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Die mit dem roten Haarband

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An manchen Tagen wäre ich gern jemand anderes, also rein optisch gesehen. Ich liebe Haarbänder, die man sich um den Kopf knoten kann. Oder weite Hosen aus fließendem Stoff, die man auf der Taille trägt. Und am liebsten hätte ich an jedem Finger einen kleinen goldenen Ring - heimgebracht von meinen Reisen in die Welt.

Trotzdem bin ich fast nie derart angezogen, weil ich nicht auffallen will. Meine Umwelt hat schon ein bestimmtes Bild von mir - jedenfalls denke ich das. Und wenn ich anders als sonst auftrete, ist das ungefähr so, als wenn ich ihr auf einmal einen dreibeinigen Stuhl hinstellen würde. Oder eine Tasse ohne Henkel. Irgendetwas stimmt hier nicht, sagt das Gehirn dann. Es würden Bemerkungen kommen, Fragen, neugierige Blicke. Letztendlich geht es mir also um Erwartungen an mich und um Feedback. Um Feedback, auf das ich keine Lust und vor dem ich ein bisschen Angst habe.

Dabei bietet einem das Leben ja durchaus Chancen, sich neu zu erfinden: Studienbeginn, Umzüge in andere Städte oder ein neuer Job. Aber irgendwie habe ich sie alle verpasst. Und dann auf einmal mittendrin damit anzufangen und plötzlich auf hohen Absätzen zur Arbeit zu klackern kommt mir komisch vor. Schließlich hat man da auch schon ein festes Bild von mir. Änderungen sind erst wieder beim nächsten Umzug möglich.

Meine Liebe zu Wallehose und Haarband habe ich deswegen diesen Sommer im Urlaub ausgelebt. Der Campingplatz war mein Laufsteg, die vier alten Schweden und die belgische Familie, die neben unserem Bus gecampt haben, mein Publikum. Keine irritierten Blicke, keine Kommentare. Drei Wochen lang war ich die kopfumwickelte Hippie-Ikone der österreichischen Alpen und kroatischen Adria. Dann ging es heim, ich hängte das Haarband an den Spiegel in meinem Zimmer und hab es bis heute nicht mehr in die Hand genommen.

Neben der Anonymität des Urlaubs bieten auch Verkleidungspartys die perfekte Gelegenheit, um einmal ganz legitim seine geheimen Stylingwünsche auszuleben. Den letzten Beweis dafür lieferte ein Freund, der sich verdächtig oft durch seine Dreadlocks-Perücke fuhr. Auf meinen Kommentar, dass die Frisur ihm irgendwie stehe, erwiderte er atemlos: „Findest du?“. Fand ich. Und ich hätte wahrscheinlich auch nichts dazu gesagt, wenn er angefangen hätte, sich welche wachsen zu lassen.

Bei ihm hätte es mich nicht gestört. Warum denke ich dann, dass eine Welle des Staunens losbricht, wenn ich an mir etwas ändere? Spätestens nachdem ich das dritte Mal in Folge mit Kopfband, hohen Schuhen oder was auch immer zur Arbeit gekommen wäre, hätte wahrscheinlich niemand mehr etwas gesagt. Das Bild von mir wäre eben um die Kategorie „Haarband“ erweitert worden.

Ich sollte es vom Spiegel herholen.


Text: nadine-wolter - Illustration: Katharina Bitzl

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