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Die Redaktion gesteht: Meine Viertelstunde Ruhm
1. Die Pferdenärrin
Ob ich nicht Lust hätte, in die Kartei seiner Modelagentur aufgenommen zu werden. Das fragte mich ein Bekannter meiner Mutter in München, als ich gerade 14 Jahre alt geworden war. Für viele Mädchen gibt es in diesem Alter kaum etwas Erstrebenswerteres und so war auch ich von der Idee hellauf begeistert. Es folgte das erste Shooting für meine Setcard und das dazugehörige Modelbuch. Diese beiden Dinge waren von nun an Bestandteil meines Schulrucksacks, denn die Anrufe der Agentur für am Nachmittag stattfindende Castings kamen so spontan hereingerieselt, dass keine Zeit blieb, vorher noch einmal nach Hause zu gehen. Ungefähr zweimal die Woche fuhr ich in die Redaktionshäuser der Sugar, der 16, der Mädchen und der Bravo Girl. Mein erster Auftrag war eine Modestrecke für Countryklamotten in der Bravo Girl. Ich traf das Produktionsteam in einem Studio über dem Nachtclub „Titty Twister“ im ehemaligen Kunstpark Ost. Man hübschte mich auf, zupfte an mir herum und schließlich ging es in einem mit Schminke, Klamotten und Cola vollgestopften Bus ab ins Grüne. Auf einem alten Pferdehof folgte ich den Anweisungen des Teams und schlüpfte von einem Western-Outfit in das nächste. Mit einer blassen Polin, die fünfmal so dünn war wie ich und weder Deutsch noch überhaupt irgendeinen Ton von sich gab, sollte ich in einer Schubkarre sitzen und strahlen, zwischen Strohballen herumtollen und strahlen, neben alten Satteln stehen und: strahlen. Auf den Testbildern sah die Polin jedes Mal aus wie die junge Göttin Fröhlichkeit höchstpersönlich. Aber immer wenn ich mich zu ihr umsah, starrte sie apathisch ins Nichts. Sie war wie ein Geist und machte mir Angst. Aber irgendwie bewunderte ich sie auch. Weil sie eine Art Symbol für die große, aufregende Welt des Modelbuisness war. Auf dem Weg zurück in den Kunstpark schlief ich vor lauter Erschöpfung mit dem Kopf am Vordersitz lehnend ein. Zwei Wochen später flatterte am Dienstagnachmittag das Heft ins Haus und da war mein Gesicht. Mehr noch: mein ganzer Körper. Ich. Auf mehreren Seiten. Ich war stolz plötzlich Teil einer Welt zu sein, deren wahre Existenz ich vor lauter Unerreichbarkeit eigentlich immer angezweifelt hatte. Tags darauf bekam ich in der Schule zwar Komplimente und Bewunderung entgegengebracht, andererseits aber auch böse Tuscheleien und jede Menge spöttischer Bemerkungen. Die von der Moderedaktion hatten sich natürlich nicht gescheut, meinen echten Namen zu verwenden. Die Bilder trugen Untertitel wie: „Mercedes die Pferdenärrin trägt ein Karohemd von H&M, eine umgeschlagene Jeans von Pimkie und Stiefel von Deichmann“. Pferde fand ich damals schon scheiße und kein Image peinlicher als das des Pferdemädchens. Aber immerhin gab es gutes Geld und vielleicht war das ja erst der Anfang einer rauschenden Modelkarriere, überlegte ich kühn vor mich hin. Wirklich besser wurde es aber auch bei folgenden Serien („Wie style ich mich für‘s erste Date“ oder „Welche Frisur passt zur Gesichtsform? Heute: das runde Gesicht!“) nicht. Jedenfalls gab es bei den Shootings immer Nudeln, Pizza und Cola, und das verdiente Geld konnte ich hemmungslos für Klamotten ausgeben. Als ich ein Jahr später aus München wegzog, ließ ich mit den Castingbesuchen schließlich auch die Chancen auf weitere Jobs hinter mir. Die alten Fotostrecken liegen immer noch in meinem Regal und einem der Regale meiner Großeltern - irgendwo zwischen Tagebüchern, Fotoalben und Zeitungsartikeln. Rausgeholt werden sie immer bei Schnaps und Zigaretten (oder wahlweise Kaffee und Kuchen), wenn es mal wieder darum geht, wer wann einmal so etwas wie „wichtig“ gewesen ist. Was auch immer das eigentlich heißen mag. mercedes-lauenstein
2. Die Kleindarstellerin
