ und leider auch nicht so lustig wie die Titanic.

„Zweigestirn“ von Thomas Mersch und Tobias Königshausen (Knaur) Der olle Mythos Männerfreundschaft, endlich wird ihm in einem ollen Buch Tribut gezollt. Voll verrückte Konstellation: der introvertierte Sebastian und der Draufgänger Felix waren schon immer Freunde. Irgend etwas ist dann passiert, was zu einer Trennung der beiden führte. Sebastian hat sich ein ruhiges Leben eingerichtet und Felix ist verschwunden. Bis er vor Sebastians Tür auftaucht. Der ist schockiert. Was dann passiert, ist so vorhersehbar wie der Plot einer Vorabendserie, inklusive todbringender Krankheit. Das ist irgendwie ein bisschen schade, weil da ein gutes Thema ganz schön lieblos behandelt wurde. Immerhin haben Königshausen und Mersch eines hingekriegt: die Chick-Literature für Typen ist mit ihnen in Deutschland angekommen. Super. Nicht.

„Hotel Monopol“ von Alexander Wall (Ventil-Verlag) Caspar, genannt Cash, macht das, wovon viele träumen: eine Kneipe auf. „Hotel Monopol“ heißt die und ist im Rotlichtviertel einer ungenannten Kleinstadt gelegen. Von Anfang an geht es in diesem Gastronomie-Gewerbe nicht ganz so koscher zu, was kein Wunder ist bei der Nachbarschaft. Caspar muss sich gut stellen mit den Sündländern, den Luden, dem ehemaligen Fremdenlegionär Burghard. Es ist schrecklich, und schrecklich realistisch. Das Cafe läuft eigentlich gut, Caspar hat die hübscheste und tollste Bedienung der Welt (in die er sehr heimlich sehr verliebt ist) und die Gäste rennen ihm die Türe ein. Aber Caspar weiß eben auch nicht so genau, wann Schluss ist und wie man ein Ein- und Ausgabenbuch führt. Statt dessen greift er regelmäßig in die Schatulle mit den Tageseinnahmen, um von der Schicht runterzukommen. Er kokst mehr, als ihm gut tut und arbeitet auch nach zwei Stunden Schlaf in der Küche. Es ist grässlich. „Hotel Monopol“ hat eine Handlung. Aber die ist im Grunde genommen nicht so wichtig. Denn Alexander Wall hat in erster Linie eines hervorragend geschafft: das Milieu Gastronomie so zu beschreiben wie es ist: ziemlich schlimm, aber auch ziemlich faszinierend.

 

„Eine zu 85 % wahre Geschichte“ von Chuck Klosterman (S. Fischer Verlag) Chuck macht sich auf eine Reise quer durch Amerika. Sein Auftrag: die Orte abfahren, an denen der Rock’n’Roll starb. Unter anderem kommt er da in Graceland (Elvis), Clear Lake, Iowa (Big Bopper, Ritchie Valens, Buddy Holly – “The Day The Music Died”) und Seattle (Kurt Cobain) vorbei. Neben der Recherche, dem Rumgurken im Leihauto und der Musik im Autoradio beschäftigen Chuck vor allem drei Frauen: Diane, Quincy und Leonore. In alle drei ist er irgendwie verliebt. Und so geht das Buch dahin, ein Roadtrip ohne besondere Vorkommnisse, dafür mit viel Introspektion und Theorien. Chuck Klosterman hat diese Reise wirklich gemacht und das Buch ist, wie der Titel es sagt, zu 85 % eine wahre Geschichte. Anlass war eine Geschichte für das Musikmagazin „Spin“, herausgekommen ist dann dieses Buch. Ein etwas zwiespältiges Lesevergnügen. Einerseits freut man sich, dass ein so renommierter Verlag wie Fischer ein solches Buch-Experiment gewagt hat, andererseits wird ein bisschen zu oft der Musik-Kenner rausgehängt, wobei Klosterman enorm ignorant mit der Musikgeschichte umgeht – und sich dann auch noch als bekennender KISS-Fan outet, was eigentlich mit Musik-Kenntnis und –Liebhaben nicht zusammen geht. „Eine zu 85 % wahre Geschichte“ kann man super weg lesen, ob man dafür 20 Euro hinlegen muss, bleibt aber fraglich.

 

André Kubiczek – Oben leuchten die Sterne (Rowohlt Berlin) Die ersten dreißig Seiten lang überzeugt dieser Roman voll: Bender und Rock, zwei Prototypen „urbaner Penner“ verlassen Berlin, vordergründig um Familien und Freunde in der Provinz zu besuchen, in Wirklichkeit aber auch um ein bisschen Klarsicht in ihren Lebensnebel zu bringen. Aufgeschrieben sind diese Abreise und ihre Umstände so prägnant und treffend, dass kurz die Hoffnung aufknospt, hier wirklichen den ironie- und wulstfreien Roman zur Generation Berlin in der Hand zu halten. Dann allerdings, herrje, kommt das konzentrierte Erzählen tatsächlich noch auf der Autobahn durcheinander und es beginnt leider: eine verrückte Geschichte. Die beiden Jungs geraten in mysteriöse und monströse Ausläufer eines geheimdienstlichen Komplotts, das vor fünfzig Jahren begonnen hat. Sie treffen auf seltsame politische Agitatoren eines „Geheimen Deutschlands“, überleben Attacken von Rechtsradikalen, kommen schließlich mit unterwegs eingesammelten Freunden in einem Ferienhaus im Schwarzwald an, wo es noch ein Erdbeben gibt. Gleichzeitig dazu spinnt der Autor die Ost-West-Geschichte eines geheimnisvollen alten Querdenkers und den Krimi eines jungen Geheimdienstlers zu einem Strick zusammen, an dem sich das Buch schließlich erhängt. Worum es den handelenden Personen wirklich gehen soll, bleibt bis zum Schluss unklar, die Vorfälle und Zusammentreffen wirken zunehmend undurchdachter, die pseudohistorische Unterfütterung, eine seltsam allwissende Erzählhaltung, schwach charakterisierte Protagonisten – all das führt zu einer ziemlich faden Suppe. Hier musste unbedingt eine wilde Geschichte erzählt werden und aus berechtigten Zweifeln wurde sie noch vollkommen überfrachtet und brachte das wacklige Erzählgerüst damit zum Einsturz. Und das ist eigentlich noch schlimmer, als keine Geschichte zu erzählen - dann lieber zweihundert Seiten freies Ondulieren über die Berliner Umstände. max-scharnigg und christina-kretschmer

  • teilen
  • schließen