- • Startseite
- • Redaktionsblog
-
•
Die Opposition ist nicht verschwunden - sie wartet nur
Im Gedränge des Teheraner Flughafens sind besonders viele von ihnen unterwegs: junge Frauen mit Pflastern auf der Nase. Angebliche Überbleibsel kürzlicher Schönheitsoperationen. Man sieht sie überall auf den Straßen in Iran. Auch an Männernasen. Viele der Pflasterträger und -trägerinnen haben gar keinen Eingriff hinter sich, sagt der deutsche Reiseführer. Aber wer sich eine Schönheitsoperation leisten und so immer mehr den Hollywood-Schönheiten im Ausland gleichen kann, der gilt was.
So viel ist also schon kurz nach der Ankunft in Iran von der vermeintlich westlichen Kultur zu sehen. Dabei wurde das Atomabkommen, das eine engere Zusammenarbeit zwischen der islamischen Republik mit den USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland ermöglichen soll, erst im Juli auf den Weg gebracht. Einhelliger Tenor danach: Iran öffnet sich dem Westen. Medien raten auf einmal dazu, das Land noch zu bereisen, bevor es „wie alle anderen“ wird. Und auch eine Gruppe europäischer Reisender am Flughafen erzählt, sie wollten jetzt „noch mal schnell nach Iran.“ Das Land weiß das zu nutzen - seit Kurzem gibt es Visa für 30 Tage am Flughafen, statt wie bisher nur für zwei Wochen. Das soll Fahrt in die Tourismusindustrie bringen.
Aber ist es wirklich das Atomabkommen, dass Iran immer mehr dem Westen angleicht? Eher nicht. Schönheitsoperationen, Modern Talking und andere westliche Kulturprodukte gibt es dort schon lange. Das, was das Land wirklich veränderte, war die Grüne Revolution 2009. Damals gingen nach den Präsidentschaftswahlen viele junge Iraner auf die Straße, um gegen das mit hoher Wahrscheinlichkeit manipulierte Wahlergebnis zu demonstrieren, das den damaligen Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad im Amt bestätigte. Die Bewegung forderte Reformen, mehr Rechte. Am Ende gab nach Regierungsangaben 36 Tote und Tausende Inhaftierte, von denen viele später wieder freigelassen wurden. Seitdem ist es um die iranische Opposition ruhig geworden. Der Arabische Frühling? Hat nicht auf Iran übergegriffen. Die iranische Internet-Polizei, die auch das Internet regelmäßig drosselt und zensiert, hat vermutlich ihren Anteil daran. Trotzdem sind die Jugendlichen, die 2009 auf der Straße waren, noch da.
In dem Hof stehen auch junge Frauen und rauchen, ohne gepflasterte Nasen - und ohne Kopftücher
Im Hof eines unscheinbaren Gebäudes, das auch ein Wohnhaus sein könnte, liegt das österreichische Kulturforum, derzeit die einzige westliche Kulturinstitution in Iran. In der Gegend wohnen viele Künstler, es gibt Galerien und Cafés, in denen Kunststudenten rumhängen, im Hof des Kulturforums warten junge iranische Männer und Frauen unruhig auf den Einlass. Viele der jungen Frauen rauchen, ohne gepflasterte Nasen - und ohne Kopftücher. Ein seltsamer Anblick in dem sonst so restriktiven Land. Aber hier gibt es keine Sittenwächter. Das hier ist österreichischer Boden, also gelten österreichische Gesetze. Dass der Hof von der Straße einsehbar ist, stört die Frauen nicht. Unter den Wartenden ist auch Farima. Sie arbeitet am Theater, kann wie viele junge Kreative in Iran von ihrer Arbeit aber nicht leben und wird deshalb von ihren Eltern finanziert. An ihrem Handgelenk trägt sie eine grüne Uhr. „Seit der grünen Revolution tragen viele von uns ein Zeichen davon an sich. Ein grünes Armband oder so. Bei mir ist es die Uhr", sagt Farima. Die grüne Revolution ist zwar vorbei, aber Orte wie dieser sind geblieben. „Und die Leute im Gefängnis, die sind natürlich auch geblieben,“ sagt Farima lakonisch.
