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Die jungen Anderswähler

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Unter dem Begriff Volkspartei versteht man eine Partei, die für alle wählbar ist, die eine breite Masse anspricht und die in ihrem Parteigeschichtsbuch Wahlergebnisse um die 30 Prozent und mehr verzeichnen kann. Wenn man diese Kriterien nimmt und sie wie eine Schablone über die Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern legt, kommt man zu einem verwunderlichen Ergebnis: Für die Erstwähler dort scheint so etwas wie eine Volkspartei nicht mehr zu existieren.

Nach den Erkenntnissen des Meinungs- und Wahlforschungsinstitut infratest-dimap finden die meisten Parteien bei den Erstwählern, also denjenigen zwischen 18 und 22 Jahren, fast denselben Zuspruch. Jeweils 13 Prozent der Erstwähler machten ihr Kreuz bei der Linken, den Grünen oder der Piratenpartei. Die CDU kam auf 14 Prozent, die NPD wurde mit 15 Prozent sogar zweitstärkste Kraft bei den Erstwählern. Die einzigen Ausreißer aus diesem Wahlergebnis-Einheitsbrei waren die SPD mit 23 Prozent und die FDP mit 4 Prozent. Trotzdem: Eine Unterscheidung in große und kleine Parteien macht angesichts solcher Ergebnisse fast keinen Sinn mehr.



Die Frage ist, was das für die Zukunft bedeutet. Wenn vermeintliche Außenseiter wie die Piraten und die NPD die jungen Leute dermaßen überzeugen und die Volksparteien schwächeln, müssen wir dann bald von dem uns vertrauten Parteiengefüge Abschied nehmen, in dem es die große Union und die große SPD gibt? Immerhin sind die Jungen das Wahlvolk von morgen.

Bei der jungen Union scheint die Botschaft jedenfalls angekommen zu sein. „Auch wenn wir in anderen Landtags- und Kommunalwahlen schon gute Ergebnisse bei den Erstwählern erzielt haben, ist das natürlich ein Problem“, sagt Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union (JU). „Das muss uns Sorgen bereiten, und die Union muss sich um die jungen Wähler bemühen.“

Das gilt besonders, weil die Erstwähler in Mecklenburg-Vorpommern keine Sonderlinge sind. Wer zum ersten Mal an die Urne darf, entscheide sich auch in anderen Bundesländern häufig für kleine Parteien, sagt Richard Hilmer, Geschäftsführer von infratest-dimap: „Mecklenburg passt in den Befund der Erstwähler insgesamt. Diese Gruppe hat noch keinerlei Parteienbindung und ist sehr offen für kleine und neue Parteien. Das ist auch in anderen Bundesländern zu beobachten.“ Bei Bundestagswahlen sei dieser Trend allerdings nicht so stark ausgeprägt, hier tendieren auch die Erstwähler eher zu den Volksparteien.

Kleine und exotische Parteien finden bei den Erstwählern aus verschiedenen Gründen Zuspruch. Bei den Piraten sei es schon das Alter der Kandidaten, das den jungen Wählern imponiere, sagt Wahlforscher Hilmer: „Es gibt da viele Übereinstimmungen in den Milieus und der Lebenswirklichkeit.“ Auch die Netzaffinität der Piraten spiele eine „enorme Rolle“, weil vor allem junge Leute sich mit Themen rund um das Internet beschäftigen und in den etablierten Parteien keine Kompetenz für dieses Thema entdecken können. Deshalb wolle die JU ihre Mutterpartei hier auch fitter zu machen, sagt Philipp Mißfelder. „Wir haben vor dem Gesetz zur Internetsperre gewarnt, und wir kämpfen dafür, dass im Bereich Netzpolitik realistische Positionen erarbeitet werden.“

Bleibt noch die Art, politische Inhalte zu kommunizieren. Die Piraten verstehen es, junge Wähler anzusprechen. Ihre Plakate wirken oft ein gutes Stück frischer als die der etablierten Parteien, sie pflegen öfter das, was Hilmer einen „spielerischen Umgang mit Politik“ nennt. Auch die NPD habe immer wieder Geschick darin bewiesen, sich den Kommunikationsformen der Jugendlichen anzupassen, ihre Masche, Musik mit rechtem Gedankengut unters Jungvolk zu bringen, ist mittlerweile bestens bekannt. Immerhin kann man feststellen, dass sie im Vergleich zur vorangegangenen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern auch bei den Erstwählern Verluste hinnehmen mussten.

Insgesamt müssen wir wohl trotzdem nicht davon ausgehen, dass sich unsere Parteienlandschaft nachhaltig verändert. Denn je älter die Wähler werden, desto mehr wenden sie sich wieder den etablierten Parteien zu. Die Neigung, etwas Exotisches zu wählen, nimmt ab. Das sei vor allem bei der NPD zu beobachten, sei aber generell ein normaler Prozess, sagt Hilmer: „Der Wertekanon verschiebt sich einfach mit der Zeit. Wenn man langsam ins Arbeitsleben wächst oder langsam an eine eigene Familie denkt, wird Arbeitsmarktpolitik nun mal irgendwann wichtiger als Netzneutralität.“

Bisher kann das nur eine Vermutung sein, schließlich ist das Pflänzchen Piratenpartei noch ein sehr junges Gewächs. Allerdings sprechen die aktuellen Zahlen für Hilmers These. Man sieht diesen Trend zum Beispiel, wenn man die Erstwähler in Mecklenburg-Vorpommern mit der nächstgrößeren Alterskohorte vergleicht, die infratest-dimap als Jungwähler bezeichnet. Zwischen 18 und 24 Jahre sind die alt, zu den Erstwählern bis 22 kommen also die 23- und 24-Jährigen. In dieser Gruppe wählte schon ein Prozent weniger die NPD. Die Piraten kamen auf 10 Prozent, von den 25- bis 34-Jährigen wählten sie nur noch 5 Prozent.

JU-Vorsitzender Philipp Mißfelder scheint vor der Piratenpartei trotzdem einigen Respekt zu haben. Zwar mag er sie nicht als Partei bezeichnen, sondern nur als „Phänomen“. Aber er gibt zu, dass man sie nicht unterschätzen darf: „Auch wenn die Forderungen zum Teil total abstrus sind – die Piraten symbolisieren Protest gegen das Establishment. Es ist mehr Lebensgefühl als Programm, und unsere Aufgabe ist es, den Piraten das Wasser abzugraben."

Vielleicht ist dieses Wasser aber schon zu tief für die Schaufeln der etablierten Parteien.


Text: christian-helten - Illustration: katharina-bitzl

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