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Die Dinge einer Wohngemeinschaft

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Abflusssieb, das: Die Notwendigkeit des A. wird von der neugegründeten WG so lange ignoriert, bis die morgendlichen Duschen zu wadenhohen Fußbädern werden. Erste Gegenmaßnahme: Wasserstrahl voll aufdrehen und direkt auf den Abfluss richten. Zweite Gegenmaßnahme: Rohrfrei, und zwar das teuerste in der orangenen Flasche. Erst wenn der Monatsverbrauch des Zeugs bis zu vier Flaschen erreicht, erbarmt sich einer und besorgt als dritte Maßnahme das A. Ab jetzt ist es eine Art Barometer für die Hygienekompetenz seiner Nutznießer: Die Umsichtigen entfernen ihre Haare gleich nach der Dusche, die Rücksichtslosen nicht. Die Schuld kriegen allerdings immer nur die schwarzhaarigen Mitbewohner, unter denen sich das Aschblond der anderen gut versteckt: "Jessi, das sind DEINE Haare!!!"

Becher, bescheuerte die: Für die Eltern ist der Auszug des Kindes zumindest in einer Hinsicht eine Erleichterung: Endlich können sie all die geschmacklosen Kaffeetassen loswerden, die das Kind über die Jahre zu den Geburtstagen geschenkt bekommen hat. Spitzenreiter in dieser Kategorie sind die sogenannten Nici-Tassen. Sie sind mit Schafen, Bären oder Nilpferden mit überproportional großer Schnauze bedruckt. Ähnlich schlimm sind die Exemplare von Sheepworld ("Ohne dich ist alles doof") und natürlich längst verblichene Diddl-Tassen von 1999. Diese Sammlung wird ergänzt von zahllosen Werbegeschenktassen (z.B mit einem fancy Tech-Logo aus der Computerfirma des Vaters: "Compufirm") und Starbucks-Bechern, die sich der Hipster-Vormieter gekauft hat, um sich auch beim heimischen Kaffeetrinken so zu fühlen, als würde er überteuertes Zeug trinken.

Cartoon-Hefte: Vielleicht der nostalgiepotenteste WG-Gegenstand, da er in Zeiten des Smartphones vom Aussterben bedroht ist: Print-Klolektüre. Meistens sind das ganze Sammlungen von Asterix, Gaston- oder Mickey-Maus-Heften, die an den Rändern rau und wellig sind und aussehen, als lägen sie bereits seit 1970 auf dieser Toilette herum. Außerdem meist nur auf dem WG-Klo zu findende Hefte: Mens Health, der Werbekatalog von Bauhaus, in touch und natürlich Titanic (irgendeine sechs Monate-alte Ausgabe, die man nach dem Klogang begeistert ins Wohnzimmer trägt und ruft: "Hey maaaaan Leute, schon mal drüber nachgedacht, dass man viiiiiel zu selten die Titanic liest? So geil, schau mal bitte Seite 15 mit dem Bananenminister, muhahahaha!!").



Diebesgut: An Wänden hängendes Diebesgut aus dem öffentlichen Raum (Straßenschilder, Zeitungskastenheadlines, Malboro-Emaille-Werbeschilder von der Tanke, Maßkrüge, H&M-Unterwäschewerbeplakate, ganze Kaugummiautomaten oder einzelne Wirtshaustühle) sind für die Bewohner einer WG der ultimative Beweis für die eigene Witzigkeit, Heldenhaftigkeit und Unspießigkeit. Für alle anderen ist sie eher Anlass zu der Erkenntnis, dass es hier genauso aussieht wie in der eigenen WG, der der Nachbarn und der der kleinen Schwester in Kiel.

Edgar-Freecards: Werden in "Geil-Umsonst"-Manier aus den Gastro-Regalen hinten bei den Klos gerissen und erstmal in die Tasche gestopft. In der WG bleiben sie dann erstmal einige Wochen auf dem Fensterbrett der Küche liegen und verteilen sich dann von WG-Party zu WG-Party allmählich in der ganzen Wohnung: An die Zimmertür der Mitbewohner (Chilischote, unter der steht: "Wenn ich dich sehe wird mir HEIß"), am Kühlschrank ("Bleibst du zum Frühstück?") oder über dem Sofa ("Wer A sagt, muss gar nichts!"). In besonders leidenschaftlich betriebenen und meist gerade erst neu eröffneten WGs findet man sie auch gern sorgsam in einem Postkartentaschenduschvorhang angeordnet, aus dem sie dann aber im Laufe der Zeit rausgerissen und durch Bieretiketten, leere Kippenschachteln und witzige Zeitschriftenausrisse ersetzt werden.