Die meisten Wartenden am Kulturforum lernen hier Deutsch. Heute sind sie allerdings wegen etwas anderem hier: Ein skandinavisches Jazz-Trio tritt auf, die Plätze sind knapp. Auch Amir, Ende zwanzig, ist mit seiner Freundin Sina und ein paar Freunden hergekommen. Sina ist Deutschlehrerin und spricht die Sprache fließend, weil ihre Familie dort gelebt hat. Für sie und Amir gehören deutsche Werke selbstverständlich zu ihrem Literaturkanon. Böll, Hesse, Nietzsche - alles gelesen. Da sind Gespräche in der Warteschlange über iranische Literatur umständlicher. Iranische Bücher, die in Deutschland beliebt sind, kennt in Iran oft niemand. Mahmud Doulatabadi gehört zum Beispiel zu Irans berühmtesten Autoren. In seiner Heimat wartet er seit zehn Jahren auf die Veröffentlichung eines seiner Werke. Shariar Mandanipurs Buch „Eine iranische Liebesgeschichte zensieren“, bekam in Deutschland positive Rezensionen und wird in Iran nicht gedruckt. Schließlich geht es in dem Roman darum, wie die Zensur sich auf die Werke iranischer Autoren auswirkt. Mandanipurs Liebesgeschichte findet in Teheran statt, die zentrale Szene spielt in einem Internetcafe. Der Streit ums Internet zwischen den konservativen und progressiven Kräften gehört inzwischen genau so zu Iran, wie die Zensur und das Kopftuch.
Das Ministerium für Kommunikation und Informationstechnologie liegt nur ein paar Straßen vom österreichischen Kulturforum entfernt. Im vergangenen Dezember forderte Kommunikationsminister, Mahmud Waesi, jeder Internetnutzer solle sich registrieren - damit man ihn besser überwachen kann. Ein Internetrat soll vor schädlichem kulturellen und gesellschaftlichem Einfluss aus dem Westen durch das Internet schützen, für die Kontrollen im Netz gibt es eine eigene Internetpolizei. Offiziell sind soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook blockiert, schätzungsweise sind trotzdem 20 Millionen der 75 Millionen Einwohner Irans regelmäßig online. Filter zu umgehen, ist besonders für junge Menschen kein großes Problem. Gleichzeitig benutzen der iranische Präsident und die Revolutionsführer gleichermaßen die sozialen Netzwerke. Den Abschluss des Atomabkommens verkündete Präsident Rohani auf Twitter.
Außerhalb des Internets sind es Orte wie das österreichische Kulturforum, an denen sich die kritische kulturelle Szene ungestört treffen kann. Das ist nicht selbstverständlich. Farima erzählt, dass sich einige ihrer Bekannten über Facebook zu einer Wasserschlacht in einem Park verabredet haben. Es gab keine politische Botschaft, trotzdem wurde die Mehrheit von ihnen sofort verhaftet. Auf Veranstaltungen wie denen im Kulturforum, geht es deshalb primär darum, sich offline zu vernetzen. Zu zeigen, dass man noch da ist. Es wirkt so, als hätten sich die jungen Leute, die damals auf der Straße standen und demonstrierten, in die Kultur zurückgezogen. Da, wo es ungefährlich ist.
Der Raum, in dem das Jazz-Konzert stattfindet, ist komplett voll. Nach dem letzten Song gibt es tosenden Beifall. Die Musiker lächeln gerührt und ein bisschen überrascht. Dort drinnen kann die Opposition laut sein. Sie hofft, dass das draußen auch bald geht.
Text: pia-rauschenberger