- • Startseite
- • Redaktionsblog
-
•
Die 101 einflussreichsten Personen, die nie gelebt haben
Zugegeben, man muss sich schon aufs Wesentliche beschränken, wenn man eine Sammlung der einflussreichsten Fantasiefiguren zusammenstellt. Jede prominente Sagengestalt, jede Roman-, Märchen- und Filmfigur mit prägendem Einfluss wäre potentiell geeignet. Die amerikanischen Autoren und Freunde Dan Karlan, Computerprogrammierer, Allan Lazar, früheres Mitglied der medizinisch-chirurgischen Fakultät der Universität Columbia, und der Chemiker Jeremy Salter haben ihrer Hitliste daher zwei Kriterien zugrunde gelegt: Die Anzahl der Personen, die durch sie beeinflusst wurden und die Intensität ihrer Vorbildfunktion. Vorbild für die Liste war das bereits 2001 erschienene „The 100: A Ranking of the Most Influential Persons in History“ von Michael Hart. Darin werden die nach Harts Ansicht einflussreichsten Personen in der Geschichte aufgelistet und sind jeweils mit einer kurzen Beschreibung ihres entweder positiven oder negativen Einflusses auf die Nachwelt versehen.
Dass aufgrund der Kriterien Karlans, Lazars und Salters der Weihnachtsmann den vierten Platz belegt, begründet Allan Lazar damit, dass dieser als Werbe-Ikone die Umsätze des Einzelhandels im vierten Quartal immens beeinflusst. Dann schon eher verwunderlich: Der Nibelungen-Siegfried auf Platz sieben. (Die Autoren sind zwar Amerikaner, aber eben studierte Amerikaner.) Weiterhin überraschend: Buffy the Vampire Slayer (Platz 44) vor Batman (Platz 60), Atticus Finch aus Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“ (Platz 57) hinter H.C. Andersens „hässlichem Entlein“ (Platz 55). „Andersen beleidigt 99 Prozent der Bevölkerung, indem er Schönheit als das höchste Gut herausstellt“, kritisiert Lazar, und er hält offenbar allgemein nicht viel von Märchen: „Aschenputtel (Platz 26) als Geschichte diskriminiert Stiefmütter und ermutigt Menschen, sich auf Magie anstatt sich selbst zu verlassen.“ Weitere Schlaglichter: Barbie auf Platz 43, Luke Skywalker auf Platz 83, Micky Maus auf Platz 18, James Bond auf Platz 51. Und da die Liste wie gesagt eine amerikanische ist, werden die beiden Spitzenplätze von Big Brother (der aus Orwells „1984“, Platz zwei) und dem „berühmtesten Killer der letzten 200 Jahre“, dem Marlboro-Mann, belegt. Man erkennt schnell, dass dieses Buch eher in die Unterhaltungssparte gehört und nicht als verlässliche Quelle für Diplomarbeiten herhalten kann. Nicht von ungefähr bezeichnen die Autoren sich gerne als „Rowdy-Philosophen“. So lustig die Liste sich auch liest, vollständig ist sie nie im Leben. Und abgesehen von einigen Ausnahmen ist sie vorwiegend von amerikanischen Fiktionalen bevölkert. Es ist klar, dass in Deutschland mindestens genau so viele vom HB-Männchen beeinflusst worden sind wie vom Marlboro-Mann. Und König Fußball ist hierzulande sicherlich auch einflussreicher als König Arthur. Meine persönliche Liste der fünf einflussreichsten deutschen Personen, die es nie gab, sieht so aus: 1. Der junge Werther Der Held aus Goethes erstem Roman rockte mit Herz, lange bevor der Begriff „Emo“ erfunden wurde; und schon zur Sturm-und-Drang-Zeit löste das Werk einen wahren Fankult aus, dem sich selbst der junge Schiller nicht entziehen konnte. Die Massen waren begeistert – und brachten sich um. 2. Die Sendung-mit-der-Maus-Maus Die beleibte Maus sorgt bis heute für die entspannenden Denkpausen zwischen den knallhart recherchierten Infotainment-Beiträgen, wo man lernt, wie die Streifen in die Zahnpasta kommen. Frisch erworbenes Wissen kann entspannt verarbeitet werden, die Kastagnetten-Augenklimperer dienen sehr jungen Mädchen bis heute als Inspiration zur Einübung koketter Blicke auf dem Schulhof. 3. Rumpelstilzchen Die beispiellose Habgier und Boshaftigkeit des cholerischen Zwergs dient kindlichen Wutausbrüchen in Supermärkten und Spielwarenabteilungen als Stilvorlage. Außerdem wurden anhand dieser Figur der Grimm-Brüder erste Punkrock-Tendenzen sichtbar: Anonymität ist ein Segen, keine Macht den Mächtigen, Pogo bis zum Morgengrauen, Hässlichsein ist eine Lebenseinstellung, sterben bevor man 27 ist. 4. Dr. Sommer Der imaginäre Arzt mit dem unendlichen Verständnis für die emotionale und sexuelle Misere der Jugend. Die stoische Geduld, mit der selbst die dümmsten Fragen („Ich habe onaniert. Werde ich nun blind?“) beantwortet wurden, hatte positiven Einfluss auf die Toleranz der Elterngeneration und wirkte sich oftmals aphrodisierend auf die Jugendgeneration aus. 5. Pumuckl Das Vorbild für beginnende Pubertierende. Sich die Haare rot färben und ganz wuschelig machen, jeden Tag die gleichen Klamotten anziehen, laut und ungefragt herumschreien, nur dummes Zeug anstellen, um schließlich unsichtbar zu werden, wenn ein Fremder auftaucht. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wer fehlt noch? Welche einflussreichen, nie da gewesenen Personen müssen hier unbedingt noch stehen, und warum?
“The 101 Most Influential People Who Never Lived” hier in der SZ-Mediathek bestellen.