Frühstücksbrettchen, das: Warum es diese Dinger seit ein paar Jahren in jeder Buchhandlung und in jedem Dekoshop zu kaufen gibt, weiß niemand so genau. Denn Frühstücksbrettchen erfüllen keinen praktischen Nutzen: Sie sind so klein, dass man auch nur beim Versuch, ein Brötchen zu schmieren, den ganzen Tisch vollkrümelt und deswegen einen Teller benutzt. Weil sie aber anscheinend dennoch 1A-Potential für Last-Minute-Geschenke haben, reihen sich die Frühstücksbrettchen mit ihren superwitzigen Sprüchen in der WG-Küche: "Sauglücklich" mit fliegendem Comicferkel, ein "Zuckersüß"-Lebkuchenherz auf blau-weiß-kariertem Grund, oder – der Ulli isst ja immer so viel – bunte Dinos mit der Aufschrift "Wild und hungrig". Weil man auf ihnen keine Mahlzeit einnehmen kann, fristen sie ein umfunktioniertes Dasein als Schneidbrettchen. Aber selbst dazu benutzt man sie ungern, weil der Aufdruck jedes Mal vom Messer eingeritzt wird, abgeht und man das eklige Gefühl hat, das Plastik Stück für Stück mitzuessen.



Glücksbambus, der: Mit dem asiatischen Einrichtungstrend vor gefühlt einigen Jahrzehnten schwappte auch der Glücksbambus in den Kassenbereich schwedischer Möbelhäuser. Seitdem bremst er Besucher auf den letzten Metern vor dem Warenlager aus. "Willst du nicht noch eine pflegeleichte Zimmerpflanze?", fragt die Mutter dann den Erstsemestersohn, der in großer Egalheit nickt. Wenn der Glücksbambus gut gepflegt wird, setzt er an seiner gewundenen Spitze angeblich ein paar Blätter an. Das passiert aber nicht, weil er die schmale Vase, die bei Ikea gleich mitgekauft wurde, so schnell vollwurzelt und das Gießen selbst mit gutem Willen immer schwieriger wird. Der grüne Stängel findet seinen Platz schließlich auf der Fensterbank des WG-Wohnzimmers zwischen der japanische Wackelkatze, der vetrockneten Grünlilie und dem eingestaubten Kaktus.



Holzregal, das: Das einfache Kellerregal aus dem Baumarkt ist ein Allzweckmittel der WG-Einrichtung: Vier Pfosten und höhenversetzbare Bretter, das passt überall. In der Küche für die Lebensmittelvorräte der Mitbewohner, im Flur für die Schuhberge, die sich in einer WG ansammeln und das Fassungsvermögen jedes normalen Schuhregals sprengen. Auf den ersten Blick wirkt das Regal einfach, praktisch und lässig. Auf den zweiten Blick – und den wirft man in seiner eigenen Wohnung ja darauf – sieht das Regal leider billig und langweilig aus, weswegen es auf Dauer ersetzt oder in einer WG-Bastelstunde in liebevoller Handarbeit angemalt wird.



Insektenfalle, die Gelber Klebestreifen, der über der Obstschale von der Decke hängt und sanft in der Zimmerluft hin- und herweht. Er ist übersät von Fliegenleichen aus dem Jahre 2005 und weil das schon sehr lange her ist, fühlt sich niemand für den schaukelnden Insektenfriedhof zuständig. Abgerissen wird er deshalb, falls überhaupt, nur zwangsweise und durch ein peinliches Unglück: Marcs neue Freundin bleibt mit ihren langen, brünetten Haaren daran hängen, als er sie beim ersten gemeinsamen Frühstück in der Küche niederknutscht.



Joghurtgläser, die: Die meisten WGs haben Probleme damit, ihr Altglas wegzubringen. Weil es immer gerade nicht passt, man ganz schnell zur Vorlesung oder Verabredung muss und es deswegen nicht schafft, am Müllcontainer vorbeizulaufen. Der eigentliche Grund, warum man sich drückt: Wenn man das Altglas wegwirft, muss man die Deckel abschrauben und hat danach den klebrigen Schmodder von Saure-Gurken-Gläsern, Olivenölflaschen und Marmeladengläsern an den Händen. Noch länger als das andere Altglas warten nur Joghurtgläser darauf, weggebracht zu werden. Denn die müssen nicht nur zum Müllcontainer, sondern in den Supermarkt, wo man das Pfand zurückbekommt. Hier greift die Zeitausrede also noch viel besser. Eigentlich ekelt man sich aber wieder nur vor den Gläsern. Denn egal, wie gut man die ausspült, bleibt oben bei dem Schraubmechanismus ein schwärzlicher Grind aus vertrocknetem, angeschimmeltem Kirschjoghurt zurück.



