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Die Rauchnote
„Hurra, hurra, die Schule brennt“ heißt ein Lied der Band Extrabreit aus den Achtzigern. Für die einen klingt das nach Rebellion, für andere nach blinder Zerstörungswut. So ähnlich verhält es sich auch mit der Aktion von George Papa, einem vierfachen Vater aus Berlin. Papa ist studierter Architekt und arbeitet als Projektmanager. Der 38-Jährige mit der blassen Haut und den dunklen Haaren ist das Gesicht des Netzwerks "unschulbar", das seit Januar 2014 Schüler dazu aufruft, öffentlich ihre Zeugnisse zu rauchen.
Papa selbst begründet die Aktion so: „Zeugnisse sind total subjektiv. Zum einen liegt das am Lehrer - man kann im selben Fach bei verschiedenen Lehrern total unterschiedliche Noten haben. Zum Anderen an der Prüfungssituation – jeder kann mal einen schlechten Tag haben." Weiter erklärt er: „Eine Note ist keine Belohnung für einen Schüler. Noten sagen nichts über die Begabungen eines Schülers aus.“
Dass Noten auch einen Ansporn darstellen können, glaubt er nicht: „Ich kenne keinen Schüler, der sich darüber freut. Das ist eine Minderheit", sagt Papa. Der Leitspruch seines Netzwerkes ist deshalb "Du bist nicht deine Schulnoten" - so will er kritisches Denken und am Ende eine schulsystemkritische Bewegung ins Rollen bringen.
Unschulbar existiert seit Juni vergangenen Jahres und ist aus der Stiftung Leonidasnet hervorgegangen, die sich für das vermehrte Lernen von Programmiersprache einsetzt. Papa ist dort Projektleiter. Auf der Website von unschulbar kann man auch einen Clip ansehen, in dem Jugendliche eine Rauchaktion inszenieren. Sie bitten Passanten um Feuer und stecken sich daraufhin eine Zeugnisrolle gefüllt mit einer Unmenge Tabak an. Fast alle Reaktionen sind belustigt. Ein echtes Zeugnisrauchen hat allerdings noch nicht stattgefunden.
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Auf der Website von unschulbar klagt außerdem ein anonymer Schreiber in einem Brief die Elterngeneration an, Diener eines unmoralischen Systems aus Kapitalismus, Selbstoptimierungswahn und Leistungsdruck zu sein. Papa sagt dazu: "Dieser Text ist eine Botschaft an die Eltern, dass sie sich selbst den Spiegel vorhalten müssen, bevor sie ihre Kinder als faul und orientierungslos abstempeln. Der ganze Druck kommt letztlich meistens von ihnen." Ihm zufolge habe eine 16-Jährige sich Ende Januar das Leben genommen, weil ihre Eltern ihr wegen schlechter Noten ihr Lieblingshobby, das Klettern, verboten hätten.
Allerdings sagt Papa auch von sich selbst, dass er seine Kinder anfangs unter Druck gesetzt habe. Erst vor vier Jahren begann er die Ursache von schlechten Leistungen beim Schulsystem und nicht mehr bei seinen Kindern zu suchen. Auslöser für die unschulbar-Aktion war dann ein Ereignis im vergangenen Oktober: Papas achtjähriger Sohn kam von der Schule und meinte, er sei dumm, weil er Nachhilfe nehmen muss. Von da an war Papa fest entschlossen, etwas zu ändern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die anonyme Anklageschrift an die Eltern auf seiner Website bekam positive Resonanz: "Viele Schüler haben uns mitgeteilt, dass dieser Text sie sehr bewegt hat. Viele sagten, sie hätten geweint", erzählt Papa.
Eltern und Lehrer hingegen kritisieren das Projekt massiv. Er bekommt Mails, in denen er als "DDR-Nostalgiker" beschimpft wird. Denn einen Haken hat Papas Kritik: Sie ist pauschal. Unschulbar bietet auf seiner Website zum Beispiel T-Shirts mit Stinkefinger-Motiv oder dem Aufdruck "Fuck Schule" an. Ob solche Mittel zu differenziertem Denken erziehen, kann man hinterfragen.
Alexander Nast von der Gegeninitiative "unschulbar.org" hält Papas Vorgehen für problematisch: "Zeugnisse im Allgemeinen finde ich auch nicht gut. Den Gedanken hinter der Aktion von unschulbar finde ich also richtig, aber die Mittel sind plakativ, reißerisch und zerstörerisch. Das kann am Ende sogar kontraproduktiv sein." Den ähnlichen Webseiten-Namen wählte er, damit seine Gegenpetition beim Googlen von "unschulbar" direkt miterscheint. Seine Bedenken gegenüber der Aktion erklärt er so: "Da ist die Angst, dass die Jugendlichen nur das Plakative sehen, nach dem Motto 'Wir scheißen auf alles. Wir zünden jetzt diese Zeugnisse an. Egal, jetzt chillen wir mal 'ne Runde!' Und da ist die Angst, dass das noch schlimmere Folgen hat, dass sich die Schüler gar nicht mehr mit ihrer Zukunft befassen."
Papa teilt diese Befürchtungen nicht. Er sieht die Gleichgültigkeit als Mittel zum Zweck, durch das er einen rapiden Leistungsabfall provoziert, der die Politiker zwingt, sich mit dem Thema Zeugnisnoten zu beschäftigen. "Die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren drastisch verändert, das Schulsystem gar nicht. Um eine Kleinigkeit zu erreichen, muss man auf solche drastischen Mittel zurückgreifen. Wir sind nicht gegen Schule, aber wir wollen eine Schule, die in das 21. Jahrhundert passt", sagt er.
Um noch mehr Menschen davon zu überzeugen, will unschulbar ab dem 21. März unschulbar mit einem Bulli quer durch Deutschland touren und Werbung für die Aktion machen. Papa hat in 16 Bundesländern Versammlungen angemeldet. Für Berlin hat er 1000 Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor angekündigt. Das stößt allerdings nur selten auf Begeisterung: Mathias Brodkorb, SPD-Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern, hat bereits die Eltern davor gewarnt, ihre Kinder Zeugnisse rauchen zu lassen. George Papa hat selber unter sein Video von der ersten Rauchaktion geschrieben, dass nur über-18-Jährige ihr Zeugnis rauchen dürften, für Jängere sei es verboten.
Die Gruppe der Schüler, die legal an der Aktion teilnehmen kann, minimiert sich also.
Wer trotzdem unbedingt sein Original-Zeugnis verrauchen möchte, ist nicht auf ewig verloren: Gegen Vorlage von Geburtsurkunde, Personalausweis und einer Gebühr von meistens fünf Euro bekommt man beim Schulamt eine Zweitschrift. Dass es sich dabei nicht um das Original handelt, wird allerdings auf dem Zeugnis vermerkt. Gegebenenfalls muss man dann auf Nachfrage im Vorstellungsgespräch erzählen, was aus dem Original-Dokument wurde. Die Antwort "habe ich geraucht" wird, so lange sich George Papas Initiative nicht durchsetzt, wohl nicht jedem Personaler gefallen.