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Der Krieg in der Hosentasche

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Heute morgen hat mich wieder eine Explosion geweckt. Ich bin aufgesprungen und habe aus meinem Fenster geschaut. Nichts zu sehen. Aber der Einschlag klang sehr nah. Ich habe auf Twitter geschaut, was passiert ist. Dort überschlugen sich die Nachrichten, wie immer in den letzten Wochen. Als ich das dritte Mal auf „aktualisieren“ klickte, stand dort plötzlich der Name einer Freundin von mir. Jemand schrieb, sie sei bei einem israelischen Angriff getötet worden. Ich habe sofort ihre Familie angerufen. Sie lebt. Zum Glück stellen sich Nachrichten manchmal als Gerücht heraus.

Gestern hatten wir wieder nur vier Stunden Strom. Dann funktioniert der Fernseher nicht. Mein Handy ist deshalb mein wichtigster Begleiter. Ohne es wüsste ich oft nicht, was in Gaza passiert. Raus kann ich nur selten. Zu gefährlich, sagen meine Eltern. Deshalb verbringe ich meine Tage auf Twitter und Facebook. Weil ich Englisch spreche, kann ich auch internationale Nachrichten lesen. Ich schaue auch, was die israelische Armee postet. Neulich schrieb einer der Sprecher, dass Israel sich um die Verletzten in Gaza kümmere. Davon habe ich bisher nichts gesehen. Im Gegenteil. Vor ein paar Tagen habe ich ein Krankenhaus besucht. Der Anblick war schrecklich: Es gibt nicht genug Platz für die Verwundeten, die Ärzte sind überfordert. Ich habe das Gefühl, dass über soziale Medien viel Propaganda verbreitet wird. Sowohl von Hamas als auch von Israel.

Protokoll: Theresa Breuer

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Eilmeldung jagt die nächste: Raketenalarm in Tel Aviv. 600 Tote in Gaza. Soldat vermisst. 30.000 bei Beerdigung. Keine Minute, in der mein Handy nicht klingelt. Jedes Piepsen eine weitere Nachricht vom Krieg. Seit Wochen dreht sich jedes Gespräch darum. Mit meinen Freunden, meinen Arbeitskollegen, sogar meiner Putzfrau. In die WhatsApp-Gruppe meiner Familie schaue ich schon gar nicht mehr, weil meine Schwester ständig Videos postet, die Explosionen in Gaza zeigen und sich gegen den Armeeeinsatz wenden. Jede Nachricht deprimiert mich mehr. Gleichzeitig fühle ich mich schuldig, deprimiert zu sein. Ich weiß ja, dass es den Menschen in Gaza viel schlechter geht als mir.

Dieser Sommer hätte so schön werden sollen. Seit Monaten arbeite ich an meinen Abschlussprojekt für mein Architekturstudium. Letzte Woche ist es endlich fertig geworden. Freuen kann ich mich kaum. Was für einen Sinn hat es, sich mit dem Aufbau von Dingen zu beschäftigen, wenn man in einem Land lebt, das nur Zerstörung kennt? Das Schlimmste ist: Es wird wieder zu nichts führen. Das ist der dritte Krieg in sechs Jahren. Selbst wenn es bald Waffenstillstand gibt, in zwei Jahren wird wahrscheinlich ein neuer losgehen. Ich habe die Hoffnung verloren, dass sich hier noch mal etwas ändert.

Protokoll: Theresa Breuer

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich schlafe nachts nicht mehr. Der Schreck, von einer Explosion geweckt zu werden, ist kaum zu ertragen. Man sollte meinen, nach drei Kriegen würde man kein Herzrasen mehr bekommen. Aber ich gewöhne mich nicht an die Angst. Bei jeder Explosion ist sie wieder da. Deshalb schlafe ich lieber erst gar nicht.

 

Nachts haben wir meistens keinen Strom. In diesen Stunden ist mein Handy meine einzige Lichtquelle. Ich lese dann Nachrichten auf Facebook und Twitter. Es ist wie eine Sucht. Jedes Mal, wenn ich den Browser öffne, fürchte ich mich vor mehr schlechten Neuigkeiten. Andererseits will ich die ganze Zeit wissen, was in Gaza passiert.  

