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Der Hipster: Ein Überbleibsel der Nullerjahre
Die Figur des Hipsters kommt einem auf den ersten Blick vor wie Walter, der Protagonist des bekannten Bilderbuchs für Kinder „Wo ist Walter“ von Martin Handford. Walter trägt stets Pudelmütze, rot-weiß gestreiftes Hemd und Kamera um den Hals. Auf großen, detailreichen Zeichnungen der verschiedensten Menschengedränge gilt es, ihn stets aufs Neue ausfindig zu machen.
Den Hipster findet man in der wirklichen Welt nach dem gleichen Prinzip: inmitten des Szeneviertelgedränges jeder größeren Stadt der Welt ist er immer an seinem Look zu erkennen. Sei es das New Yorker Williamsburg, das Hamburger Schanzenviertel, Berlin-Mitte oder London-Shoreditch. Der meist androgyn anmutende Künstlertyp sitzt dort in einem der beschaulichen Eckcafés, die ebenfalls überall ähnlich aussehen. Sein Outfit besteht häufig aus Kleidungsstücken wie einer hautengen acid-washed Jeans, dem kanadischen Holzfällerhemd, einer auffälligen Fensterglasbrille und einer „trashigen“ Vintagetasche, die hin und wieder von einem Belanglosigkeitscharme ausstrahlenden Jute-Beutel abgelöst wird. Er betrachtet sich selbst als einen avantgardistischen Trendsetter und bestellt sich ein Goatscheese-Walnut-Tramezzino, das ihm auf buntem Flohmarktporzellan neben sein neues Macbook serviert wird.
Was den Hipster zum charakterisierenden Phänomen des letzten Jahrzehnts macht, ist jedoch gar nicht ausschließlich sein modisches Erscheinungsbild. Schon allein weil das gesamte Repertoire seiner Kleidung einheitlich unter den Überbegriff „modisches Revival des 20. Jahrhunderts“ fällt, kann keiner der von ihm getragenen Klamotten als besondere Innovation des letzten Jahrzehnts in Erinnerung bleiben. Das Paste Magazine hat auf der Doppelseite ‚the evolution of the hipster’ gerade versucht zu veranschaulichen, durch welche verschiedenen Gewänder sich der Geist des Hipsters von seiner Neugeburt Ende der Neunziger bis ins Jahr 2009 zum Ausdruck gebracht hat. Steckte er 2002 noch als Indieboy in Chucks und Ringelshirt, findet man ihn heute im Kostüm des Elektrojungen mit Schnauzbartfeature und spitz zulaufenden Lederschuhen.
Die Sehnsucht, sich durch einen ausgefallenen, avantgardistischen Style und der Vorgabe von subkulturelle Weltanschauungen besonders einzigartig hervorzuheben – das ist es, was hinter den ständig wechselnden Gewändern als Konstante bestehen bleibt. Das markanteste Erkennungszeichen des Hipsters ist es daher auch, abzustreiten, einer zu sein. Die Kategorisierung seiner Person ist sein schlimmster Alptraum – sie macht ihn zu einem austauschbaren Mustermenschen.
Wer genau dieses zu Beginn des neuen Jahrtausends in der Jugend heranwachsende Wesen erstmals mit der Bezeichnung des Hipsters versah, ist unklar. Klar hingegen ist: Der Begriff des Hipsters an sich ist keine Erfindung unserer Zeit. Enstanden ist das Wort um die 1930er Jahre in der schwarzen Jazzmusikszene Amerikas. Jeder, dem damals eine gewisse Kompetenz innerhalb der evolvierenden Jazzszene nachgesagt wurde, war “hep”, oder ein “Hepcat”. Aus “hep” wurde “hip” und in den 1940er Jahren schließlich das Nomen “Hipster”. Es war die Zeit, in der Jazzmusiker wie Charlie Parker und Thelonius Monk den schnellen, rythmischen Bebop als Reaktion auf den langsamen Swing erfanden – und so eine Art eigene, isolierte Identität jenseits von politischen Idealen im von der Rassentrennung geprägten Amerika anstrebten. Schnell gesellten sich, von dem reizlosen Konformismus der Eisenhower Ära ebenfalls enttäuscht, auch weiße Intellektuelle wie die Schriftsteller Allen Ginsberg und Jack Kerouac zu ihnen. Diese weißen Hipster sind es schließlich, auf die sich der Schriftsteller Norman Mailer in seinem 1957 veröffentlichten Buch “The White Negro - Superficial reflections on the Hipster” bezieht, als er versucht das Hipstertum einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Er beschreibt sie als „der Mittelschicht entsprungene Individuen, die ihre Angehörigkeit zur weißen Gesellschaft durch die Adoption des in ihren Augen so unbefangen, lässig und sarkastisch wirkenden Lebensstil der Schwarzen ablegen wollten.“ Sie fingen demnach an, wie ihre schwarzen Idole zu sprechen, sich an denselben Drogen wie sie zu berauschen und sich der neuen Schickheit halber eine gewisse Armut anzudichten. Außerdem bekannten sich öffentlich zu dem schamlosen Verlangen nach purem Sex- und begannen den Abschied jeglicher Prüderie zu provozieren.
Ende der 60er Jahre löste sich die immer relativ überschaubar gebliebene Gruppierung der Hipster langsam auf. Die europäischen Bohemians gingen gegen die politischen Missstände ihrer Länder auf die Barrikaden und stellten den amerikanischen Hipster dadurch vollkommen in den Schatten – er nämlich weigerte sich, politisch Stellung zu beziehen. Er hatte sich immer als liberal bezeichnet, weil es seiner prätentiösen Lässigkeit gut stand – die Motivation zu einer politischen Meinung jedoch hatte er nie entwickelt. Seine Existenz war eine unideologische und damit mehr Pose als Haltung.
