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Die Angst vorm Pickup-Artist

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Eigentlich will ich nur zur U-Bahn „Französische Straße“. Aber der Typ in der blauen Jacke lässt mich nicht durch. Er breitet die Arme aus, setzt zum Sprechen an, heraus kommt ein Keuchen. Der Typ ist kaum älter als 25, aber von dem Gerenne eben muss er sich doch erst mal noch erholen, seine Einkaufstüte pendelt wild am rechten Arm auf und ab. „Der sucht bestimmt irgendeine Sehenswürdigkeit“, denke ich. Schließlich sagt er: „Ich mache sowas sonst ja nie, aber ich hab dich von der anderen Straßenseite aus gesehen und dachte, wenn ich dich jetzt nicht anspreche, dann...“ Den Rest des Satzes höre ich schon gar nicht mehr. Ich sage nicht mal „nein, danke“ sondern gehe einfach weg. Denn in meinem Kopf klingelt es: „Pickup-Artist“. „Wirklich nicht?“ ruft er mir noch hinterher, aber da bin ich schon im U-Bahn-Abgang.

Pickup-Artists sind Typen, die anderen Männern in Kursen beibringen, wie man Frauen „kennenlernt“, wobei „aufreißt“ wohl die treffendere Bezeichnung ist. Sie tragen häufig absurde Fantasienamen wie „Devil“ oder irgendwas Rassig-Lateinamerikanisches, dabei ist ihr wahrer Name von der Kategorie „Stefan“ oder „Thorsten“ und ihre Heimatstadt vermutlich irgendeine Kleinstadt in NRW. In den Pickup-Kursen erklären diese Typen dann unselbstbewussten anderen Männern für sehr viel Geld, dass Frauen eine Mischung aus Arschloch und Softie wollen und man mit der richtigen Technik jede rumbekommt. Danach werden die Schüler auf die Straße geschickt, um ihr neues Wissen an realen Opfern zu erproben – eben an Frauen wie mir, die gerade zufällig vorbeilaufen. Sie sollen üben, mit vorher einstudierten Maschen andere anzusprechen und dabei im besten Fall die Nummer oder ein Date ergattern. Wer die Frau ins Bett bekommt, ist quasi der King of Pickup.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schon wieder so einer! Oder?

Man könnte sagen, das Ganze sei ein Spiel, aber Spiele sind nun mal nur lustig, wenn beide Parteien wissen, dass gespielt wird. Die Pickup-Geschichte läuft hingegen einseitig, da die Männer den Frauen vorgaukeln, aufrichtig interessiert zu sein. Und deshalb sind Pickup-Artists, um es kurz zu machen, eigentlich ziemliche Würstchen, an die man keinen weiteren Gedanken verschwenden sollte. Und trotzdem tue ich es.

Weil ich, während ich kurz darauf in der U-Bahn nach Hause sitze, auf einmal denke: „Was, wenn du dem Typen gerade Unrecht getan hast?“ Wenn das tatsächlich ein Stefan aus Castrop-Rauxel war, der sich nicht in seiner Freizeit als „Flirt-Coach“ bezeichnet, sondern vielleicht in Berlin Politikwissenschaft studiert? Nicht, dass ich dann mit ihm hätte Kaffee trinken wollen, aber - hat mich dieses ganze Gefasel über Pickup-Artists dann paranoid gemacht? Habe ich vielleicht ein komisches Männerbild entwickelt, nur weil es Typen auf der Welt gibt, die ein komisches Frauenbild haben?