Klobürste, die: Mehr Menschen machen mehr Dreck, dagegen hilft nur ein Putzplan. Leider hat der in all seiner Regelungswut trotzdem Graubereiche: Ob man den Boden saugt oder feucht wischt, ob man einmal über die Arbeitsfläche der Küchenzeile wischt oder die Kühlschrankfächer reinigt, zum Beispiel. Doch das größte Problem für die Sauberkeit der WG sind die kleinen, aber gänzlich ungeregelten Nischen wie die Klobürste. Auch auf dem Klo machen mehr Menschen nämlich mehr Dreck, was die Klobürste mit all ihren Borsten ausgleichen muss. Die Überbelastung sieht man ihr schon nach kurzer Zeit an, was besonders für den Schrubbenden unangenehm ist. Aber niemand fühlt sich dafür zuständig, sie auszutauschen. Erstens könnten das ja auch die anderen machen, zweitens setzt sich niemand gerne mit Klobürsten auseinander und drittens kann man die nicht kurz während einer Pause zwischen den Seminaren besorgen und danach mit ihr durchs Unigebäude laufen.

Lieferserviceflyer, die: Es gibt diese verregneten Sonntage, an denen man nichts anderes machen möchte als essen. Im Bett. Mit Kapuzenpulli, Jogginghose und verstrubbelten Haaren. Wer in einer WG lebt, hat in diesen Momenten Glück gehabt. Denn an der Stelle, wo die Post für alle hingelegt wird, gibt es immer einen Stapel aus Werbeprospekten und Lieferserviceflyern, die noch nicht weggeschmissen wurden. Je nachdem, wie oft und wie gerne die Bewohner der WG in Jogginghose im Bett essen, gibt es auch einen gutsortierten Stapel der Speisekarten in einem Küchenschrank. Ein weiterer Vorteil des Zusammenlebens: Man schafft es gemeinsam mit den Mitbewohnern immer, den Mindestbestellwert zusammenzukriegen. Und fühlt sich weniger ranzig, weil die anderen auch Serien schauen und Pizza im Bett essen.

Magnetschildchen, die: Viele Menschen kaufen wohl noch Miniatur-Früchtejoghurt für Kinder (vielleicht auch, um die Gläser nicht entsorgen zu müssen), – sonst wären die Kühlschrankmagnete der Rabattaktionen nicht so weit verbreitet. Eigentlich sollen damit Leseanfänger das ABC in Kombination mit Ländernamen lernen, aber die Magnete von "Australien" bis zur "Schweiz" ergänzen als Deko zumindest die Ansichtskarten an der Küchenwand. Auch eine weitverbreitete Kühlschrankdeko sind die auf alt gemachten Emaille-Schilder mit Magnet, die ein Mitbewohner im Urlaub gekauft hat und man selbst ziemlich hässlich findet, aber nichts sagen möchte, weil die Dinger auch noch ziemlich teuer sind. Und egal, wie dämlich diese Magnete mit ihren Sprüchen wie "Hooray, only one more job and then it's gin and tonic time" auch sind: Sie passen in der Gewitztheit ihrer Sprüche wenigstens gut zu den Frühstücksbrettchen.

Nieren- und Blasentee: Meist die einzige Teesorte des Teeregals, in dessen Packung sich noch Beutel befinden, wenn man einem Besucher einen Tee anbietet.



O-Saft, der Mysteröses Tetrapak, das seit Tagen oder Wochen auf dem Balkon in der Hitze steht und von dem niemand weiß, wem er gehört. Wird irgendwann von jemandem mit so wenig Fingern wie möglich zum Müll getragen und hineinfallen gelassen. Das träge-rumpelnde Geräusch aus dem Inneren der Packung bestätigt die dunkle Ahnung.



Plastikflaschenbier, das: Der häufigste Satz am Nachmittag vor einer WG-Party ist: "Ja, ist ok, wenn du noch ein paar aus deiner Uni mitnimmst." Die Reue kommt, wenn man den Unbekannten am Abend die Wohnungstür öffnet und sie mit einem Sixpack Plastikflaschenbier Marke "Goldähre" als Gastgeschenk eintreten. Bedienen tun sie sich natürlich am kühlen Flaschenbier der Anderen und das Plastikflaschen-Sixpack fristet ab sofort und bis in alle Ewigkeit ein Dasein im Wandschrank.