All das klingt verdächtig nach jenen exzentrisch gekleideten Jungs und Mädchen die heutzutage in den Szenevierteln dieser Welt von ihren bunten Tellerchen essen: künstlerische Querdenker wollen sie abgeben, in Wirklichkeit beschränkt sich ihr Interesse aber auf die bloße Zugehörigkeit zu einer Szene, die allein durch ihren Style avantgardistisch wirkt. Es ist wichtiger als Erster ein iPhone zu besitzen, als sich um die Briefwahlunterlagen zur Bundestagswahl zu kümmern.
Nicht nur die Rückkehr des Hipsterwesens, sondern vor allem die Dimension in der sie erfolgt ist, macht sie so beachtenswert. Der moderne Hipster ist ein weltweites Phänomen – durch die Verbreitung des Internets ist die Zeitspanne, innerhalb der Mode vom Ausdruck eines individuellen Stils fotografiert, gebloggt, in einen Trend gewandelt und schließlich verkauft wird, kurz aber deutlich nachvollziehbar geworden. Sich in den Anfang der Kette einzugliedern und vorzugeben, einen bestimmenden Teil ihrer Entwicklung darzustellen, ist jetzt einfach und schick. Die persönliche Profilierung erfolgt nicht durch intellektuelle Bewandnis auf einem Gebiet, sondern durch puren Style. Im Vice-Magazine diktieren die bekannten Do's and Don'ts wie man am herausragendsten Underground zu sein hat, American Apparel propagiert mit seinen halbnackten, amateurhaft aufgenommenen 08/15 Models eine Art rebellische “Scheiß-auf- Etikette” Lebenseinstellung und Pornoseiten wie Hipsterporn zeigen der Welt, wie ungeniert man mit den letzten gebliebenen Tabus umgeht – und sich dadurch gleichzeitig auch noch auf die Spitze der stylischen Coolness befördert. Rund um die Welt bilden diverse bekannte Streetstyleblogs einen stets gleichen Prototyp des gewollten Exzentrikers ab – zwar dämmert der Masse allmählich, dass dieser sich vom Paradiesvogel einfach nur zum neuen Anführer des Mainstreams entwickelt hat – ignoriert es aber gekonnt. Ein gutes Beispiel dafür ist auch der durch Facebook entstandene Trend, sich für völlig gewöhnliche Parties einer Szenelokalität vorher online auf einer Gästeliste eintragen zu müssen. Am Eingang kauft man mit dem trotzdem zu zahlenden Eintritt dadurch die türsteherische Frage des “Stehste auf der Liste?” gleich mit ein. So wird neuerdings jedem vorgegaukelt, zu einer subkulturellen Avantgarde zu gehören.
Viel wird seit geraumer Zeit über den Hipster gefachsimpelt – bei einer so großen medialen Auseinandersetzung mit einer Person, die nicht benannt werden will, wundert es nicht, dass der Hipster deshalb auch seit geraumer Zeit tot gesagt wird. Im Netz hagelt es Spott und Hohn, Seiten wie LookAtThisFuckingHipster und Hipsters Suck machen es sich zur Aufgabe, den Hipster beispielsweise anhand einer sogenannten
Hipsterolympiade zu seiner eigenen Karikatur verkommen zu lassen. Am Treffendsten schafft das wahrscheinlich die britische Sitcom „Sugar Ape“, eine sehr genaue Abkupferung des bekannten Vice Magazines. Im Zentrum der Serie steht Barleys Homepage Trashbat.co.uk und mit ihr die Erkenntnis, dass die große Welt des Internets zwar ungeahnte Möglichkeiten der (Selbst-)Publikation bietet, Talent und Qualität darin aber oft unansehnlich auf der Strecke bleiben. Zu guter Letzt gibt es jetzt als Jahresendschmankerl bei Gawker.com auch noch die "Hipster Of The Decade"Abstimmung, in der man bis Ende des Jahres noch den Vollbluthipster der letzten Dekade wählen kann.
Wer den Hipster nicht verhöhnt, „geht schon ganz gern mal auf eine Hipsterparty“, einfach, um ihn sich anzuschauen und sich eventuell hier und da modisch von ihm inspirieren zu lassen. Mehr als die Aufmerksamkeit eines gewöhnlichen Dekorationsgegenstands, den man spaßeshalber in seinem Alltag platziert, wird ihm nicht zuteil.
Umbringen tut es ihn das aber nicht. Der Hipster ist nämlich eines nicht: blöd. Im Gegenteil, er schaltet schnell – weil sich die Welt um ihn herum so schnell bewegt, wie noch nie. Es ist eben nicht so einfach, wahren Tiefgang zu beweisen, wenn man oft nur durch das oberflächliche Abhandeln von Dingen am Puls der Zeit bleiben kann. Twitter-Nachrichten verpasst man sekündlich.
In welches Gewand ist er also geschlüpft- da ihm der Trubel um seine Person zu bunt geworden ist? Ist er der immer noch extrem stylisch gekleidete Junge, der neuerdings aber durch den Biomarkt ums Eck streift und sich sehr für einen nachhaltigeren Lebenstil zu interessieren scheint? Der bei American Apparel nur noch nach den „organic cotton“ Shirts verlangt? Ja, vielleicht ist er das. Weil er die Oberflächlichkeit, die ihm nachgesagt wird, nicht länger erträgt und beweisen möchte, dass Style und intelligentes Engagement sehr wohl zu vereinbaren sind. Sogar besser denn je.