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Der einflussreichste Mann des Jahres: ein Komiker
Zugegeben: Die Website Askmen.com tut sich im Alltag nicht unbedingt mit haarscharfen politischen Analysen hervor. Genauso wenig wird in den Foren ausführlich über die US-Strategie im Irak diskutiert – stattdessen werden dort „maskuline“ Weinsorten vorgestellt und angeblich garantiert funktionierende Strategien, um auch die widerspenstigste Frau ins Bett zu zerren. Die jährliche Umfrage der Website nach dem einflussreichsten Mann Amerikas ist dennoch durchaus ernst zu nehmen – schließlich stimmen über diese Frage jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen ab. In diesem Jahr hat es der Comedian und Schauspieler Jon Stewart auf Platz 1 der Liste geschafft. Noch vor Mark Zuckerberg (Platz 3), Kanye West (Platz 5) und sogar Barack Obama (der es in diesem Jahr gerade mal auf Platz 21 schaffte, ein steiler Abstieg von Platz 1 im Jahr 2008).
Mit seiner täglichen Late-Night-Fernsehsendung The Daily Show auf dem Spartensender Comedy Central erreicht Jon Stewart einen Großteil der jungen, liberalen Amerikaner, die sich nirgendwo sonst repräsentiert fühlen und deren Hauptinformationsquelle eben diese Sendung ist. Und das ist angesichts der Tatsache, dass Stewart vor acht Jahren mit dem Konzept einer „Fake News Show“ auf Sendung gegangen ist, sicherlich ein klein wenig beunruhigend. Aber auch wenn das ursprüngliche Konzept der „Daily Show“ vor allem eine Satire auf die immer populärer werdenden Infotainment-Schreirunden-Talkshows war, die auf den Nachrichtensendern CNN und vor allem FOX News den Platz der klassischen Nachrichten eingenommen hatten, so hat sich die Show in den vergangenen acht Jahren zu einer kleinen abendlichen Gegenöffentlichkeit zu den Mainstream-Medien entwickelt, die unter der Führung von FOX immer mehr nach rechts und vor allem in den Mainstream abgedriftet sind. Seitdem sich das politisch interessierte Amerika nun mit den ultrakonservativen Tea-Party-Splittergruppen und deren medialen Einpeitschern Glenn Beck, Sarah Palin und Bill O’Reilly auseinandersetzen muss, ist Stewarts trockener Humor und seine tägliche Auseinandersetzung mit diesen Absurditäten für viele Zuschauer noch viel wichtiger geworden. Nur so können sie die beharrlich vorgetragenen Verschwörungstheorien von Obamas angeblich sozialistischer Agenda bis zu seinem angeblich gefälschten Geburtszeugnis und die immense Wut, die aus all den Anschuldigungen und Protestaktionen hervorgeht, einigermaßen gelassen ertragen. Und so überrascht es nur wenig, dass der große Protestmarsch Rally To Restore Sanity, den Jon Stewart für den 30. Oktober in Washington angesetzt hat, mittlerweile laut Medienberichten über 90.000 Zusagen von Teilnehmern hat – mehr als die Glenn Beck-Tea-Party-Veranstaltung „Restoring Honor Rally“ am 28. August dieses Jahres, auf die sich die Stewart-Aktion satirisch bezieht. Aber ein bisschen ernst ist es ihm durchaus schon: Stewarts "Rally To Restore Sanity" soll ein Protestmarsch für all diejenigen sein, die eigentlich keine Zeit für Protestmärsche haben. Es soll eine öffentliche Zusammenkunft der Menschen werden, die nur deshalb nicht gehört werden, weil sie nicht gerne herumschreien. Und die eigentlich ganz zufrieden sind mit der Arbeit des Präsidenten. Der hat sich übrigens auch schon angekündigt - weit hat er's ja nicht.