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Die Akte „Tron“: Wurde der Hacker doch ermordet? Eine Spurensuche

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Ende der 90er Jahre in Berlin: Ein bekannter Hacker aus den Kreisen des Chaos Computer Clubs (CCC) mit dem Spitznamen „Tron“ verschwindet auf mysteriöse Weise und wird fünf Tage später erhängt in einem Berliner Parkgelände aufgefunden. Nach drei Jahren wird das Ermittlungsverfahren eingestellt, der letztendliche Befund der Berliner Staatsanwaltschaft: Suizid. Doch aufgrund Trons Vorgeschichte und scheinbar unstimmigen Details rund um die Todesumstände des jungen Hackers gehen seine Angehörigen und der CCC bis heute von einem Mord aus. Verschwörungstheorie ohne stichhaltige Beweise? Oder ist etwas dran an der These, dass Boris F., der sich Tron nannte, aufgrund seines Wissens und seiner Arbeit ein Opfer von professionellen Mördern wurde?

Wie kam Tron ums Leben? Eine Spurensuche. (Foto: dpa) Tron und das „Cryptophon“ Boris wurde 1972 geboren, war also Mitte zwanzig, als er starb. Er wuchs bei seiner Mutter in Berlin auf und soll sich schon in der Schule sehr stark für alles Technische begeistert haben. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker und erlangte somit die Fachhochschulreife, die er dazu nutzte, an der Technischen Fachhochschule Berlin Technische Informatik mit dem Schwerpunkt Elektronik zu studieren. Dieses Studium schloss der begabte Tron mit einer seither vieldiskutierten Diplomarbeit ab. Vieldiskutiert, da sie sich mit dem Thema „Cryptophon“ befasste, ein ISDN-Telefon mit integrierter Verschlüsselung. Der CCC und Freunde des Verstorbenen gehen bis heute davon aus, dass diese Arbeit der eigentliche Grund für den frühen Tod Trons ist. Nach dieser Theorie war die Erfindung ein zu großes wirtschaftliches und politisches Risiko für bestimmte Firmen, Geheimdienste oder sogar Regierungen, so dass man den jungen Mann kurzerhand aus dem Weg schaffen musste. Boris F. war davon besessen zu beweisen, dass es keine absolute Sicherheit geben könne, wie dies Hersteller von digitalen Gerätschaften gerne suggerierten. Er hackte und manipulierte Telefonkarten und Pay-TV-Decoder. Die isrealische Pay-TV-Firma NDS soll ihn schließlich, nachdem er 1998, im Jahr seines Todes, einige ihrer Decoder gehackt hatte, mehrere Abokarten geschenkt haben, damit er damit aufhöre. Angeblich soll sie auch sehr an einer Serienanfertigung des „Cryptophons“ interessiert gewesen sein, doch dazu kam es nicht mehr. Auch Wau Holland (eigentlich Herwart Holland-Moritz, deutscher Journalist und Computer-Aktivist. Holland gehörte 1981 zu den Gründern des Chaos Computer Clubs) soll sich noch 1998 vorgenommen haben, das „Cryptophon“ zur Produktionsschleife zu bringen. Dann brach er das technisch leicht durchführbare Projekt jedoch ab. Angeblich sei er bedroht worden, Leben und Gesundheit von Mitarbeitern seien in Gefahr gewesen.


Verschwinden und Tod Am Samstag den 17.10.1998 kochte Trons Mutter ihrem Sohn Spaghetti – in manchen Zeitungen wird dieses Essen hinterher bedeutungsschwanger als sein „Lieblingsessen“ bezeichnet, was es nach Angaben der Mutter allerdings nicht war. Tron verließ daraufhin das Haus und kam nie wieder zurück. Natürlich sorgte sich die Mutter, sie ging zur Polizei. Am Montag den 19.10.1998 wurde eine offizielle Vermisstenanzeige gestellt und am 22.10.1998 ein Ermittlungsverfahren „gegen Unbekannt wegen Straftaten zuungunsten des Lebens von Boris F...“. Noch am selben Tag, am späteren Nachmittag, wurde er schließlich erhängt in einem kleinen Parkstück unweit seiner gemeinsamen Wohnung mit der Mutter gefunden. Er hing an einem Gürtel, der wiederum mit einem Drahtstück am Ast eines Baumes befestigt war, seine Füße berührten leicht den Boden. Wegen der Anzeige und dem Ermittlungsverfahren wurde die Auffindesituation von einem Beamten der 3. Mordkommission in einer Ereignisortuntersuchung am Abend des 22.10.1998 ausführlicher beschrieben, als es bei einem Suizid üblich gewesen wäre. Er ordnete weitere Untersuchungen an: Die Schuhe und Kleidung Trons sollten auf Borkenreste untersucht werden, die darauf schließen ließen, dass Tron selbst den Baum raufgeklettert war. Der Gürtel sollte auf mögliche DNA-Spuren untersucht werden.