Vor ein paar Jahren stand ich immer wieder vor Gericht. Und vor der Kamera. Während dem Studium jobbte ich nämlich als Kleindarsteller. Ob "K11" oder "Jugendgericht" - kein Format war mir zu niedrig, kein Charakter zu unsympathisch. Ich war der Psycho, die Mörderin, die Schläger-Freundin. Ich brachte Väter und Freundinnen um und attackierte Polizisten. Nur einmal durfte ich Entführungsopfer sein. Allerdings musste mich der Kidnapper fünfmal angreifen, bis die Szene im Kasten war – und ich kam mit blauen Flecken nach Hause. Zu meiner Verbrecherkarriere im Fernsehen bin ich durch ein Casting gekommen, während dem ich unter anderem so tun musste, als stünde ich schon acht Stunden in einem Bus oder als käme ich von einer Beerdigung oder von einer Party. Dann musste ich Texte vortragen und mich mit anderen Teilnehmern kameratauglich streiten. Am Ende des Tages war ich nicht nur fertig, sondern auch in der Kartei. Zwei, drei Tage vor jedem Kleindarstellereinsatz lag das Drehbuch im Briefkasten und dann musste ich Text lernen. Darunter hatten vor allem meine Nachbarn zu leiden. Denn um mir die seitenlangen Dialoge einzuprägen, schrie, heulte und wütete ich, was das Zeug hielt. Wahrscheinlich glauben sie bis heute, dass eine Verrückte neben ihnen gehaust hat. Der Drehtag selbst begann früh und meistens mit einer Panik. Nicht wegen des Lampenfiebers, sondern weil ich zuerst zu Kostüm und Maske musste. Und man wusste nie, wie man die Garderobe wieder verlassen würde: ganz in Pink mit Barbie-Make-Up oder mit Springerstiefeln und Totenkopfringen behangen. Widerspruch war zweckslos, die Damen kannten kein Pardon. Danach wurde man verkabelt, also mit Mikro und Sender versehen und es ging ab zum Dreh. Text- oder Spielproben gab es vorher nicht. Deshalb mussten Szenen auch öfter wegen Versprechern wiederholt werden. Trotz aller Emotion durfte man laut Regieanweisung auf keinen Fall Fremdwörter benutzen, damit das Zielpublikum auch alles verstand. Obwohl mir das Spielen wirklich Spaß machte, war ich nicht besonders scharf drauf, meinen Freunden von dem Nebenjob zu erzählen. Doch schon ein paar Tage nach meinem ersten Einsatz sprach mich eine Freundin an und sagte: „Du, ich hab dich gestern gesehen“. Ich dachte, sie meinte, sie hätte mich in der Uni gesehen. Aber sie meinte das Fernsehen. Und sie sollte nicht die Einzige bleiben. Immer wieder sahen Bekannte das Ergebnis meines peinlichen Nebenjobs. Immer rein zufällig natürlich, beim Zappen. Wie könnte es auch anders sein. Wer schaut schon solche Serien? klara-jaeger
3. Bei "Verstehen Sie Spaß?"
Meine Grundschule in München war immer ein beliebtes Ziel von Fernsehleuten vom Bayerischen Rundfunk. Unter anderem wurden in der Turnhalle mal die Erklärszenen für die Sendung “Dingsda” aufgezeichnet, in der Kinder für prominente Studiogäste schwierige Begriffe erläuterten. Ich war damals acht Jahre alt und habe das gemeinsam mit einer Freundin auch gemacht. Nachdem wir mit unserer hochphilosophischen Erklärung von „Glück“ fertig waren, wurden wir gefragt, was wir denn täten, wenn uns auf einmal Paola Felix über den Weg laufen würde und welchen Streich wir ihr spielen würden? Die Sendung “Verstehen Sie Spaß?” mit dem Schweizer Ehepaar Paola und Kurt Felix kannte damals jeder. „Unter den Rock gucken!“ schrien wir gleichzeitig. Nach dem Dreh verließen wir glucksend die Turnhalle und um die Ecke bog - Frau Felix. Wir waren natürlich überrascht, dachten uns aber schon, dass es sich wohl um eine Falle handelt. Wir fackelten nicht lange. Ich kroch auf den Boden und meine Freundin lupfte den Rock von Paola Felix. Danach wurden wir aufgeklärt: An dem Tag wurde allen Dingsdakindern die Frage gestellt und allen erschien nachher Paola Felix. Später wurden wir zur Aufzeichnung der Sendung nach Göppingen eingeladen. Unser Streich wurde gezeigt, wir wurden kurz auf der Bühne interviewt und mussten mit Paolas Kinderchor Playback singen. Willy Millowitsch und Reinhold Messner waren auch da. Neben dem verdienten Ruhm wurde uns auch ein Besuch im Delphinarium versprochen. Das ging aus irgendeinem Grund nicht und wir bekamen stattdessen einen Plastik-Delfin zum Aufblasen und 100 Mark. Bei irgendeiner Mutter verstaubt, soweit ich das weiß, die Videokassette mit dem Mitschnitt der Sendung. Ich habe die Aufnahme noch nie gesehen. judith-kampl