 

Vor einem Monat haben Freunde und ich aus Spaß einen Kurzfilm am Strand gedreht. Wir haben ein paar Kinder gefragt, ob sie Statisten spielen wollen. Drei Wochen später sah ich Fotos von den Jungs auf Facebook. Sie sind an demselben Strand von einer israelischen Rakete getötet worden, an dem wir unseren Film gedreht haben. Als ich das sah, habe ich zum ersten Mal so richtig vor Angst und Wut und Verzweiflung geweint.

 

Normalerweise würde ich jetzt meine Semesterferien genießen. Aber ich darf nicht rausgehen. Meine Eltern erlauben mir nur, das Haus zu verlassen, wenn sich Hamas und Israel für wenige Stunden auf eine Feuerpause einigen. Aber auch dann darf ich nur bis zum Supermarkt gehen, der am Ende unserer Straße liegt. Dieses Rumsitzen macht mich wahnsinnig.  

 

Protokoll: Theresa Breuer

 

Screenshots von Sarahs Smartphone:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sobald ich morgens aufstehe, checke ich mein Smartphone. Den ganzen Tag, bis ich wieder ins Bett gehe. Manchmal wird es mir zu viel. Videos von getöteten Kindern kann ich meist nicht zu Ende sehen. Ich schaue kaum Fernsehen, sondern lese auf Facebook, Twitter, internationale Medien wie CNN oder Regionales wie die Seite der Nachrichtenagentur Ma’an in Bethlehem.

 

Früher, ohne Smartphone, habe ich während Kriegen und Konflikten nicht so schnell Informationen bekommen. Jetzt bin ich live mit dabei, bekomme Eilnachrichten zum Beispiel über die App „Palästinensische Nachrichten“. Und in den sozialen Netzwerken sehe ich sofort Bilder und Videos. Außerdem habe ich sogar die Möglichkeit, auf der Seiten wie der von „Jewish Voice for Peace“ zu lesen. Das hat meine Meinung geändert, viele Juden wollen in Frieden leben und schämen sich für diesen Krieg.

 

Ich habe viele Freunde im Ausland, Italien, USA, Deutschland, Australien, die oft fragen, wie es mir geht. Öfter noch, als meine Freunde aus arabischen Ländern. Es macht mich stolz, so viel Unterstützung aus dem Westen zu sehen. Auf Whatsapp hat sich eine deutsche Freundin bei mir gemeldet, die in Tel Aviv studiert und die hier in Bethlehem Swingtanz unterrichtet. Sie wollte wissen, wie es mir geht. Ich habe viele Whatsapp-Gruppen, wir reden ständig über den Krieg.

 

Aber das machen nicht alle so. Viele haben sich mit der Situation abgefunden, erwarten keine Veränderung und wollen nur ihr Leben leben. Sie chatten über Alltagsdinge und Liebesgeschichten, nicht über Politik. Über Facebook bekommen allerdings auch diejenigen Updates, die gar keine Nachrichten lesen wollten.

 

Protokoll: Lissy Kaufmann

 

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Yoav, 27, Student der Verhaltenswissenschaften aus Tel Aviv

Nachdem die Sirene in Tel Aviv ertönt, blinkt mein Smartphone. Nicht, wegen der Alarm-App – die habe ich gar nicht installiert. Mein Bruder, meine Schwester und ich schreiben uns nach jedem Alarm in Tel Aviv. „Alle cool?“ oder „Alle am Leben?“ Einmal habe ich nicht gleich geantwortet, weil ich mein Telefon nicht bei mir hatte. Fünf Minuten später hat mich meine Schwester angerufen. Sie hat dann geschrieben: „Bei Yoav ist alles cool.“ Es ist ein Weg, mit dem Alarm umzugehen, sich zu erzählen, was man in dem Moment gerade gemacht hat. In Krisenzeiten wächst der Zusammenhalt. Wir machen das nicht, weil wir wirklich Angst haben, dass etwas passiert ist.

