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Ein Jahr bezahlte Freiheit

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Xeniya Veber ist gerade in Kasachstan gelandet. Sie hat gerade Abitur gemacht und nimmt sich ein Jahr Auszeit, um ein Buch zu schreiben. Dafür bekommt sie 700 Euro im Monat. Aber nicht von einem Verlag oder ihrer Familie, sondern über ein Stipendium.  

Xeniya ist 25, gebürtige Kasachin und lebt in Bamberg. Sie ist die erste „Pfad.finder“-Stipendiatin der privaten Universität Witten/Herdecke (UW/H) in Nordrhein-Westfalen. Um die 70 Bewerbungen sind im ersten Durchlauf im vergangenen Frühjahr eingegangen. Die „StudierendenGesellschaft“ der Universität will nun jedes Jahr drei dieser Stipendien vergeben.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Xeniya Veber

Ein Stipendium, das nicht belohnt, sondern ermutigt  

Normalerweise belohnen Stipendien gute Noten oder soziales Engagement, das „Pfad.finder“-Stipendium belohnt die Idee: Jeder Stipendiat bekommt ein Jahr lang jeden Monat 700 Euro, um damit einigermaßen finanziell abgesichert ein Projekt umsetzen zu können, das er schon immer machen wollte. Voraussetzung: Es muss sich laut Ausschreibung „um ein eigenes Projekt handeln, das im Einklang mit den drei Grundwerten der UW/H ‚Zur Freiheit ermutigen’, ‚Nach Wahrheit streben’ und ‚Soziale Verantwortung fördern’ steht.“  

Finanziert wird das Ganze von „externen Förderern“. In der ersten Bewerbungsrunde wurden unter anderem ein Theaterfestival für Jugendliche, mehrere Bücher (darunter eines über einen Selbstversuch, CO2-neutral zu leben) und eine Online-Zeitung für Studenten als Ideen eingereicht. Am Ende wurde Xeniya ausgewählt: Mit neun Jahren zog sie mit ihrer Mutter aus ihrer Heimat Kasachstan zu ihrem Stiefvater nach Deutschland. Mit 15 starb ihre Mutter an Krebs. Mit 16 zog Xeniya von zu Hause aus. Das „Pfad.finder“-Stipendium will sie nutzen, um ihre Familiengeschichte aufzuschreiben und in ihre Heimat zu reisen, um dort mit Verwandten und Freunden ihrer Mutter zu sprechen. In ihrem Bewerbungstext schrieb sie: 

 „1998, als ich an der Hand meiner Mutter das Flugzeug verließ, welches uns beide von Kasachstan nach Deutschland brachte, konnte ich nicht ahnen, dass ihre Hand mich nicht mehr lange halten wird. 1998 war das Jahr, in dem ich als naives Kind mit einem Zopf rechts und einem links, meinen geliebten Großeltern, die mich in Tränen verabschiedeten, lachend sagte, es gäbe keinen Grund zum Weinen. Ich sah sie erst neun Jahre später wieder. 1998 hat sich mein Leben von Grund auf verändert. Ich tauschte einen kasachischen Bauernhof gegen einen deutschen Neubau, die russische gegen die deutsche Sprache, meine leibliche gegen meine Stieffamilie und eine glückliche Kindheit gegen das Erwachsenwerden mit eingezogenem Kopf.“  

Die Idee für das Stipendium entstand in der „StudierendenGesellschaft“, in der sich auch die Medizin- und Wirtschaftswissenschaftsstudentin Levka Meier, 25, engagiert. Diese studentische Solidargemeinschaft verwaltet den „Umgekehrten Generationenvertrag“, ein Konzept, das in der deutschen Hochschullandschaft einzigartig ist: Die Studenten müssen für ihr Studium erst zahlen, wenn sie einen Job haben und Geld verdienen, die Beiträge sind vom jeweiligen Einkommen abhängig. So finanzieren jeweils die Absolventen das Studium der aktuell eingeschriebenen Studierenden. In den Auswahlgesprächen der potenziellen Studienbeginner sitzt immer auch ein Vertreter der „StudierendenGesellschaft“ und entscheidet mit, ob ein Bewerber angenommen wird.

In diesen Gesprächen traf Levka immer wieder junge Menschen, die sich für einen Studienplatz beworben haben und die sie im Gremium gerne genommen hätten, aber bei denen sie das Gefühl hatten, dass sie noch nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. „Sie schließen so schnell wie möglich die Schule ab, machen danach ein freiwilliges soziales Jahr oder gehen ins Ausland, weil sich das gut im Lebenslauf macht, und dann wollen sie schnell den Bachelor und Master hinter sich bringen“, sagt sie. „Dieser Druck hat uns schockiert, es ist ein Hürdenlauf aus Leistung und vorgegebenen Meilensteinen.“ In den Gesprächen fand sie immer die spannender, „die eigene Wege gehen und keinen perfekten Lebenslauf hatten“. Das liege aber nicht nur an den Menschen, sondern auch an den Möglichkeiten, die jemand habe. „Unser Stipendium ist so eine Möglichkeit: Die Stipendiaten können ein Jahr lang machen, was sie für richtig halten – und es sich auch leisten, sich diese Zeit zu nehmen.“  

Kostspielige Studentenwerbung?  

Ein bisschen riecht das Ganze natürlich nach einer, wenn auch kostspieligen, Art, neue Studenten zu gewinnen. Immerhin bekommt man außer der finanziellen Unterstützung einen Alumnus, Studierenden oder Dozenten von der Hochschule als Mentor, kann alle Kurse an der UW/H belegen und sich gesammelte Punkte oder Scheine für ein Studium dort anrechnen lassen. Weil die erste Stipendiatin Xeniya Veber gerade für ihre Recherche in Kasachstan ist, kann man sie nicht erreichen. In einem Interview auf Spiegel Online sagte sie diesem Thema: „Der Studiengang ‚Kulturreflexionen’ (an der UW/H, Anm. d. Red.) klingt total spannend. Sicher bin ich mir aber noch nicht, im Moment stehen noch mehrere Städte und Studiengänge zur Auswahl.“ Pflicht sei ein Studium an der UW/H im Anschluss an das Stipendium auf keinen Fall, heißt es von Hochschulseite, wenn man dieses Thema anspricht. Eine gewisse Bringschuld kann man als Stipendiat nach einem Jahr womöglich trotzdem empfinden. Das gilt auch für die anderen Finalisten, die das Stipendium nicht bekommen haben und auf Wunsch trotzdem einen Mentor von der UW/H vermittelt bekommen, um ihr Projekt auch ohne finanzielle Unterstützung umzusetzen.  

Entscheiden werden am Ende die Abiturienten und potenziellen Studenten selbst. Diese erleben ein Bildungssystem, das durch G8, Bachelor und Master immer hektischer wird. Darum ist generell alles zu begrüßen, was dieses entschleunigt. Dafür ist man an der UW/H so etwas wie ein Vorreiter: Dort kostet ein Studium nämlich immer gleich viel, egal wie lange man dafür braucht.    


Bis 31. August kann man sich für das zweite Pfad.finder.Stipendium der UW/H bewerben. Eine studentische Jury wählt die fünf besten Bewerbungen aus, der Gewinner wird über eine Online-Abstimmung ermittelt. 

Text: kathrin-hollmer - Foto: privat

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