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Der große Schritt
Frank Ocean gilt in den Augen und Ohren vieler als der nächste große Superstar im urbanen Musik-Sektor, als neuer HipHop-Heilsbringer, als Retter des R’n’B. Und wenn sich so jemand auf seinem Tumblr öffentlich dazu bekennt, schwul (oder zumindest bisexuell) zu sein und einen Mann geliebt zu haben, dann ist das was. Oder?
Wenn man diesem Umstand einmal vom HipHop- bzw. Pop-Kosmos losgelöst betrachtet, ist das erst einmal vor allem eins: banal. Da fühlt sich ein Typ eben zu Männern hingezogen. Und? Soll er doch.
Der Rapper Murs trägt in seinem neuen Video ein T-Shirt mit der Aufschrift "Legalize Gay".
Der Umstand, dass Franks Blogpost, in dem er davon erzählt, wie er mit 19 Jahren sein Herz an seinen damaligen besten Freund verlor, ein solches Medienecho hervorruft, ist die eigentliche Nachricht. „Wie kann es heutzutage denn noch sein, dass ein Outing solche Wellen schlägt?“, fragt man sich leicht überrascht. Doch so einfach ist das dann eben doch nicht, und das hängt wohl vor allem mit zwei Dingen zusammen: Damit, dass Frank Ocean der als homophob verschrienen HipHop-Szene entstammt und damit, dass er Staatsbürger des spießigen Amerikas ist.
Doch es scheint sich etwas zu tun im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Mittlerweile gibt es dort schwule Nachrichtensprecher wie Anderson Cooper, Präsident Barack Obama setzt sich für die Homo-Ehe ein, und nun gibt es eben auch einen schwulen Sänger in einer HipHop-Crew. Es ist toll, dass Frank für sein Coming-Out so viel prominente Rückendeckung erhält; dass sich Beyoncé für ihn stark macht; dass Jay-Z ihn für diesen Schritt beglückwünscht; und dass Def-Jam-Gründer Russell Simmons das Ganze gar als „großen Schritt für HipHop“ einordnet. Aber ein bisschen übertrieben scheint der ganze Rummel schon.
Denn das ungebrochene Stigma der Schwulenfeindlichkeit, das der HipHop-Szene nach wie vor anhaftet, ist vor allem eines, das von den Medien aufrecht erhalten wird, um etwas zu schreiben zu haben. Da werden immer noch regelmäßig Textzeilen von Anno Blumenkohl zitiert, in denen das Wort „schwul“ in despektierlicher Art und Weise fällt. Da werden immer noch rückständige Meinungen einzelner Rapper stellvertretend für den Mindstate einer gesamten Szene verstanden. Und da hält sich nach wie vor die Vorstellung, HipHop sei durch die Bank weg eine Kultur voller Schwulenhasser, obwohl es durchaus homosexuelle Rap-Crews wie Yo Majesty oder Deep Dick Collective gibt, sich prominente Szene-Vertreter wie Kanye West schon lange öffentlich gegen Homophobie aussprechen und mit Eminem selbst einer der Oberbösewichte der Szene in trauter Einigkeit mit schwulen Künstlern wie Elton John kollaboriert.
Dennoch ist es ohne Zweifel vollkommen richtig, dass Schwulenfeindlichkeit im männerdominierten HipHop existiert. Leider. Wie in jeder anderen Szene auch. Leider. Weil Homophobie in unserer Gesellschaft eben immer noch ihren Platz hat. Leider.
Aber wir befinden uns auf einem guten Weg, auch im HipHop. Rapper Murs thematisiert das Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe in seinem neuen Song „Animal Stye“ auf sehr anschauliche Art und Weise, Casper lief auf dem diesjährigen Splash-Festival augenzwinkernd mit einem „Smile If You’re Gay“-T-Shirt herum und der aktuelle Hype um Hipster-Rap und das damit einhergehenden Tragen von szene-untypischen Klamotten wie engen Hosen und Karohemden visualisiert das Ganze zudem auf recht anschauliche Art und Weise.
http://www.youtube.com/watch?v=WwTSPcNSi40&feature=player_embedded
Es darf bezweifelt werden, dass das Coming-Out von Frank Ocean tatsächlich ein so großer Schritt für HipHop ist, wie Russell Simmons behauptet hat. Aber es ist definitiv ein richtiger Schritt dahin, dass die gleichgeschlechtliche Liebe irgendwann den gesamtgesellschaftlich anerkannten Stempel der Normalität tragen kann.
Momentan zeigt das Outing von Frank Ocean vor allem eines, und das ist im HipHop immer schon das Wichtigste gewesen: dass er Eier hat. Denn was ist wohl mutiger: In einer Männerdomäne wie der HipHop-Szene öffentlich etwas Schwulenfeindliches zu sagen oder sich öffentlich zum Schwul-Sein zu bekennen? Eben.