Müller-Maguhn. (Foto: rtr) Andy Müller-Maguhn, Sprecher des CCC kritisiert bis heute, dass diese Untersuchungen nie durchgeführt wurden. Die zuständige Berliner Staatsanwaltschaft jedoch widersprich diesen Vorwürfen, man habe sehr wohl die Sohlen des Erhängten untersucht und in der Tat Borkenreste gefunden (unklar ist jedoch, ob diese vom betreffenden Baum stammten) und die DNA-Untersuchung für nicht zielführend erachtet.


Die Obduktion Natürlich wurde an Tron auch eine Obduktion durchgeführt. Der obduzierende Gerichtsmediziner stellte eindeutig den Tod durch Ersticken fest. Die Strangspuren am Hals des Hackers wiesen zudem ziemlich eindeutig darauf hin, dass der Gürtel, an welchem Tron hing, das Todeswerkzeug gewesen sein musste. Aufgrund des Fortschritts der Leichenstarre wurde der Todeszeitpunkt auf frühestens 48 Stunden vor Auffinden des Körpers festgelegt, der Gerichtsmediziner schrieb in den Bericht, er sei wahrscheinlich schon am Mittwoch Nachmittag gewesen. Auch eine Mageninhaltsuntersuchung wurde am Toten durchgeführt, da diese oft Hinweise darauf geben kann, was vor dem Tod passiert sein könnte. Man fand halbverdaute Nudeln und, wie es hieß, Salatblätter. Zum Zeitpunkt des Todes hörte der Magen auf zu verdauen. Somit war ziemlich klar, dass Boris diese Nudeln nur wenige Stunden vor seinem Tod gegessen haben musste. Seine Mutter erinnerte sich natürlich noch an das letzte Essen, das sie ihrem Sohn zubereitet hatte und erkundigte sich daraufhin, ob die vermeintlichen Salatblätter nicht ebenso gut Basilikum hätten sein können – denn das wäre ein sehr starkes Indiz dafür gewesen, dass Tron bereits am Samstag Nachmittag, wenige Stunden nach dem Essen im mütterlichen Haus, gestorben sein muss. Tatsächlich stellte sich nach nochmaliger Untersuchung heraus, dass es sich bei den grünen Blättern um Basilikum handelte.
Der Todeszeitpunkt Samstagnachmittag ist weit von dem errechneten frühesten Todeszeitpunkt des angeblich renommierten Gerichtsmediziners entfernt, der beteuerte, frühestens 48 Stunden zuvor, wahrscheinlich aber Mittwoch Nachmittag sei der Tod eingetreten. Im Bericht heißt es: „Ein Hängen der Leiche über einen wesentlich längeren Zeitraum, z.B. über drei, vier oder gar fünf Tagen kann aus rechtsmedizinischer Sicht praktisch ausgeschlossen werden.“ Trons Eltern und Andy Müller-Maguhn, Sprecher des CCC, der die beiden zu unterstützen versuchte, so gut er konnte und der im Laufe der Ermittlungen viele Briefe an die Staatsanwaltschaft schrieb, schlossen daraus, dass ihr Sohn und Freund im Zeitraum von Samstag bis Mittwoch professionell gekühlt worden sein musste. Dies wäre natürlich eine erhebliche Fremdeinwirkung gewesen und es hätte stark für Mord gesprochen, doch die Polizei ging dem nie nach. Burkhard Schröder, Autor des Buches „Tron – Tod eines Hackers“ schreibt dazu, dass er mehrere Gerichtsmediziner zum genauen Bestimmen eines Todeszeitpunktes befragt habe und kommt letztendlich zum Schluss: Wenn der Obduzierende nicht selbst am Ort des Geschehens war und der Zeitpunkt schon länger als sechs bis zwölf Stunden zurücklag, gäbe es oft Schwankungen von mehreren Tagen. Er habe einem renommierten kroatischen Gerichtsmediziner Fotos von Tron gezeigt und dieser habe aufgrund von Vertrocknungen am Mund des Toten erklärt, er halte einen viel früheren Todeszeitpunkt als Mittwoch für wahrscheinlicher. Für Schröder ist klar: Tron hat sich am Samstag nach dem Essen bei der Mutter selbst erhängt. Hinweise auf Fremdeinwirkung oder Mord ergeben sich für ihn nicht. Für Familie und Freunde des Hackers ist das Buch ein Schlag ins Gesicht.
