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Der Typ auf dem Rad vor dir

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Die alte Frau

Hat immer noch das gleiche Rad wie damals als Trümmerfrau, als sie rechts und links am Lenker die Ziegelsteine chauffierte. Die Schlangenlinien hat sie bis heute behalten. Es ist unklar, was sie jetzt am frühen Morgen ausgerechnet auf deinem Highspeed-Abschnitt zu suchen hat, wo sie hin will und vor allem: wie sie dorthin kommen will. Momentan arbeitet die Erddrehung eher gegen sie, denn die Alte fährt nach dem Prinzip: einmal treten und dann bis kurz vors Umkippen ausrollen lassen. Überholen: Schwieriger als gedacht, da die wallenden Landröcke keine klare Seitenlinie bilden und die Alte oft ächzend und schlingernd den ganzen Radweg beansprucht. Außerdem ist zu beachten, dass sie beim Überholtwerden erschrickt und ordinär flucht. Fährt Rad, weil: Findet sich selber noch extrem rüstig und radelt eben schon immer, auch wenn damals, als sie das Radfahren lernte, die Straßenbahnen noch von Pferden gezogen wurden und die ersten Fahrradampeln angebracht wurden, als sie bereits hochgradig sehbehindert war. Das Rad: Von einer Farbe, als wäre es zu lange im Ofen gewesen, übergroße Reifen und ein von den Enkeln 1976 geschenktes Reflektorschild das seitlich über dem Hinterrad hinausragt und das Überholen erschwert. Nächste Seite: Der Geschäftsmann auf dem Mountainbike


Der Geschäftsmann

Sitzt fix und fertig mit Anzug und Manschettenknöpfen auf einem reichlich ordinären Alu-Mountainbike. Die Hosenbeine des Anzugs hat er mit fluoreszierenden Leuchtbändern unter die Kniekehle geklemmt. Deswegen sieht auch die ganze Welt, dass er fürchterlich billige Kaufhausssocken von Mangoo trägt, solche mit schon ausgewellten Bündchen. Das hindert ihn nicht daran, erst in geschmeidigem Antritt an dir vorbeizuziehen und dich dann wieder auszubremsen, während er am Mobiltelefon spricht. Genauso macht er es mit seinem BMW Z4 eben auch. Überholen: Ganz schlecht, möglichst lautlos anschleichen und mit großer Geschwindigkeit vorbei. Merkt er dein Vorhaben, wird er wieder beschleunigen, weil er sich grundsätzlich nur sehr ungern übergehen lässt. Hast du es geschafft, ist die Freude meistens kurz. Die nächste rote Radampel an der du stehen bleibst, überfährt der Anzugradler natürlich, nur um ganz genüsslich im höchsten Gang an dir vorbei zu pedalieren. Fährt Rad, weil: Erstens ist da eine leichte Anzugswampe, die dran schuld sein könnte, dass er schon länger Single ist, zweitens verschafft ihm das in der Firma eine dynamischere Aura, die seiner sonstigen Arbeit abgeht, drittens hat er ja dummerweise seit zwei Monaten keinen Führerschein mehr . Das Rad: Eher schlichtes, wertig wirkendes Mittelklasse-Mountainbike, gerne auch Rennrad. Nächste Seite: Der Trekking-Radler mit Adventure-Weste


Der Trekking-Radler

Arbeitet wahlweise als Lehrer oder Hausmann und hat sich im Leben trotz seines Vornamens und seiner Unsportlichkeit ganz vorzüglich eingerichtet. Er genießt es, draußen zu sein, er genießt es, unrasiert zum Wochenmarkt radeln zu dürfen, er genießt die 27 Gänge seines Trekkingrades, auch wenn er immer nur die leichtesten Gänge benutzt – er lässt sich doch nicht hetzen! Zusätzlich zu allerlei Reflektoren auf Rad und Klamotte präsentiert er einen neonpinken Helm und eine Trekkingweste mit 45 Taschen. Seelenruhig strampelt er sich im zweiten Gang vor dir durch den Berufsverkehr oder hält an der Ampel alle anderen auf, weil er kettenrasselnd in den ersten Gang schalten muss – zum Losfahren! Er fährt so langsam, dass sein Rad, wiewohl mehrere Jahre alt, immer noch diese Gummifitzel am Reifen aufweist. Überholen: Ganz gut, weil der Typ schmal ist, allerdings vorsicht auf die Lauchstangen, die aus dem Fahrradkorb hinten und Kinderbeine, die aus dem Fahrradkorb vorne herausragen. Als praktizierender Menschenfreund lässt er bereitwillig überholen, teilt allerdings, wenn ungünstige Ampelschaltung ihn wieder gleichziehen lässt, auch ein bisschen väterliche Häme aus: „Hat sich das Rasen gelohnt, junger Freund?“ Fährt Rad weil: Es das einzige in seinem Leben ist, was er einigermaßen selber voranbringt. Das Rad: Gut geputztes Kettler-Alu-Rad der neueren Generation, mit Grip-Shift-Schaltung und Zusatzsicherheitsausstattung. Nächste Seite: Der Fahrradkurier mit Killer-Instinkt


