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Diaspora statt Datenklau
1. Die Idee von der dezentralen Struktur
Als „Diaspora" vor gut zwei Jahren gegründet wurde, schlug es in eine Kerbe, die viele begeisterte: Ein soziales Netzwerk, das verspricht nicht wie Facebook und andere Anbieter die Daten der Nutzer zu sammeln und mit diesen Profit zu machen, sondern jedem einzelnen die Hoheit über seine Daten zusichert. Das funktioniert durch eine dezentrale Organisation. Während man mit einer Anmeldung bei Facebook alle seine Daten aus der Hand gibt, kann man für sein Diaspora-Profil einen eigenen Server aufsetzen, oder, wem die Expertise dafür fehlt, einen auswählen, dem man seine Daten anvertraut. So setzt sich Diaspora aus vielen verschiedenen Servern, sogenannten „Pods" (prominentestes deutsches Beispiel ist Geraspora) zusammen, die miteinander kommunizieren und es gibt keine zentrale Stelle, die die Nutzerdaten einsehen und kontrollieren kann. Eine zentrale Plattform gibt es allerdings: joindiaspora.com. Sie soll den weniger technikaffinen Interessenten helfen, das System, das auf einer frei verfügbaren Software basiert, nutzen zu können. Zur Zeit ist Diaspora aber noch immer in der Testphase: Man muss sich mit seiner Mailadresse einschreiben, um eine Einladung zu bekommen.
2. Die Funktionen
Bei Diaspora soll es natürlich um die Vernetzung der Mitglieder gehen. Darum gibt es die für soziale Netzwerke üblichen Angebote: Instant-Messaging und Nachrichtenfunktion, Statusmeldungen absetzten, Fotos teilen, „Gefällt mir" klicken. Zudem gibt es die sogenannten „Aspects", die, so die Diaspora-Entwickler, Google+ mit seinen „Circles" nachgebaut hat: Jeder Nutzer kann seine Kontakte bestimmten Interessengruppen zuordnen (zum Beispiel „Familie" oder „Arbeit") und dann bestimmen, welche Inhalte er mit welcher Gruppe teilen möchte. Um sich über Interessen zu vernetzen kann man auch Hashtags nutzen, also zum Beispiel nach „#jetzt.de" suchen und Diskussionen dazu verfolgen. Wer Diaspora nutzt, muss allerdings nicht auf Facebook oder Twitter verzichten, sondern kann seine erstellten Inhalte auch in anderen Netzwerken teilen, wenn er das denn möchte.
3. Die Gründer
Gegründet wurde Diaspora von den vier New Yorker Mathematikstudenten Dan Grippi, Maxwell Salzberg, Raphael Sofaer und Ilya Zhitomirskiy. Ihre Inspiration war die Rede eines Professors der Columbia Law School über zentral organisierte Netzwerke und deren Umgang mit Nutzerdaten. In einem Unternehmensporträt der Businessweek vergleicht die Autorin Karen Weise die Jungs mit den Beatles: „If Diaspora were formed in 1960s Liverpool, Salzberg would be Paul McCartney (...), an eager spokesman, chatty and full of ideas. Grippi (...) would be the group's John Lennon, the artistic cool guy who loved design. Sofaer (...) would be Ringo Starr, the kid brother who was easygoing but cautious. That leaves George Harrison as Zhitomirskiy, a junior with an idealistic, if at times impractical, spirit."
http://vimeo.com/11099292
4. Erstfinanzierung über Kickstarter
Als die motivierten Mathematiker ihre Idee 2010 dort platzierten, wurde Diaspora innerhalb kürzester Zeit zum bis dahin erfolgreichsten Kickstarter-Projekt: Das Spendenziel von 10.000 Dollar wurde innerhalb von zehn Tagen erreicht, insgesamt nahmen sie weit über 200.000 Dollar ein.
5. Die Diaspora-Foundation
Die Stiftung ist seit September 2011 Projektträger und organisiert auch die Spendenaktionen zur Finanzierung des Netzwerks. Im ersten Anlauf ging innerhalb weniger Tage eine so große Summe ein, dass der Transferdienst PayPal das Spendenkonto kurzzeitig einfror, nach Protesten der Spender allerdings wieder freigab.
6. Praktikabilität und Kritik
Die größte Kritik an Diaspora betrifft die technische Komplexität. Die „Installation für den eigenen PC oder für den eigenen Webhoster" sei „für die meisten Anwender zu umfangreich und zu kompliziert" zitiert die Wikipedia das Computertechnik-Magazin „c't". „Deshalb", so das weitere Zitat, „seien die meisten Benutzer von Diaspora weiterhin darauf angewiesen, dass der Pod, der ihren Account führt, mit ihren Daten vertrauensvoll umgeht." Auch im Porträt der Businessweek werden Blogger und Technikseiten angeführt, die das System als fehlerhaft und noch von diversen Sicherheitslücken durchsiebt beschreiben.
7. Mitglieder
Laut Tagesspiegel sind die meisten Diaspora-Nutzer Amerikaner und Deutsche, darunter vor allem solche mit technischem Interesse sowie viele Unterstützer und Mitglieder der Piratenpartei. Doch insgesamt ist der Nutzerkreis noch recht klein. Kritiker weisen darauf hin, das Netzwerk müsse dem einzelnen mehr bieten als Datensicherheit. Dies ist zwar der größte, aber bisher anscheinend auch der einzige Vorteil. Vielen scheint die Definition als "Anti-Facebook" nicht genug zu sein, um den alteingesessenen Netzwerken den Rücken zu kehren.
8. Die Entwicklungspause
Eigentlich sollte Diaspora schon Ende 2011 die Testphase verlassen und für jeden zugänglich sein. Doch im November 2011 nahm sich ein Mitglied des Entwicklerteams, Ilya Zhitomirskiy, das Leben. Sein Partner Maxwell Salzberg dementierte, dass Zhitomirskiy dem Stress ihrer Start Ups nicht gewachsen gewesen sei, er habe generell unter psychischen Probleme gelitten. Nach dem Todesfall ließ der Rest des Teams das Projekt erst einmal ruhen.
9. Der Neustart
Im Januar 2012 machten sich Salzberg und Grippi aus dem Kern-Gründerteam wieder an die Arbeit und holten sich einen „Head of Engineering" sowie eine Designerin mit ins Boot. Jetzt sollen die letzten Schritte hin zu einer Öffnung des Netzwerks für alle gemacht werden. Im Sommer werden Mentoren von „Y Combinator", einem Unternehmen, das Startups mit Geld und Fachkompetenz unterstützt, das Diaspora-Team drei Monate lang bei der Entwicklungsarbeit begleiten. Gut möglich, dass sich die Unterstützer des Netzwerks über die Einbeziehung dieses Investors empören. Immerhin war einer der Diaspora-Grundgedanken Unabhängigkeit und Anti-Kommerz. Netzwertig-Autor Martin Weigert allerdings sieht in diesem Schritt eine Chance: „Ein kommerzialisiertes diaspora mit echtem Potenzial, Facebook zu bedrängen, könnte für die Zukunft des offenen Internets die bessere Wahl sein als ein vollkommen unabhängiges, dafür aber völlig harmloses Geek-Projekt."
10. Der Entwickler-Blog
Wer auf dem Laufenden bleiben möchte und vor allem am technischen Aspekt interessiert ist, kann sich auf dem Diaspora-Entwickler-Blog über den Stand der Dinge informieren. Dort berichtet das Team regelmäßig über neue Ideen und Arbeitsschritte.
Text: nadja-schlueter - Cover: Screenshot