 

Ich bin fast schon abhängig von meinem Smartphone. Am meisten lese ich auf Facebook, versuche aber, mich aus Diskussionen rauszuhalten. Mein ehemaliger Nachbar, mit dem ich aufgewachsen bin und mit dem ich schon seit Jahren kaum noch Kontakt habe, hat Hassparolen gepostet. Man solle alle platt machen. Er hat linksgerichtete Autoren und arabische Parlamentarier angegriffen. Ich war so schockiert, dass ich ihm geschrieben habe, dass das traurig ist. Er hat versucht, sich zu rechtfertigen und gemeint, wir sollten uns mal wieder auf ein Bier treffen.

 

Auf Nachrichtenseiten stört mich, dass alle Ressorts sich nur noch mit dem Krieg befassen. Auf X-Net zum Beispiel, einer lokalen Lifestyle-Seite aus Tel Aviv, ging es darum, wie Mädchen damit umgehen, wenn der Ex-Freund eingezogen wurde. Wir hören zu wenig von der anderen Seite, den Menschen in Gaza, und eigentlich kaum noch vom Rest der Welt.

 

Protokoll: Lissy Kaufmann

 

Screenshots von Yoavs Smartphone:

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Eliran, 30, Journalist und Fotograf aus Tel Aviv

Abgesehen davon, dass die Situation mich sehr beunruhigt und ich zwei Mal am Tag ins Treppenhaus renne, wegen der Sirenen, ist mein Leben wie immer. Trotzdem kann ich nicht aufhören, im Internet zu lesen und Videos anzusehen - dadurch schlafe ich sehr wenig. Vor ein paar Tagen haben ein Freund und ich erreicht, dass eine Facebook-Seite einen Post gelöscht hat, den wir gefährlich fanden, obwohl viele Menschen ihn mit geliked hatten. Ich nutze alle möglichen Informationsquellen, um ein vollständiges Bild zu bekommen: israelische Nachrichten, Facebook, um zu sehen, was meine Freunde, auch die in Gaza, über die Situation schreiben, westliche Medien, vor allem deutsche, wie Zeit und Spiegel, arabische Medien, Facebook-Seiten arabischer Agenturen, und Sachen, die nicht in den Massenmedien veröffentlich werden. 

 

Dies ist ein Krieg der neuen Generation. Er wird aus jedem Winkel gefilmt. Facebook ist voll von Bildern und Videos, die zeigen, was passiert. Hamas veröffentlicht Nachrichten über das Internet. Über Whatsapp und andere Text-Apps bleibt jeder schnell und einfach mit seinen Leuten verbunden. Das hilft: Jeder möchte gerne wissen, ob seine Lieben in Ordnung sind. Gleichzeitig ist es Soldaten verboten, Smartphones mit in den Kampf zu nehmen. Und auch viele Informationen, die Gerüchte sind, gelangen so unter die Leute. Dagegen können wir nichts tun.

 

Ich glaube, dass wir verantwortungsvoll sein müssen. Jeder sollte vorsichtig mit den Daten und Infos umgehen, die er herumschickt oder postet. Es gibt Geschichten von Familien, die Infos über tote Soldaten bekommen haben – und ein Name war der ihres Sohnes. Aber es war ein Fehler, es ging um einen anderen Soldat mit dem gleichen Namen. Das ist der Nachteil: Wir kriegen eine Menge halb bestätigter Informationen. Und wir können nervös werden, wenn wir ein paar Stunden lang nichts von jemandem hören. Aber trotzdem: Die Nachrichten sind in der Hand des Volkes. Jeder ist „die Medien“ und nicht nur Nachrichtensendungen und Zeitungen. Es ist schwer, das in dieser Region zu sagen – aber wir alle wollen ein normales und friedliches Leben führen.

 

Protokoll: Nadja Schlüter

 

Screenshots von Elirans Smartphone:

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Text: jetzt-redaktion - Fotos: privat; Screenshots

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