- • Startseite
- • Redaktionsblog
-
•
"Ein sehr tiefsinniges Gedicht"
Seit Wochen sieht man in Magazinen und Zeitungen (auch in der SZ) immer wieder Anzeigen einer neuen Apple-Kampagne. Die Produkte sind darauf kaum oder gar nicht zu sehen, es gibt nicht mal den kleinsten Hinweis darauf, warum ein Apple-Produkt eigentlich besser sein soll als andere. Schnellere Prozessoren? Bessere Verarbeitung? Mehr oder bessere Funktionen? Unnötig.
Die Kampagne treibt auf die Spitze, was längst Apple Erfolgsmotor ist: Die Geschichte, die das Produkt erzählt, die Aura, die das Unternehmen umgibt. Begleitet werden die großformatigen Bilder von einem Gedicht, das in pathetischen Formulierungen klarmachen will, dass ein Apple-Produkt etwas Besonderes ist. Schlicht und einfach, weil – so lautet die letzte, groß gedruckte Zeile – es „Designed by Apple in California“ sei.
Feinste Produktpoesie also, zeitgenössische Lyrik. Deshalb haben wir das Gedicht analysieren und interpretieren lassen. Ein Deutschkurs aus der elften Jahrgangsstufe eines Münchner Gymnasiums hat sich nach seiner Lyrik-Klausur noch 20 Minuten Zeit genommen, um das Gedicht in drei Gruppen nach Aufbau, Form und Sprache zu analysieren und zu bewerten. Freilich ohne gesagt zu bekommen, aus wessen Feder es stammt.
Das Gedicht:
Das ist es.
Das ist, worauf es ankommt.
Wie man ein Produkt erlebt.
Was es einen fühlen lässt.
Wenn man zuerst darüber nachdenkt,
Geht man anders an Dinge heran.
Man stellt andere Fragen.
Wem wird dies helfen?
Wird es das Leben verbessern?
Gibt es einen wirklichen Grund dafür?
Wenn man damit beschäftigt ist,
Alles zu machen,
Wie soll man je etwas perfektionieren?
Wir glauben nicht an Zufälle.
Oder Glückstreffer.
Wir sagen tausendmal ‚Nein’ Auf dem Weg zu einem ‚Ja’.
Wir nehmen uns viel Zeit Für einige besondere Dinge. Bis jede Idee jedes Leben verbessert, Das mit ihr in Berührung kommt.
Wir sind Ingenieure und Künstler.
Handwerker und Erfinder.
Wir signieren unsere Arbeit.
Man mag es selten lesen.
Aber man kann es immer spüren.
Das ist unsere Unterschrift.
Und sie sagt alles.
Auf den nächsten Seiten liest du die Gedichtinterpretationen der Münchner Schüler.
Gruppe 1: „ungewöhnlicher Inhalt, macht nachdenklich“
In dem Gedicht spricht ein lyrisches Ich. Es ist Teil einer Gruppe, denn es spricht im Plural: „Wir“ (V.14). Dies wird zwar erst im dritten Gedichtteil ersichtlich, jedoch kann man davon ausgehen, dass die vorhergehenden Aussagen auch von diesem getroffen werden. Es geht nicht klar hervor, in welcher Rolle das lyrische Ich steckt. Es könnte zum Beispiel für „Ingenieure und Künstler. Handwerker und Erfinder“ (V.22) oder auch für die gesamte Gesellschaft sprechen. Es spricht dabei keinen expliziten Adressaten an, sondern es scheint eher zu überlegen und sich selbst Fragen zu stellen, vgl. V.8: „Wem wird dies helfen“.
Über Zeit und Ort werden keine Angaben gemacht. Dadurch erhält das Gedicht eine gewisse Aktualität, es kann auf jede Situation bezogen werden.
Es werden Überlegungen und Fragen zur Produktentwicklung und -perfektionierung angestellt. Im ersten Gedichtteil wird dafür plädiert, zuerst darüber nachzudenken, was das Produkt „einen fühlen lässt“ (V.4), da dies „[d]as ist, worauf es ankommt“ (V.2). Erst danach soll die Umsetzung stattfinden.
Im Folgenden werden Fragen nach dem Nutzen des Produkts gestellt: „Wem wird dies helfen?“ (V.8). Das lyrische Ich fragt sich, wie „man je etwas perfektionieren“ (V. 13) kann. Es beschreibt den „Weg zu einem 'Ja'“ (V.17) bei der Produktherstellung, sodass dieses am Ende „jedes Leben verbessert“ (V. 20).
