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Die Uhr ist abgelaufen
An welchen Tag die Armbanduhren starben, weiß keiner so genau. Es muss jedoch um zehn nach zehn gewesen sein, denn bei dieser Zeit blieben sie alle stehen. Zehn nach zehn zeigen die Uhren in den Katalogen. Zehn nach zehn zeigen die Uhren, die in den Schaufenstern ausgestellt sind, sorgfältig ausgeleuchtet, wie im Museum; Reliquien einer Zeit, die längst vergangen ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Seit nun schon über zehn Jahren geht der Verkauf von Uhren zurück - gleichzeitig verwandelte sich das Handy von einem kiloschweren Ziegelstein, den keiner zu brauchen glaubte, zu einem Gegenstand des täglichen Lebens, so klein, so elegant und so selbstverständlich wie ein Kaffeelöffel. Die Zeit zeigen die Geräte auch noch an, mit zwei Punkten und vier Zahlen, klein, am Rande, aber wichtig ist das ohnehin nicht mehr: Blickten die Menschen mindestens ein Jahrhundert lang ängstlich auf ihre Armbanduhr, um auch ja immer pünktlich zu kommen, schreiben sie heute einfach eine SMS, dass es leider ein bisschen später werde. Das Handy hat nicht nur die Uhr abgeschafft, sondern gleich noch die getaktete, die gestückelte Zeit. Nur mit zwei Zeigern, einen für die Stunden, einen anderen für die Minuten, lassen sich die Uhren nach Meinung vieler Experten also nicht mehr verkaufen. Swatch entwickelte bereits 1998 die „Swatch Talk“, eine Armbanduhr, mit der man auch telefonieren konnte, was allerdings ziemlich merkwürdig aussah. Das Gerät verschwand dann auch ziemlich schnell wieder. Vielleicht hatten die Produktentwickler einfach zu viel „Knight Rider“ gesehen, jene amerikanische Serie, in welcher der Detektiv David Hasselhoff in der größten Gefahr seine Armbanduhr an den Mund führte und „ich brauch dich“ bellt, woraufhin dann sein Auto zu seiner Rettung durch Wände sprang und durch Meere tauchte. David Hasselhoff allerdings sah schon in den achtziger Jahren nicht gerade wie ein Mann der Zukunft aus. Daten am Handgelenk Bei Lucas Alexander Karl Scheybal, dem Chef des österreichischen Uhrkonzerns LAKS, ist das anders: „Ich bin“, spricht Scheybal, „nicht die Sorte Mann, die immer die Technik der Zukunft will. Ich bin die Sorte, die sie hat.“ Und als er dann vor fünf Jahren einen der ersten USB-Sticks bekam, riss er dessen metallene Hülle weg, so gierig wie ein Kind das Papier vom Weihnachtsgeschenk und lötete das übrig gebliebene Skelett an die Rückseite einer Uhr. Die erste USB-Watch brachte LAKS hohe Gewinne, denn seither kann man nicht nur die Zeit am Handgelenk tragen, sondern auch die wichtigsten Daten. Und sollte Scheybals heute neunjährige Tochter in den nächsten Jahren einmal daran zweifeln, ob sie das alles auch wirklich braucht, dann wird ihr Vater ihr ein paar Euro auf die Uhr laden und sagen: „Jetzt geh dir Pommes Frittes davon kaufen. Dann siehst du schon, wie nützlich das ist.“ LAKS produziert derzeit nämlich Uhren mit einem speziellen Chip, der kontaktloses Zahlen ermöglichen soll; ein virtuelles Portemonnaie am Handgelenk. Ähnliches versucht auch Marktführer Swatch. In Dutzenden Skiparks kann man sich den Pass auch auf die Uhr laden; und als im Juli diesen Jahres das neue Fußballstadion in Bern eröffnete, trugen die Zuschauer statt Tickets aus Papier eine Swatch am Handgelenk. Viele von ihnen hatte Pulli oder Hemd hochgerollt, damit auch jeder die Uhr sehen konnte, sie wirkten wie Soldaten, voller Stolz auf ihre neueste Waffe. „Durchsetzen wird sich das aber nicht“, sagt Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut in Kelkheim. „In naher Zukunft werden wir mit Fingerabdruck zahlen können, das ist viel einfacher.“ Es scheint, als sei noch die eleganteste, die leichteste Uhr einfach ein wenig zu materiell in diesen virtuellen Zeiten. Wenig aussichtsreich ist Wenzels Meinung nach auch der Versuche von Swatch, Tissot und Fossil, in Zusammenarbeit mit Microsoft sogenannte Smart Watches anzubieten, die auch Nachrichten empfangen können. Und während Swatch noch Probleme damit hat, ein paar Nachrichten auf die Uhr zu schicken, beschäftigen sich die Mobilfunkunternehmen mit der Frage, ob wir in Zukunft dreißig oder nur acht Fernsehkanäle auf dem Handy empfangen können. Bis zu 70 Prozent ihres Entwickungsbudgets investieren die Hersteller in die sogenannten Smart Phones, Hybriden aus Taschencomputer und Telefon. Mit UMTS wird auch die Verbindung zum Internet immer besser. Und so ist dank Handy unser Büro schon bald 24 Stunden am Tag bei uns. Dann brauchen wir auch keine Armbanduhr mehr, die uns mit ihren langen Zeigern morgens zur Arbeit schubst, uns dort im Kreise dreht, aus dem sie uns abends dann wieder herausschleudert. Kalorien und Schönheit zählen Nicht mehr unsere Zeit, wohl aber unseren Körper darf die Uhr noch kontrollieren: Einige der wenigen Firmen, die auch in den letzen Jahren Erfolg hatten, sind Polar und Suunto. Deren Digitaluhren messen Puls und Blutdruck, zählen verbrauchte Kalorien, alle diese Daten können sie auch an den Home-Computer übermitteln; so wird jeder Nutzer zum Planungsbüro des eigenen Körpers. „Aber auch das bleibt nur eine Nische“, glaubt Wenzel. Und rät den Uhrherstellern, nicht Computer und Handy nachzuahmen, sondern sich auf ihre einzige Stärke zu konzentrieren: die Schönheit, die zeitlose Schönheit
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Denn die fehlt noch den Handys – auch wenn sich die Hersteller derzeit verstärkt um sie bemühen. „Unsere neuen Modelle verkörpern Image und Status, ganz wie edle Uhren“, sagt etwa Alastair Curtis, einer der Design-Verantwortlichen bei Nokia. Aber auch er weiß, dass die meisten Geräte nach zwei Jahren weggeschmissen werden, weil man mit den neuen noch mehr Fotos schießen, noch mehr Filmchen schauen kann. Uhren aber bleiben von diesen technischen Revolutionen verschont, denn sie sind ja funktionslos. Mit „interesselosem Wohlgefallen“ betrachten wir sie mittlerweile, und glaubt man Immanuel Kant werden sie genau dadurch zum Kunstwerk. Im Grunde müsste man die Zeiger gar nicht mehr rotieren lassen. Es würde genügen, sie wie in den Katalogen, wie in den Läden, auf zehn nach Zehn stehen zu lassen. Dann verdecken sie den Markennamen nicht - und lächeln zufrieden. Bilder: dpa, ap, LUKS