Quittengelee, das Ist von irgendeiner Oma, steht bereits seit Monaten im Kühlschrank, hat aber nur exakt einen sauberen Löffelstich zu verzeichnen. Weil niemand weiß, was das über den Geschmsck aussagt, traut sich keiner ran und so gehört es irgendwann zum Kühlschrank wie die Eiswürfelförmchen zum Gefrierfach.

Raumduftspray, das Immer leer. Wird nie erneuert oder weggeworfen. Verstaubt auf dem Klo neben dem Comicheftstapel.



Spülgitter, das: Der Umschlagplatz für Teller, Tassen und Besteck, auf dem immer (!) etwas steht. Weil niemand das Geschirr in den Küchenschrank räumt, sondern sich beim nächsten Essen einfach am Spülgitter bedient. Die untersten Dinge auf diesem Gitter werden nie benutzt, das würde den Geschirrturm zum Einsturz bringen.




Tesafilmklingelschilderweiterungen, die: In einer WG ist immer ziemlich viel Umbruch: Jobwechsel, Studienabschluss, Praktikum, Semesterferien oder Auslandssemester sind alles Gründe, sein Zimmer weiterzugeben oder zumindest unterzuvermieten. Die Konsequenz: Die Zusammensetzung der WG ändert sich so häufig, dass niemand Lust hat, am Computer immer ein aktuelles Klingelschild zu schreiben und das danach in die Plastikvorrichtung reinzufriemeln. Also wird das Klingelschild einfach mit Tesarolle und Papierschnipseln um die vielen tatsächlichen Mitbewohner beziehungsweise die Mitbewohner im Geiste erweitert.

Überwurf, der: Niemand weiß, von welchem Vorvormieter das Sofa noch stammt, aber es steht wuchtig, knautschig und gemütlich im Flur oder im Wohnzimmer. Nur der Geschmack, wie eine Couch bezogen sein sollte, hat sich über die Jahre zweifellos geändert. Gut also, dass es Sofaüberwürfe und Tagesdecken gibt, mit denen man das mittlerweile arg ranzig gewordene Muster verbergen kann. Der Bezug sitzt zwar nie gut und rutscht an einer Ecke immer runter, wenn man sich drauflegt, kann dafür aber auch als eine Art Decke genutzt werden.

Verhütungsring, der Auch bekannt als: Nuvaring. Liegt zwischen Tomatenmark und Eierpackung in der Kühlschranktür und sorgt leider jedes Mal dafür, dass man beim Öffnen desselben ein seltsames Instant-Szenario gynäkologischer Untersuchung und Intimverkehr des Besitzers des Rings vor Augen hat, das man am liebsten ganz schnell wieder vergessen will. Führt dazu, dass man alles, was direkt neben dem Ring liegt, nur mit leichter Scham herausnimmt.



Wandfarbe, die: Gibt es in der WG in verschiedenen Ausführungen. Besonders beliebt sind rote Streifen im Flur, manchmal haben sich die WG-Bewohner aber auch in höheren künstlerischen Ambitionen an die Wischtechnik (dann ist das aber schon eine Weile her) oder an die kreative Schnörkelverzierung gewagt. All die bunten Elemente vereint nur eins: Sie sind schlecht gestrichen und nicht ordentlich abgeklebt worden, weswegen die Steckdosen rote Sprenkler haben. Und es wird zur Bedingung für potenzielle Nachmieter gemacht, dass man selbst besagte Wand nicht wieder streichen muss. Hat ja schon beim ersten Mal nicht richtig geklappt.

X-Akte, VHS-Kassette: Liegt von feiner Staubschicht überzogen auf dem kaputten Videorekorder, der im Regal hinter dem Fernseher steht. Besitzer unbekannt, gehört zur WG wie das alte Sofa und stammt vermutlich aus der selben Zeit.

Young Care: Auf 99 Prozent der vierhundertsiebzig leicht angekalkten Pflegeartikeln des gemeinsamen Badezimmers steht irgendetwas mit "young" drauf. Irgendwann kommt der Tag, an dem eine Tagescreme mit der Aufschrift: "Vermindert erste Fältchen" am Waschbecken steht und jeder Mitbewohner weiß: der Tag, an dem jemand auszieht um sich was Eigenes zu suchen, steht unmittelbar bevor.

Zeitungsabos, die WGs leben, ob bewusst oder unbewusst, nach dem Prinzip: Es muss immer ein Gratis-Abo da sein. Je mehr Wohnende, desto besser. So können die Gratis-Abos munter erweitert, getauscht, neubestellt werden und es ist tatsächlich immer eine Zeitung da.

Text: dorothea-wagner - und mercedes-lauenstein; Illus: katharina-bitzl

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