Der Fahrradkurier

Der einzige, der dich immer überholt, auch wenn du gerade mit einem zugeschalteten Raketentriebwerk den Großglockner runterfährst. Er überholt aber nie auf dem Radweg sondern jumpt kurz bevor er in dein Hinterrad crasht in eine Seniorengruppe auf dem Gehweg. In den meisten Fällen meidet er öffentliche Radwege aber wie Rockmusiker Milchbars meiden – bloß nicht da gesehen werden! Um den nach vorne verwachsenen Körper des Radkurieres hat sich im Laufe seiner Karriere eine organische Rüstung gebildet. Sie besteht aus zerfetzen T-Shirts, überfahrenen Dackeln, abgeplatzten Nummernschildern, Strafzetteln und Dieselruß und ist absolut wasserdicht. Deswegen riechst du ihn bei günstigem Wind auch kurz bevor er dir den Arm zermalmt, mit dem du ordnungsgemäß dein Abbiegen anzeigen willst. Überholen: Versuch es. Sämtliche Fahrradkuriere deiner Stadt werden fortan eine Fuchsjagd auf dich veranstalten. Einzige Möglichkeit: wenn der Fahrradkurier gerade einen Strafzettel kassiert oder wenn ihm seine Dreadlocks in die Speichen gekommen sind. Fährt Rad weil: Das mit der Musik noch(!) nicht genug(!) einbringt Das Rad: Hochgezüchtete Arbeitsmaschine, gerne selbstgeschweißte Kombination aus Rennrad und Mountainbike, natürlich frei von jeglichem Sicherheits-Ballast, gelegentlich sogar ohne Sattel. Nächste Seite: Die plaudernden Schülerinnen


Die zwei Schülerinnen

Es reicht ja nicht, dass sie in der Schule schon acht Stunden nebeneinander hocken, auch beim Heimfahren gibt es noch viel zu besprechen, auf Augenhöhe versteht sich. Damit bilden sie, müde nebeneinander strampelnd, ein unüberwindbares mobiles Ratsch-Bollwerk, das mit zwei hämisch entblößten Stringtangas den Rest der gestauten Welt grüßt. Nervöses Klingeln wird dabei genauso ignoriert wie etwaige Verkehrsregeln oder das Interesse des zügigen Verkehrsflusses. Überholen: Schwierig. Fest steht, dass du dir sowohl durch penetrantes Klingeln wie auch durch sportliche Eigeninitiative einen pointierten Kommentar („Arschloch, Wichser!“) der beiden Grazien einfängst. Noch ätzender wird es, wenn sie aus jugendlicher Ödnis ihr unabsichtliches Stauen in absichtliches Demütigen verwandeln und kichernd mit Slow-Schlangenlinien abwarten, wie sich der „Vollarsch“ hinter ihnen bestimmt gleich voll krass aufregen wird. Fahren Rad, weil: Ihre Assi-Freunde gerade zum zweiten Mal durch die Führerscheinprüfung gerasselt sind. Das Rad: Supertrashige Räder vom zwölfjährigen Bruder mit knirschtrockener Kette und halbem Plattfuß hinten. Nächste Seite: Das Mutter-Kind-Gespann


Die junge Mutter

Das Unüberwindbarste was dir passieren kann: die junge Mutter die mit ihrem Kinder-Sattelschlepper vor dir einschert. Hier hilft nur noch das Tocotronic-Motto: sag alles ab. Nicht nur, dass die Geschwindigkeit des Familiengespanns in etwa der des Heranwachsens der transportierten Kinder gleichkommt, es füllt auch den gesamten Radweg auf den Zentimeter genau aus. Die im Rhythmus des mütterlich-beseelten Schwankschritts wippende Signalfahne peitscht dir den Kopf, während du ungeduldig auf einen Truppenübungsplatz wartest, der genug Raum zum Überholen bietet. Während des Wartens gilt es wie in einem Jump-and-Run-Spiel den aus dem Kinderanhänger geschleuderten Gegenständen auszuweichen: Stofftiere, Trinkflaschen, kleinere Geschwister. Überholen: Falls du es versuchst, wird es hundertpro dazukommen, dass eine Fußgängeroma aus dem Busch springt und dich zur Vollbremsung zwingt. Das solidarische Entrüstungsgespann aus Jungmutti und Altomi wird sogleich im Rahmen einer schwellenden Passantenschar eine Hetztirade anstimmen, die dich bereitwillig um 180 Grad wenden und zurück zu deinem Ausgangsort fahren lässt. Fährt Rad weil: Na, der Jens ist doch heute mit dem Volvo in die Agentur. Das Rad:Von Volvo. Illustrationen: katharina-bitzl

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