4. Die Profi-Pantomimin
Mein Ruhm kam früh, was vermutlich gut war, sonst wäre er mir möglicherweise nicht gut bekommen und ich wäre über kurz oder lang zur deutschen Lindsay Lohan geworden. So konnte ich relativ souverän mit den Begleitumständen umgehen und mich im Anschluss daran wieder in das ganz normale Leben eines Grundschülers einreihen. Es kam so: Ich war sieben Jahre alt, als ein Bekannter der Eltern, von Beruf Fotograf, den Auftrag erhielt, das Buch „Pantomime für Kinder“ für den deutschen Markt neu zu bebildern. In dem Buch ging es darum, Kindern im Grundschulalter beizubringen, wie sie nur mit Gesten Dinge ausdrücken konnten. Warum? Ich habe bis heute keine Ahnung, welchen tieferen Sinn und Zweck die Pantomime in der Pädagogik hat. Aus irgendwelchen Gründen wurden neben den Fotografen-Kindern auch mein Bruder und ich gecastet. Die Arbeit war nicht allzu schwer: Ein paar Tage wurden wir dabei fotografiert, wie wir über unsichtbare Hecken stiegen, imaginäre Glastüren zur Seite schoben und zu zweit einen Haufen "sehr, sehr schwerer Ziegelsteine" durch die Gegend trugen. Der Hintergrund bestand aus einer riesig großen Papierrolle, auf die wir uns nur barfuß stellen durften. Ich hatte eine rote Cord-Hose und einen blau-gestreiften Nicky-Pullover an. Ich sah wirklich atemberaubend kindgerecht aus. Und ich hatte sehr, sehr viel Spaß. Als die Aufnahmen vorbei waren, bekamen alle Teilnehmer ein Buch zur Ansicht geschenkt. Wenn es Geld für uns Darsteller gab, dann hat mir das meine Mutter bis heute vorenthalten. Im Übrigen hat mich auch diese frühkindliche Begegnung mit der Mimen-Profession nicht zu einem Fan des Genres werden lassen. Auch ich werde von Scham überwältigt, sobald ich in der Fußgängerzone einen Menschen mit weißgeschminktem Gesicht und aufgemalter Träne zu sehen bekomme. christina-waechter
5. Ein Dingsda-Kind
Auch ich war im Fernsehen. Meine ruhmvollen Sekunden hatte ich in auch in "Dingsda", einer Fernsehsendung, von der ich damals nicht mal den Namen wusste.
Irgendwann kam eine nette Frau bei uns an die Schule und machte ein Casting, bei dem sich jedes Kind, das wollte (alle wollten), sich auf einen Stuhl vor sie setzen und einen Begriff erklären musste. Anschließend wurde ein Foto gemacht.
Ich musste bei der Gelegenheit eine Messe erklären, die in jenem Jahr stattfand, von der ich aber eigentlich kaum etwas wusste. Anscheinend war sie aber doch bekannt genug, dass sogar Grundschulkinder etwas davon mitbekommen hatten. Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, welche Messe es war - aber ich redete damals, was das Zeug hielt.
Zwei Schüler bestanden das Casting. Ein anderes Mädchen und ich. Wir hatten beide keine Ahnung, was wir da machten, aber wir waren sehr stolz, zu den Auserwählten zu gehören. Irgendwann fuhr ich dann mit meiner Mutter, die auch sehr stolz auf mich war, zu einem Haus, in dem etwas aufgezeichnet wurde. Dort warteten wir. Als wir dran waren, wurden wir in ein Zimmer gebracht, in dem eine winzige, altmodische Schulbank, auf die wir uns setzten sollten, vor bunten Hintergrund stand. Dort sollten wir dann vor einigen Leuten und einem Kamerateam noch einmal diese Messe erklären.
Als die Sendung dann ausgestrahlt wurde saß ich mit meiner Familie vor dem Fernseher. Als ich dann gezeigt wurde, um den Erwachsenen das Raten zu erleichtern, war ich ein bisschen enttäuscht. Ich tauchte nur vier Sekunden auf und gab wirres Zeug von mir. Es hat kaum jemandem weitergeholfen. Aber stolz war ich irgendwie trotzdem.
marion-gallus
Text: jetzt-redaktion - Illustration: katharina-bitzl