Warner Independent Pictures
Eine Werbung für die Liebe, für das Leben
Neun Jahre ist es her, da wanderten Ethan Hawke als schwärmerischer Backpacker aus den USA und Julie Delply als selbstbewusste junge Französin in "Before Sunrise" eine Nacht lang gemeinsam durch Wien. Redeten, küssten sich, redeten noch mehr, verbrachten die Morgenstunden nebeneinander im Park und trennten sich wieder - sehnsüchtig und durcheinandergewirbelt vom Leben.
14 Stunden dauerte der romantische Zusammenprall in Grunge-Ästhetik - und eigentlich darf man so etwas einfach nicht fortsetzen. Regisseur Richard Linklater hat sich gemeinsam mit den beiden Darstellern doch an eine Fortspinnung des Drehbuchs gesetzt und den Film auf der diesjährigen Berlinale präsentiert, wo der Film zu den angenehmsten Überraschungen des Festivals gehörte: Heute startet "Before Sunset" endlich auch bundesweit in den Kinos.
Jesse ist in den neun Jahren seit dem Zusammentreffen zu einem gefeierten Romanautor geworden, der sich gerade auf Lesereise mit seinem neuen Buch befindet, das genau die Geschichte des ersten Buches erzählt. Als er in der Pariser Buchhandlung "Shakespeare and Company" liest (in der übrigens auch "Ulysses" erstmalig verlegt wurde, über das gestern im Schnipsel berichtet wurde), steht plötzlich Céline vor dem Schaufenster - genau jenes Mädchen, mit dem er vor neun Jahren durch das nächtliche Wien gewandert ist. Nach dem Ende seiner Lesung hat Jesse 80 Minuten Zeit bevor er zum Flughafen muss - und genau diese knapp anderthalb Stunden schildert der Film in Echtzeit.
Wie im ersten Teil wird viel geredet, wieder nahezu ausschließlich von den beiden Protagonisten. Die anfängliche Fremdheit wird dabei ebenso wunderbar gezeigt wie die folgende Annäherung, das Abtasten, das Wiedererkennen diverser Eigenarten des anderen und die Zuneigung, die nach und nach wieder durchbricht, das gemeinsame Erinnern. Die Kamera umkreist die beiden und egal ob Jesse eine sexuelle Avance nach der anderen rausfeuert, oder Céline von ihrem Engagement erzählt - jedes Wort, jeder Satz, jede Geste, jeder Blick sitzt.
Die beiden sind in den neun Jahren nicht nur älter geworden, sie sind auch reifer, weiser, trauriger. Sie haben erkannt, dass das Leben nicht nur Möglichkeiten bietet, sondern auch ein paar Enttäuschungen in der hohlen Hand parat hat. Humorvolle Punchlines und philosophische Gedankenkonstrukte halten sich die Waage, dankenswerterweise verzichtet der Film auf effektheischende Flashbacks und findet ebenso wie sein Vorgänger - den er alles in allem überflügelt - ein leichtes, offenes Ende. Nach dem man eigentlich noch mal 80 Minuten zuhören möchte.