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Der einsame Spaziergang des Kanye West
Freundlich sind sie meistens, die Angestellten der großen Plattenfirmen. Das, was sie sagen, kann aber trotzdem eher unangenehm sein. Der Typ von Def Jam Großbritannien zum Beispiel, sagt: "Ach ja, keine Fragen zu seinem Privatleben. Und bitte auch nichts zum Wahlsieg Barack Obamas und zu nichts, was mit Politik oder Rasissmus zu tun hat. Kanye möchte nur über sein Album sprechen." Das ist natürlich völlig legitim, aber dennoch etwas schwierig - nicht nur, weil es den Interviewer aus dem Konzept bringt. West war schließlich einer derer, die Barack Obama im Wahlkampf unterstützten und nimmt auch sonst kein Blatt vor den Mund. "George Bush doesn't care about black people" sagte er nach dem Hurricane Katrina, und als ihm bei einer Awardshow die Rave-Yougster Justice den offenbar schon als sicher geglaubten Award klauten, erklärte er ebenso wortreich wie selbstbewusst, warum eigentlich diese Trophäe verdient gehabt hätte und nicht irgendwelche dahergelaufenen Franzosen.
Dass eine gewisse Winner-Attitüde schon immer zum HipHop gehört, ist klar, ebenso, dass West sie in der Vergangenheit subtiler und gewitzter zelebrierte, als das Gros der MeinHausmeinAutomeineLady-Rapper, die die Clipkanäle verstopfen. Das Problem an der Sache: Auf "808s & Heartbreak", dem zweiten Album in eineinhalb Jahren, macht West die Dinge jetzt anders und irritiert damit heftig. Der Paradigmenwechsel geht dabei weiter als je zuvor, das so gerne und meistens völlig falsch benutzte Wort Neuerfindung scheint hier zunächst tatsächlich zu greifen. West, und das ist schon eine Nachricht, rappt kaum mehr. Die Beats sind manchmal etwas mürrisch und eher 80er-Pop und Elektro als kontemporärem HipHop zugeneigt. Dass die Nennung des Drumcomputers im Titel ihre Berechtigung hat, erkennt man früh. Auf fast allen Songs der Platte jagt West den Herzschmerz, der schon im Titel angetriggert wird, über den man aber im Interview nicht reden darf, durchs Autotune. Das ist ein Plugin, das eigentlich die kleinen Fehler und Falten der menschlichen Stimme ausbügeln soll und seit seinem massiven Einsatz in Chers Nerv-Hit "Believe" von einer satten Mehrheit aller Musikinteressierten auf die Blacklist gesetzt wurde. Kanye West weiß das. "Ich bin der einzige kredible Künstler, der mit Autotune arbeitet", sagt er. Ein bisschen übertrieben ist das natürlich schon, Usher, T-Pain und Akon benutzen das Ding ja auch. Wests Ansatz ist aber offenbar ein anderer: "Ich war neulich bei der Ausstellung einer Künstlerin, die Bilder malt und Skulpturen formt, die komplett aus Müll bestehen. Das war wirklich ganz, ganz großartig. Man sollte nie einem Künstler vorschreiben, mit welchen Materialien er zu arbeiten hat", erklärt er. Schließlich käme es immer auch auf den Blickwinkel an: "Was für einen Abfall ist, mag für den anderen eine volle Mahlzeit sein." Die sparsam gesetzten Features sind es letztendlich, die "808s & Heartbreak" wie Spreizdübel mit HipHop-Amerika verbinden. Rein in die Wand, bumm. Lil'Wayne, Young Jeezy - das ist Markenware, die bombensicher hält, die aber auf einem Kanye-West-Album nicht unbedingt überrascht. Die kreative Marke setzt neben dem Meister selbst ein anderer: Mr. Hudson, dessen Band auf seinen Namen hört, ergänzt mit einem "and the Library", und die traditionell zwischen den Stühlen sitzt. Sie wird West auf seiner Tour begleiten, zuletzt war die Band mit Mika zusammen. West, und das überrascht dann doch ein bisschen, gerät ins Schwärmen: "Hudson ist ein wirklich großartiger Künstler, der tolle Songs schreibt und dabei jedes Klischee umgeht, auch was die Texte und Themen angeht", sagt West und das ist dann schon eine recht konkrete Ansage. Der Entstehungsprozess, der sei schwierig erklärbar, eben die Summe seiner Emotionen. Wie dieser düstere Einsamkeitsspaziergang beim Hörer ankommt - das weiß er nicht. So arg wichtig scheint's ihm auch nicht zu sein, es ist eben ein Angebot, dass er macht. Zweifel, ob seine Gesangsstimme ein ganzes Album tragen kann, hat er ebensowenig. "Oh, ich habe keine Ahnung, ob sie das wirklich kann" sagt er und fügt an, dass er darüber keinen Moment lang nachgedacht habe. Ein eigenes Genre, so sagt West irgendwann im Verlauf des Gesprächs, habe er mit diesem Album erfunden: "Pop Art". Dass der Begriff nicht ganz neu ist, stört ihn nicht, und seine Erklärung klingt durchaus griffig: Kunst ist's, weil der Anspruch ein hoher ist. Und Pop im Sinne derer, auf deren Augenhöhe er operiert. Bei einer vorherigen Albumpräsentation nannte er als geeignetes Umfeld Kollegen wie Beyonce, Grace Jones, Paul McCartney oder Bono. Im Gespräch ist Michael Jackson einer der wenigen Vergleichsparameter, die West gelten lässt und, Notiz am Rande, an dessen neuen Album er zumindest bisher noch nicht mitgearbeitet hat. Beschäftigt sei er momentan mit anderen Dingen, etwa der Produktion des neuen Jay-Z-Albums, das im Februar erscheinen soll. Da höre man ihn dann auch wieder rappen, versichert er. Schön, denn bei allem Respekt vor den Visionen und dem Mut, den sein neues Album transportiert: Das fehlt dann doch ein bisschen.
808s & Heartbreak von Kanye West ist auf DefJam/Universal erschienen.