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Deutsche Musik ganz vorn

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Es ist normal. Gang und gäbe. Niemanden würde es mehr verwundern, wenn ihm beim Einschalten des Radios deutsche Popmusik entgegenschallt. Ganz gleich auf welchem Sender. Deutsch ist Mainstream geworden. Wir lieben es, weil wir es verstehen, weil wir uns damit identifizieren. Wir haben das Gefühl, es könnte unser Nachbar sein, der dort singt. 

Doch es war lange nicht normal. Nicht gang und gäbe. In einem Gespräch mit der deutschen Presseagentur erzählte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie, Florian Drücke, dass letztes Jahr 55 Prozent der 100 Top-Alben in Deutschland produziert worden sind und davon waren 29 Prozent deutschsprachig. Zahlen, die es seit 20 Jahren nicht mehr gab.  



Angesichts des Trubels um diese Meldung könne man meinen, bis letztes Jahr hätte es kaum deutschsprachigen Künstler in den Charts gegeben. Aber ist die Entwicklung zu einer eigenständigen deutschen Popkultur nicht schon ein langer Prozess? Was bedeuten solche Zahlen überhaupt? 

Klar, deutschsprachige Lieder waren früher lediglich eine Nische. Wer auf Deutsch sang, wollte provozieren, auffallen, avantgardistisch sein. Einmal schwappte das Phänomen über. Die Neue Deutsche Welle brachte die Sprache nach vorn. Doch es war auch schnell wieder damit vorbei. Es folgten Zeiten, in denen wir deutschsprachige Musik lediglich mit Schlager verbunden haben. Graue, düstere Zeiten. Aber dann kam die Jahrhundertwende und mit ihr eine Wende für die deutsche Musik. Wurde unsere Popmusik zuvor oft als Nachahme der anglo-amerikanischen und somit wahren Popszene abgetan, schaffte sie es nun aus diesem Schatten heraus. Wir sind jung und singen bewusst auf Deutsch, war das Motto von Bands wie Wir sind Helden, Silbermond und Sportfreunde Stiller.

Der Monokultur des Mainstreampops, die durch die Globalisierung des Musikmarktes entstanden ist, setzten deutsche Künstler nationale Vielfalt entgegen. Die deutsche Sprache ging immer mehr in alle Genres über, egal ob Hip Hop, Punk, Rock oder Pop. Die Themen änderten sich, es geht heute um uns. Künstler beschäftigen sich immer klarer mit der eigenen Identität. Der Alltag und die damit verbundenen Probleme treten in Texten in den Vordergrund. Und unsere Sprache ist Teil unserer Lebenswelt. Was würde es schon für einen Sinn machen, über das Leben in Neukölln auf Englisch zu rappen?  

Wir identifizieren uns mit Clueso und Poisel, weil wir ihre Texte vom ersten Wort an verstehen. Sind amerikanische oder englische Sänger für uns oft nur Singer-Songwriter mit melancholisch schön klingender Musik, so sprechen uns deutsche Empfindlichkeitsmusiker direkt aus Seele. Es sind also nicht nur die Künstler, sondern vor allem die Hörer, die anders geworden sind.

Traurig nur, dass auf solche Zahlen nun vermutlich wieder eine Deutsch-Quoten-Debatte folgen wird. So wie 2004. Als Musiker und Politiker erstmals eine Vorgabe für den Anteil deutscher Musik im Radio einführen wollten, wie es Frankreich zum Beispiel auch hat. 40 Prozent der gespielten Titel müssen dort französisch sein. Jetzt wird das ach so diskussionsfreudige Deutschland wieder sagen: Um diese durchaus positive Entwicklung zu fördern, sollte man die Quote endlich einführen. Was für ein Quatsch, möchte man ihnen ins Gesicht schreien. Seht ihr gar nicht, dass wir es alleine schaffen? Deutsche Popmusik ist längst angekommen! 



Text: lena-niethammer - Foto: dpa

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