Ein fremder Gürtel Eine weitere für Trons Mutter unerklärliche Tatsache trat erst im Jahr 2002 zutage, als die Asservate abgeholt wurden. Es sollte, nachdem die Staatsanwaltschaft im Jahr 2001 die Ermittlungen eingestellt hatte, privat weiter untersucht werden, was wirklich mit dem Sohn passiert war. Es war das erste Mal, dass die Eltern die Asservate zu Gesicht bekamen und ein großer Schock für sie: Der Gürtel, der zu Trons Tod geführt hatte, war nicht sein eigener. In einem Brief der Eltern an ihren Anwalt steht dazu: „Wir können versichern das unser Sohn Boris einen solchen Gürtel nie besessen hat. [...] Auch kennt seine Mutter alle seine Gürtel da sie immer seine Kleidung wusch. Noch am Tage seines Verschwindens, am 17.10.98, hat sie mittags seine Hose gewaschen und dafür den Gürtel herausgezogen. Sie legte ihm den Gürtel zu einer anderen Jeans, die er dann zusammen mit dem Gürtel anzog. Sie kennt den Gürtel mit dem er verschwand sehr gut da sie ihn selbst auf einer Reise für ihren Sohn kaufte.“ Der Gürtel aus den Asservaten sei zudem viel zu groß für Tron gewesen, er könne ihn nicht getragen haben. Verknüpft mit dieser Tatsache sei die Frage, wie er dann das am Boden liegende Handy, das er sich an seinem Gürtel einzuhängen pflegte und die danebenliegende Werkzeugtasche befestigt habe. Von seinem eigenen Gürtel sei nämlich weit und breit keine Spur gewesen. Eine weitere Frage wurde für die Eltern durch den Erhalt der Asservate aufgeworfen, dazu heißt es im Brief: „Des weiteren haben wir nun erstmals den an dem Gürtel befestigten Draht gesehen. Unser Sohn hatte Probleme mit der räumlichen Orientierung bei Schleifenkonstruktionen. Er trug deshalb Schuhe mit Klettverschluss und hatte noch wenige Tage vor seinem Tod bei Gartenarbeiten mit seinem Vater unüberwindliche Schwierigkeiten einen Drahtzaun zu reparieren. Der Draht des Strangwerkzeugs ist derart kunstvoll und gekonnt mit dem Gürtel verknotet das wir ausschließen, dass unser Sohn dies machte.“ Die Staatsanwaltschaft ging auch diesen Hinweisen der Eltern nie nach, das Ermittlungsverfahren blieb eingestellt.
Vertuschung? Für Andy Müller-Maguhn und den CCC ist klar: Tron wurde ermordet, aufgrund seines Wissens war er eine Gefahr. Auf dem CCC-Kongress Ende 2002 wird der Gürtel in einer Vitrine ausgestellt und Müller-Maguhn referiert über die mysteriösen Umstände, die den Tod des Hackers begleiteten. Das Buch vom Kritiker Burkhard Schröder erschien schon im Jahr 2001, mit dem klaren Schluss: Tron hat sich selbst umgebracht. Von den Asservaten wusste Schröder damals noch nichts, doch seine Meinung hat sich bis heute nicht geändert. Eine endgültige Entscheidung für eine der beiden Seiten wäre unseriös und ist angesichts der Verweigerung der Staatsanwaltschaft, den offenen Fragen doch noch nachzugehen, um eventuell die Verschwörungstheorie ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, nicht möglich. Genau hier liegt der Grund, warum viele stutzig sind: Hätte es nicht im Interesse aller sein müssen, diese Vorwürfe zu entwaffnen? Warum sollte man den Hinweisen nicht nachgehen, wenn man doch überzeugt ist, dass sie keine weiteren Beweise für einen Mord liefern?

Den Text entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der aktuellen Ausgabe des Online-Magazins daheim, die sich mit dem Thema "Verschwörung" befasst. "daheim" versteht sich als "unabhängiges Online-Magazin. Jede Ausgabe widmet sich einem Thema und beleuchtet dieses aus verschiedenen Perspektiven. Das Magazin möchte Denkanstöße geben und sich dabei die Zeit nehmen, aktuellen Debatten und Fragestellungen auf den Grund zu gehen." Ein Porträt des Daheim-Magazins erschien auf bereits auf jetzt.de.

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