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Ein offener Brief an die Schwieger-Familie
Liebe Schwiegereltern,
nehmt mir bitte meine Laune nicht übel, ich versuche mich schon seit meiner Ankunft in eurem Heim zusammenzureißen und gute Miene zum zweiten Weihnachtsfeiertags-Spiel zu machen. Und ich weiß, dass ihr euch fragt, was denn jetzt schon wieder mit mir los ist und warum ich allen Anwesenden die auslaufenden Weihnachtsfeiertage mit meiner Sauertopf-Miene verderben muss.
Lasst euch versichert sein: Es liegt nicht an euch. Es liegt an mir. Obwohl... es liegt auch nicht an mir, es liegt eher an den Umständen. Denn ihr seid alle zusammen und einzeln wirklich ganz liebe Menschen.
Nur - ich habe schon einen kompletten Satz Verwandtschaft. Und die hat mir, bis ich euren Sohn kennenlernte, durchaus gereicht. Ich habe Eltern, deren Aufgabe darin besteht, mich zu nerven, rühren und umsorgen und meine Entscheidungen kritisch zu hinterfragen. Ich habe Geschwister, mit denen ich mich immer noch pubertär auseinandersetzen muss. Und ich habe ein buntes Sammelsurium an Tanten, Onkeln, Großtanten, Cousins und Cousinen, die von absolut indiskutabel bis Lieblings-Verwandte eigentlich das gesamte Spektrum abdecken. Und bis vor kurzem hatte ich ein absolut überschaubares Maß an verwandtschaftlichen Pflicht-Terminen, die ich jährlich absolvieren musste.
Und das habe ich jetzt alles auf einmal doppelt, seitdem euer Sohn und ich vor einem Jahr zusammengezogen sind. Weil unsere Beziehung in die Ernsthaft-Straße einbog, hat unsere Umwelt anscheinend beschlossen, dass die vielen schönen Aspekte auch durch ein paar nervige ergänzt werden müssen. Und das kulminiert jährlich im Besuch bei euch, der anderen Familie, am zweiten Weihnachtsfeiertag.
Kneifen gilt da nicht. Man soll mich ja um Himmels willen nicht für eine undankbare Person, gedankenlose Fast-Schwiegertochter oder hinterhältige Diebin des einzigen Sohnes halten. Dieser Besuch, damit wir uns da klar verstehen, ist keine freiwillige Veranstaltung, der ist Pflicht. Das erklärt vielleicht teilweise, warum sich mein Enthusiasmus am heutigen Tage in Grenzen hält.
Zudem kommt, dass ich das Gefühl habe, meine gesamte Verwandtschafts-Toleranz schon für die meine aufgebraucht zu haben. Denn die ist, dass wir uns da nicht falsch verstehen, kein bisschen besser, als eure. Ich kenne sie nur schon seit Jahrzehnten, weiß, dass Onkel Charly nach dem zweiten Weißbier zur feuchten Aussprache neigt, Tante Maria mit ihrer passiv-aggressiven Art schon immer für interessante Diskussionen unterm Weihnachtsbaum gesorgt hat, und die kleine Cousine Johanna nun mal einen ausgesprochen schrägen Männergeschmack hat, der irgendwie mit ihrer verkorksten Vater-Tochter-Beziehung zu tun hat. Aber bei meiner Verwandtschaft hatte ich jahrelang Zeit, Strategien zu entwickeln, mit diesen unschönen Attributen umzugehen.
Nun ist mir eure Familiendynamik noch weitgehend unbekannt und es erschreckt mich immer noch, wenn du, werter Herr Schwiegerpapa, mich zum Dessert eines Kreuzverhörs bezüglich meiner beruflichen Pläne unterziehst. Und wenn mein Freund in seinem Elternhaus auf einmal zum Mini-Pascha wird, der keinen Finger rührt, ehe er nicht fünf Mal dazu aufgefordert wurde. Und wenn Tante Magda plötzlich weinerlich wird, so ganz ohne offensichtlichen Grund und nicht mehr aufhört, sich die Augen feucht auszuwischen.
Das könnte möglicherweise die chronische Erschöpfung erklären, unter der ich seit meiner Ankunft leide.
Ich weiß, es ist kein Trost, aber vielleicht rückt es meine leicht feindselige Aura in ein barmherzigeres Licht, wenn ich euch zum Schluss noch erzähle, dass nach meiner Erfahrung eigentlich jeder Mensch in meinem Alter ein mehr oder minder großes Problem mit seiner Schwieger-Familie hat. Bei manchen ist das Problem offensichtlich, da sind die Schwiegereltern unverschämt, proletig oder gemein zu ihrem eigenen Kind. Bei anderen sind die Schwierigkeiten etwas subtiler, vielleicht auch eingebildet und selbstgemacht.
Aber keiner, wirklich keiner meiner Freunde findet seine Schwiegereltern uneingeschränkt super-nett. Das gehört wohl einfach dazu.
Und ihr? Gebt es zu: Wir sind euch insgeheim eh nicht gut genug. Stimmt's? Na also, dann wären wir ja auch wieder quitt.
Und wer weiß, vielleicht wird das Weihnachtsfest in zehn Jahren, wenn wir uns und unsere Macken so richtig gut kennen, ja auch ganz entspannt? Darauf ein Schlückchen Dornkaat!
Eure Penni
Text: penni-dreyer - Illustration: katharina-bitzl