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Die Gier, die Ungeduld und das "Man sollte"-Prinzip
1. Die Sache mit der Lesegier Druckerschwärze und Papier, mehr braucht es nicht, um den Leser an magische Orte zu entführen, zum vergnügten Schmunzeln, atemlosen Mitzittern oder verstohlenem Weinen zu bringen und Wörter und Sätze voll zeitloser Poesie zu erschaffen. Wieviele Schätze birgt dann erst ein ganzes Regal, über und über gefüllt mit Romanen und Essays, Kurzgeschichten und Novellen? Doch ungeachtet aller Faszination, die Literatur auf mich ausübt, verbindet sich für mich damit auch ein Problem: mein schlechtes Gewissen. Leider habe ich den großen Fehler gemacht und auf meine Mutter gehört. Ihr mir anfangs durchaus vernünftig erscheinender Ratschlag, jedes meiner ungelesenen Bücher zwecks der besseren Übersicht mit einem weißen Klebezettel zu versehen, hat letztendlich dazu geführt, dass ich nun bei jedem Blick auf mein heißgeliebtes Bücherregal gnadenlos vor Augen geführt bekomme, wie viele tausend Seiten Lesestoff noch der Entdeckung harren, noch gelesen werden wollen, gelesen werden müssen. So groß meine Leselust auch sein mag, noch übertroffen wird sie von meiner Kaufeslust. Buchhandlungen üben eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus und nächtliche Shoppingtouren im Internet führen des Öfteren zu fluchenden Postboten ob der schweren Pakete. Und so ächzen meine Regalbretter unter immer größer werdenden Lasten und türmen sich die Bücher stapelweise auf meinem Schreibtisch, ein jedes sorgfältig versehen mit einem kleinen Fetzchen Papier. Je länger die Liste der ungelesenen Bücher, desto mehr wird Lust zu Last, Vergnügen zu Pflicht, Wollen zu Müssen. Das Einzige, was da noch hilft: Hugendubel-Hausverbot, Amazon-Passwort verstecken und endlich wieder anfangen, nur zu Lesen. Simon Hurtz ***
2. Die Sache mit der Ungeduld
Ich schlafe neben einem wild wuchernden Dschungel aus aufgeschlagenen Büchern und Magazinen. Dabei war der Vorsatz so einfach, als ich vor acht Monaten in meine Wohnung gezogen bin: Kein Bücherchaos mehr! Statt 16 Büchern zur gleichen Zeit lieber eines richtig. Qualität statt Quantität. Ich suchte mir aus meinen vielen Büchern diejenigen heraus, die ich noch nicht gelesen hatte und stapelte sie direkt neben meinem Kopfkissen zu einem hohen Turm. Ich würde ihn Stück für Stück von oben nach unten durchlesen. Ganz oben lag ein Buch über Philosophie, dessen Inhalt ich schon lange in meinen kopfinternen Grundwissenschrank packen wollte. Hochmotiviert fing ich an zu lesen und schaffte gut achtzig Seiten. Am nächsten Tag hatte ich keine Zeit. Am übernächsten war meine Stimmung zu romantisch für theoretische Aufsätze. Eines anderen Tages entdeckte ich im Bücherregal meines Freundes ein Buch, das ich seit Jahren schon lesen wollte. Ich lieh es, war aber nach den ersten 20 Seiten gelangweilt und genervt von dem Schreibstil des Autoren. Das ist überhaupt so ein Problem: Die meisten Bücher langweilen mich schon auf der ersten Seite so sehr, dass mein Geduldsfaden reißt und ich nicht einmal mehr versuche mich "hineinzulesen". Ich will Ergebnisse, sofort! Ich will mich mit dem Inhalt des Buches identifizieren können. Ein Buch muss Sehnsüchte und Leidenschaften in mir wecken, und ja, am besten noch bevor es richtig angefangen hat. Kurze Zeit später fand ich bei meiner Mutter alte Klassiker auf dem Dachboden, kistenweise. Ich packte eine große Ikea-Tüte und schleppte sie heim. Ich schüttete sie aus und wusste gar nicht, womit ich anfangen sollte. Und da war ja auch noch der ungelesene Bücherstapel! Ich dachte: Egal! Ich will alles. Und zwar jetzt! Aus der Mitte des Stapels zog ich gleich mehrere Bücher. Er krachte zusammen und da saß ich wieder: In einem Bad von Büchern. Las mich in jedes von ihnen so gierig hinein, wie man sich durch ein Buffet frisst: Hier von ein Häppchen, da von ein Häppchen, die sechs Sachen mal zusammen auf die Gabel, immer auf der Suche nach der größtmöglichen Geschmacksexplosion. Aber Buffet bleibt eben immer auch Buffet: Danach ist einem eher schlecht, als dass man satt ist.
Mercedes Lauenstein
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3. Die Sache mit dem "Man sollte"-Prinzip
Neulich bin ich wieder mal richtig hingefallen mit einem dieser "Man sollte"-Bücher. Im Laufe einer Woche kamen mir drei mächtig gute Rezensionen zu "Cash" von Richard Price unter. Die Sprache, hieß es großmäulig, sei großartig. Price habe seine Dialoge dem New Yorker Volk so richtig vom Maul weg abgeschrieben. Ich habe das Buch gekauft und nach Seite 70 zugeschlagen. Selten habe ich so unverständlichen Kram gelesen. Es gibt kaum einen Absatz, der in verständlichem Deutsch zu lesen wäre. Die Sätze sind wie Hürden angelegt, über die der Leser springen muss. Ob es am Autor oder vielleicht auch am Übersetzer liegt, kann ich nicht sagen. Ich finde es nur fürchterlich. Ganz ähnlich erging es mir mit dem Buch "CIA - Die ganze Geschichte" von Tim Weiner. Mann, wurde das gut besprochen. Da ich selbst ein potentieller Geheimagent bin, habe ich das Ding gekauft und ganz viel geschnauft. Fast 900 Seiten durchschnittliches Deutsch muss man da bezwingen. Die reine Arbeit dahinter, das Zusammentragen, all das mag aus dem Buch ein Meisterwerk machen. Danke dafür, Herr Weiner. Aber als geneigter Leser hat man außer dem Gedanken "Puh, endlich durch" nicht wirklich viel davon. Und so ist es mit vielen "Man sollte"-Büchern. Es sind Bücher, die die Zeitgeschichte erklären und die Gegenwart verorten. Sie sind wichtig und ich weiß das und ich möchte sie gerne und oft lesen. Aber ich kann einfach nicht, weil soviele Autoren auf die Magie oder die Wichtigkeit des Thema vertrauen. Aber darf die Sprache, wenn der Gegenstand nur brisant genug ist, auf dem Niveau einer hingerotzten E-Mail bleiben? Hach, ich werde zu schwach für solche Lesekämpfe. Manchmal warte ich noch aufs Hörbuch. Das macht diese Sachen hin und wieder erträglich. Anonsten verweise ich immer häufiger auf mein "Man sollte gar nix-Prinzip".
Peter Wagner
Text: jetzt-Redaktion - mit Simon Hurtz und Mercedes Lauenstein