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Drei Väter, eine Mutter

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Der Tag, an dem die Bombe hochging, war ein Dienstag im Dezember vor elf Jahren. Susanne Supheert war 13. Sie kam von der Schule, ihr Vater hockte auf dem Stuhl am Computer, ihre Mutter stützte sich auf die Anrichte. 22 Jahre waren sie verheiratet. An diesem Tag erklärte Susannes Vater seiner Familie, dass er schwul sei. Seither hat sich die Familie verändert. Die Eltern sind geschieden, Susannes Vater ist ausgezogen und hat wieder geheiratet, einen Mann. Auch ihre Mutter ist wieder verheiratet, ebenfalls mit einem Mann. Heute ist Susanne aus Den Haag 25 und hat vier Elternteile.

Familien ändern sich, weil Beziehungen auseinandergehen, Eltern neue Partner finden, Kinder adoptiert werden von lesbischen oder schwulen Paaren. Mit der Gesellschaft wandelt sich auch das Familienbild. Das Modell von Vater und Mutter ist in vielen Fällen überholt. In den Niederlanden wird deshalb seit Oktober letzten Jahres diskutiert, mehr als zwei Personen als Eltern anzuerkennen. Es geht dabei nicht nur um eine juristische Frage, sondern auch darum, was und wer Eltern eigentlich sind – und wie man Elternschaft definiert.


Susanne hat drei Väter und eine Mutter. "Darf" sie das?

Susanne Supheert korrigiert sich, als sie von ihren vier Eltern erzählt. „Vier sind es nicht wirklich – zwei davon sind die Partner meiner Eltern." Zwar habe sie ein sehr enges Verhältnis zu ihnen. Die Verbindung zu ihren „ursprünglichen", echten Eltern aber, sagt sie, sei und bleibe doch etwas Besonderes. Bei ihnen ist Susanne aufgewachsen, an sie sind Kindheitserinnerungen geknüpft. Nicht jede beliebige Person könne so einfach ein Elternteil werden oder die Rolle von Eltern einnehmen.

Dass in den Niederlanden über diese Frage philosphiert wird, liegt vor allem an einer Frau: Liesbeth van Tongeren, Parlamentsabgeordnete der Grünen in Den Haag, hat die Diskussion angestoßen. „Wir tun bisher so, als würden Patchwork-Familien nicht bestehen", sagt van Tongeren. Politik und Gesetzbücher gingen immer noch von einem Familienbild aus, das längst durch andere Modelle ergänzt wurde. Van Tongeren beauftragte deshalb den Staatssekretär im Justizministerium, die rechtlichen Möglichkeiten zu untersuchen, um mehr als zwei Eltern juristisch anzuerkennen. Bisher hat ein Kind in Holland, genau wie in Deutschland, nur zwei Eltern; es gilt das Prinzip der „Blutsverwandtschaft", der genetischen Abstammung. „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat", steht unter Paragraph 1591 im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch. Dass ein Kind mit zwei Müttern aufwächst, ist juristisch weder in den Niederlanden noch in Deutschland vorgesehen. Daran will Politikerin van Tongeren etwas ändern. Es gehe um Gleichberechtigung zwischen homo- und heterosexuellen Paaren. Vor allem aber darum, das Leben von Familien zu vereinfachen: „Für ein lesbisches Elternpaar beispielsweise beginnen die Probleme schon bei Kleinigkeiten im Alltag, weil nur eine Mutter den Zettel für den Schulausflug unterschreiben darf." Das gehe weiter bis zum Steuerrecht, zu Versicherungen und Erbe.

Nicht nur homosexuelle Eltern sind betroffen; auch in Fällen, in denen ein Kind mit einem neuen Partner eines Elternteils aufwächst, hat der Stief-Elternteil weniger Rechte. „Roze Gezinnen", rosa Familien, nennen Holländer die Patchworkfamilien. Etwa 25.000 Kinder wachsen in den Niederlanden in „rosa Familien" auf, schätzt Politikerin Liesbeth van Tongeren. „Gesetze müssen sich an gesellschaftliche Veränderungen und die Realität anpassen", sagt sie. „Nicht andersherum."

Wann es einen Gesetzesentwurf gibt ist noch unklar. Die Diskussion habe erst begonnen und könne Monate oder gar Jahre dauern, sagt van Tongeren. „Es ist ein ähnlich sensibles Thema wie die Homo-Ehe." Bis es damals so weit war, habe es auch gedauert. Im Falle der Elternschaft könne Holland nun wieder eine Diskussion anstoßen und international voran gehen, meint van Tongeren. Von den fast ausschließlich positiven Reaktionen wurde sie überrascht. Sie habe Babykarten und Geburtsanzeigen von Eltern geschickt bekommen. Als sie abends in ein Restaurant kam, habe es spontan Applaus gegeben, twitterte sie. 
Kritische Stimmen gebe es aber auch, meistens mit demselben Argument: „Es ist ein Vorurteil, dass Kinder am besten mit Vater und Mutter aufwachsen", meint van Tongeren. Schließlich sei es nicht das Geschlecht, das gute Eltern ausmache – auch drei Eltern könnten liebevoll sein. Kritiker meinen außerdem, Absprachen und Einigungen bei Problemen seien schon bei zwei Eltern oft schwierig und würden bei drei Parteien fast unmöglich.

Von einem Nachteil mit mehreren Eltern kann auch Susanne Supheert erzählen. „Wenn man etwas mit den 'echten Eltern' teilen oder besprechen will, weiß man, dass es auch mit noch jemandem geteilt wird." Am Anfang habe sie sich an die Situation gewöhnen müssen. Aufgewachsen ist sie mit Mutter und Vater, bei seinem Outing war sie 13. Entsprechend war ihre Reaktion, erzählt Susanne. „Ich wusste, was das heißt, und deshalb ging in diesem Moment alles durcheinander." Trennung, Umzug. Wie sollte sie das ihren Freunden erzählen? „Ich war in der Pubertät, da kann man so was überhaupt nicht gebrauchen." Mehr als zwei Eltern müssen möglich sein, findet Susanne. "Ein Kind wird davon bestimmt nicht schlechter." Zwar sei es für Kinder oft schwierig, mit getrennt wohnenden oder mehreren Eltern zu leben, weil immer ein Teil fehlt, sagt sie. "Aber ein Kind kann durch so eine Familie auch gestärkt werden in seiner Entwicklung und viel lernen." Toleranz zum Beispiel.

Susanne blieb bei ihrer Mutter. Heute arbeitet sie als Beamtin bei der Stadtverwaltung und wohnt in Den Haag. Alle vier Eltern wohnen nicht weit weg, alle vier sieht sie regelmäßig. Von keinem einzigen, sagt sie, würde sie sich trennen wollen. „Wir sind eine Familie." 

Text: benjamin-duerr - Bild: Marie-Claire Nun

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