„Flirten ist doch immer eine Masche, warum findest du das bei Pickup-Artists dann besonders schlimm? Du kannst ja immer noch 'nein' sagen und weggehen?“, sagt ein Freund, dem ich später von meinem Gedankengang erzähle. Natürlich hat er damit, ganz rational betrachtet, recht. Aber gefühlsmäßig nicht. Denn ein Pickup-Artist ist für mich niemand, der nach dem Trial-and-Error-Prinzip mal eben eine Frau angräbt, sondern jemand, der dabei sehr bewusst in Kauf nimmt, auch mal zu weit zu gehen. Stichwort Julien Blanc, ein mittlerweile weltweit bekannter Pickup-Guru, der in seinen Videos auch mal Frauen an seinen Schritt presst, vortäuscht zu würgen und indirekt zu Vergewaltigungen aufruft. Und auch andere Videos von Pickup-Artists, die mit versteckter Kamera filmen, wie sie einer Frau einen Kuss abringen oder weibliche Körper auf einer Skala von eins bis zehn einordnen, haben nun mal leider für sämtliche Jungs auf der Welt, die ganz normal Frauen ansprechen wollen, die Preise versaut. Zumindest bei mir. 


Das Kompliment am Stachus schmeichelt mir - bis eine Freundin erzählt, dass sie dort auch angesprochen wurde.

Auch wenn das mein paranoides Verhalten einigermaßen erklärt – unfair ist es natürlich trotzdem, jeden Mann, der eine Frau auf der Straße anspricht, direkt auf eine Vergewaltiger-Ebene mit Julien Blanc zu stellen. Zwar sind angeblich im deutschen Pickup-Forum 100.000 Männer registriert, die meisten von denen sind aber vermutlich harmlose Jungs, die sich bei anderen ein wenig Selbstbewusstsein abgucken wollen. Die teuren Seminare beim Flirtprofi, die zwischen 1500 und 4000 Euro kosten, können sich vermutlich nur wenige von denen leisten.

Andererseits ist die Situation in Berlin nicht das erste Mal, dass ich auf einen Pickup-Artist stoße. Bereits am Münchner Stachus wurde ich von einem angesprochen, der mir erzählte, er würde Frauen ja nie ansprechen, aber ich sei ihm gerade aufgefallen und er habe mich unbedingt fragen müssen, ob wir Kaffee trinken wollen. Damals sagte ich nein und ging weiter, fühlte mich aber geschmeichelt. Bis mir wenige Tage später eine Freundin erzählte, mit der gleichen Masche am gleichen Ort angesprochen worden zu sein und dass dort nun mal momentan wieder Pickup-Artists unterwegs seien. Danach habe ich mich geschämt, diese standardisierte Anmache nicht als solche erkannt zu haben. Das Kompliment war wertlos geworden.

In den folgenden Tagen denke ich noch mehrmals über den Typen in der blauen Jacke nach. Ich beschließe, wenn mich das nächste Mal jemand auf der Straße anspricht, freundlicher zu sein. Die Straßenanmache wieder zu rehabilitieren und zumindest nicht gleich das schlimmste zu denken. Ein Kompliment wieder als solches anzunehmen, positiver zu werden.

Und dann stehe ich, einige Tage später, wieder an der Französchen Straße an einer Ampel. Ein Typ bleibt neben mir stehen und fragt nach der Uhrzeit. Ich nenne sie ihm, seine Augen fixieren dabei meine. Er fragt, ob ich von hier komme und ich erwidere, ich müsse jetzt wirklich schnell zur U-Bahn. Die Ampel wird grün, er läuft neben mir her, versucht mich weiterhin in ein Gespräch zu verwickeln. Ich sage höflich „nein danke“ und gehe zum U-Bahn-Abgang. Bevor der Empfang gleich weg ist, gebe ich in mein Browserfenster schnell „Pickup-Artist“ und „Berlin Friedrichstraße“ ein. Zahlreiche Ergebnisse ploppen auf, ein bestimmtes Hotel in der Straße wird immer wieder als Seminarort der Pickup-Artists erwähnt. Ich drehe mich um. Vom Treppenabsatz aus kann ich seine Leuchtschrift sehen.

Text: charlotte-haunhorst - Bild: photocase.com / pollography

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