Im letzten Gedichtteil erklärt das lyrische Ich sich zum „Ingenieur und Künstler. Handwerker und Erfinder“ (V.22) und stellt fest, dass in jedem Werk etwas vom Künstler steckt, seine „Unterschrift“ (V. 27), welche man „selten lesen“ mag (V. 25), jedoch „immer spüren“ kann (V. 26). Und diese „sagt alles“ (V.28) über das Produkt aus.
Wertungen Gruppe 1:
zuerst nicht einfach, den Inhalt zu verstehen
gutes Gedicht, Inhalt trifft zu
interessante Darstellung des Herstellungsprozesses
sehr überzeugend, stellt Künstler in sehr gutes Licht, klingt wie Werbung für deren Produkte
ungewöhnlicher Inhalt, macht nachdenklich
obwohl es schwer ist, strengt das lyrische Ich sich an, seine Werke zu perfektionieren
"Ein sehr tiefsinniges Gedicht" - auf der nächsten Seite liest du die zweite Gedichtinterpretation.
Gruppe 2: „ Ein sehr tiefsinniges Gedicht“
Bereits am Anfang des Gedichts wird durch die Anapher „Das ist“ (V.1 und V.2) hervorgehoben, worum es in diesem Gedicht geht: um den Wert eines Produkts.
Bedeutend ist, welche Emotionen ein Produkt auslöst. Dies zeigt sich besonders in den Sätzen der ersten Versgruppe, die eigentlich nur Nebensätze sind und doch durch einen Punkt getrennt werden (vgl. V.3-4). Durch diese scheinbar getrennten Sätze, die jedoch an den vorherigen Satz geknüpft sind, wird betont, „worauf es ankommt“ (V.2). Der nächste Satz bildet jedoch eine Antithese zu der Betonung der Gefühle zum Produkt, denn er beschreibt die Herangehensweise durch rationale Überlegungen (vgl. V.5-6). Diese führt zum „[S]tell[en] andere[r] Fragen“ (V.7). Die Antithese wird noch zusätzlich verstärkt durch eine Inversion des Nebensatzes.
Die zweite Versgruppe beinhaltet ausschließlich Fragen. Somit wird eine Verknüpfung zur ersten Versgruppe hergestellt (vgl. V.7). Es wird nach dem Sinn des Produkts gefragt. Dazu werden in den Fragen hauptsächlich positive bzw. Wörter des Nutzens gebraucht (V.8-13).
In der dritten Versgruppe wird versucht, auf einige der Fragen zu antworten. Zu Beginn findet sich eine Meinung des lyrischen Ichs, dass alles einen Sinn hat und nichts zufällig geschieht (vgl. V.14-15). Diese wird betont durch die Ellipse „Oder Glückstreffer.“(V.15) oder durch ein falsches Satzzeichen im vorhergehenden Satz erreicht. Es folgt eine Antithese, welche verdeutlicht, wie schwierig es ist, zu einem gelungenen Produkt zu gelangen (vgl. V.16-17). Daher kümmert man sich sorgfältig um einige Details. Denn das Produkt soll einen Zweck haben (vgl. V.10) und die Leben verbessern, mit denen es in Berührung kommt (vgl. V 20-21). Durch die Formulierung, dass „jede Idee jedes Leben verbessert“(V.20), wird ein direkter Bezug zur Frage „Wird es das Leben verbessern“? (V.9) hergestellt. Denn durch die ähnliche Formulierung wird auf jene Frage, direkt geantwortet. Auffällig ist zudem, dass Vers 14, 16 und 18 denselben Satzbau haben und zusätzlich alle mit „Wir“ (V.14) beginnen.
Im Polysyndeton in Vers 22-23 werden jene genannt, die an der Entwicklung des Produkts beteiligt sind. Diese Personengruppen sind zugleich das lyrische Ich und werden ebenfalls durch eine Ellipse oder ein verkehrtes Satzzeichen stärker hervorgehoben (vgl. V.22-23). Zuletzt geht es noch um die Einzigartigkeit ihrer Arbeit. Die Signatur lässt sich immer spüren und sie bedeutet alles, was das Produkt ausmacht (vgl. V.28). Auch in dieser Versgruppe wird versucht zu erklären, deshalb besteht sie ausschließlich aus Aussagesätzen, die Tatsachen beschreiben. Auffällig ist, dass fast jeder Vers mit einem Satzzeichen endet. Obwohl diese nicht immer Sinn machen, wie beispielsweise bei „ Wir glauben nicht an Zufälle.“ (V.14), wenn es danach weiter geht mit „Oder Glückstreffer.“ (V.15). Denn dadurch ist der folgende Satz nicht vollständig, sondern eine Ellipse. Dennoch lässt sich dadurch der Text gut verstehen, da durch die Satzzeichen oft Pausen entstehen.
