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Die Chronistin der Nuller-Jahre.
Eine wenig unheimlich an unserer Generation ist ihre Neigung, sich ständig über sich zu unterhalten. Junge Blogger, Buchautoren und Journalisten wechseln dauernd den Platz, um sich selber von außen zu betrachten und aus den gewonnenen Erkenntnissen Urteile über sich abzuleiten bzw. sie in Buchform zu gießen. Diese Form der zwanghaften Reflexion endet letztlich in einem selbstzerstörerischen Stillstand der Dinge, wenn nämlich kein Schritt mehr getan werden kann, ohne dass er katalogisiert, ironisiert und damit unmöglich gemacht wird. Die Journalistin Elena Senft (Jahrgang 1979) ist eine Großmeisterin auf diesem Gebiet. Ihr Buch müsste als Literaturgattung wohl das Feld der Autobio-Doku-Persiflage gründen. Es ist ein sehr pointierter Aufschrieb eines Lebens, wie es ein Deutscher, der aus der Mittelschicht und dem Geburtenjahrgang zwischen 1979 und 1985 entstammt, bis heute höchstwahrscheinlich geführt hat. Stichworte: Berlin, Was mit Medien, Praktikum, Erwachsenwerden, Unsicherheit. Die Ich-Erzählerin beginnt mit der Bestandsaufnahme jener schon sprichwörtlichen Neon-Prekariats-Situation: Nach der Magisterarbeit und nach mehreren Praktika mit Ende Zwanzig immer noch ohne regelmäßiges Einkommen, ohne eigene Wohnung und ohne vernünftige Beziehung - stattdessen am Tropf der elterlicher Dauerüberweisung, gebeutelt von deren sanft-konservativen Mahnungen, der eigenen Unlust auf Seriosität und den Erfahrungen in der überfüllten Kreativbranche. Von diesem Ausgangspunkt aus wird alles rekapituliert: Das Gymnasium, die erste Levis, die erste pflichtbewusste Anti-Haltung, der Besuch der Frau vom BIZ, das überlockere Studium, etc.. Frau Senft schildert dabei derart minutiös beobachtend und treffend das begleitende Personal und die durchstandenen Etappen, dass die Identifikation des Lesers mit der Geschichte gruselige Ausmaße annimmt. Man kennt dieses Leben, die hektische Kopiererei in der Uni-Bibliothek, die schlimmen Mitpraktikanten und dummen Mitbewohner und vor allem die bequeme Art, all das für sich einzuordnen und selbstbetrogen weiterzumachen – bis eben der 30. Geburtstag oder sonst ein vermeintliches Stichdatum anstehen. Wenn Florian Illies’ „Generation Golf“ die Achtziger und Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ die Neunziger auf diese Weise archiviert haben, dann hat Frau Senft es mit ihrem Buch für die Nuller-Jahre geschafft. Sie steht den beiden an ironischer Alltagsdiagnose in nichts nach. Trotzdem ist das Vergnügen über ihre akkurate Beobachtungsgabe nicht ganz ungetrübt. Erstens, weil es sich irgendwann, siehe ganz oben, überschlägt. Ihr Sarkasmus richtet sich letztlich gegen jede auftretende Lebensform. Pärchen in Langzeitbeziehungen nerven total, aber Singles auf der WG-Party nerven auch total. Menschen, die auf ihren Urlaub sparen und davon erzählen sind fragwürdig, die Freundin, die sich vor ihrer Abschlussprüfung zwei Wochen all inclusive am Strand einmietet, kommt aber genauso fragwürdig weg. Wer nach ein paar Jahren WG mit seinem Freund zusammenziehen möchte, wird abgewatscht, genau wie der Versuch, mit 29 noch in eine Erstsemester-WG zu ziehen. Alles scheiße. Im Grunde müsste die arme Ich-Erzählerin zur Fremdenlegion gehen, jedenfalls wirkt nichts in ihrem Kosmos auch nur annähernd erstrebenswert. Zweitens ist es natürlich nicht das Leben einer jungen Lehrerin, eines Auszubildenden oder eines angehenden Ingenieurs, das hier so fotorealistisch wiedergegeben wird und deshalb ist das Ganze mitnichten ein Generationsabbild. Es sind nur die Sorgen einer kleinen, aber sendestarken Schicht von Menschen, die abwechselnd erwachsen werden will, muss oder sollte. Die es aber vorzieht (und offenbar: vorziehen kann), den vagen Zustand dazwischen auszudehnen, ihn zu einer eigenen Bohème zu erheben und diese mit Zeitschriften, Blogs, Filmen und Büchern zu untermauern. Dass dabei gute Nachmittags-Unterhaltung entstehen kann, beweist dieses Buch. Aber ein wenig unheimlich ist es auch.