Zudem sind die Sätze meist parataktisch gehalten. Dies vereinfacht ebenso das Verständnis des Gedichtes.
Wertungen Gruppe 2:
„Ich finde, dass es die heutige Zeit und ihr Gefühl sehr gut trifft, wir müssen uns während dem Abitur auch mit sehr vielen Dingen beschäftigen und können nichts näher betrachten.“
„Ein sehr tiefsinniges Gedicht. Regt zum Nachdenken an. Besonders die vierte Strophe gefällt mir.“
„Was mich verwundert ist, dass nie genannt wird, um welches Produkt es sich handelt. Ich dachte zuerst an Bilder. Doch für jene werden keine Ingenieure gebraucht. Ebenso wenig wie für Literatur. Deswegen frage ich mich, welches Produkt gemeint ist. Oder ob dieses Gedicht für alles gilt, was der Mensch produziert und erschafft?“
„Das Gedicht ist sehr schwer verständlich. Denn die Sätze sind zwar an sich unkompliziert, doch im Gesamten ergibt der Text für mich nicht allzu viel Sinn.“
"Trochäisch betont" - auf der nächsten Seite liest du die Interpretation von Gruppe drei.
Gruppe 3: „W-Wörter zu Beginn der Kurzsätze trochäisch betont“
Diese moderne Lyrik besitzt keine Strophen, keine Reime und kein Reimschema, das die letzten Wörter der Verszeilen verbinden würde: „Wenn man zuerst darüber nachdenkt, Geht man anders an die Dinge heran“ (V. 5-6). Diese prosaähnliche Form suggeriert dem Leser in erster Linie Modernität und Innovation, die sich das „lyrische Ich“ („lyrisches Wir“?) damit auf die eigenen Fahnen schreibt. Scheinbar sollen hier die vielfältigen Ideen der Produktentwicklung dem Leser vor Augen geführt werden. Offenheit und Pioniergeist spiegeln sich in den freien Formen wider. Traditionelles, Angestaubtes ist hier nicht als Botschaft erwünscht.
Grundsätzlich herrscht Zeilenstil vor, vor allem bei den W-Fragen: „Wem wird dies helfen?“ (V.8). Die Wir-Sätze ziehen sich zuweilen über zwei Verszeilen und werden mit Enjambements verbunden: „Wir nehmen uns viel Zeit Für einige besondere Dinge.“ (V. 18f.). Die investierte Zeit soll hier im verlängerten Satz zum Ausdruck gebracht werden. Die kurzen Fragegestellungen wirken dagegen einfach und prägnant, sie sollen zeigen: Das Problem ist sensibel herauskristallisiert und klar identifiziert. Die kürzesten und damit einprägsamsten Sätze bilden Anfangs- und Schlusssatz. Diese Sätze bergen die Hauptbotschaft. „Das ist es“ (V. 1) bedeutet den designerischen Durchbruch: Die durchschlagende Idee ist geboren. Dass dieses optimale Design immer die „Unterschrift“ (V. 27) des „Erfinders“ (V.22) trägt, zeigt der letzte Satz abschließend und in aller Kürze: Das Apple-Design ist einzigartig „und […] sagt alles.“ (V.28). Diese Kurzsätze rahmen das Gedicht ein, sie betonen die absolute Gültigkeit des Apple-Designs. Dem Leser prägt sich diese Formel im Gedächtnis ein.
Die Betonungen sind innerhalb der Verse weitgehend frei. Dennoch fällt auf, dass die W-Wörter zu Beginn der Kurzsätze trochäisch betont und die Anfangswörter damit auch inhaltlich an Gewicht gewinnen: „Wie man ein Produkt erlebt. Was es einen fühlen lässt“ (V.3-4). Das „lyrische Ich“ zeigt dadurch die Wichtigkeit der Fragestellungen, die den Künstler antreiben, wenn er ein Produkt entwickelt. Die trochäischen Betonungen bei allen W-Wörtern zeigen zudem die synästhetische Vielfalt bei der Produktentwicklung: Das Apple-Design spricht alle Sinne an.
Danke an die Q11: Alicia, Greta, Franziska, Florian, Jessica, Jannis, Kayo, Alexandra, Caroline, Gabriela, Peter, Felix, Leonie und Greg.