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"Das System hat die Street Art inhaliert"
Man könnte meinen, der Begriff Gentrifizierung beziehe sich auf zwei Umstände. Erstens: Die soziale Umstrukturierung eines Stadtteils durch dessen Veredelung – zum Nachteil der einkommensschwachen Anwohner. Zweitens: Die Tatsache, dass spontane Kritzeleien und Tags immer mehr durchdachten und aufwendigen Wandmalereien weichen – zur Freude des Auges. Malereien und Zeichnungen auf Wänden hatten lange einen schlechten Ruf. Spätestens seit Street Art in die Galerien eingezogen ist, werden solche gemalte, gesprayte oder geklebte Werke im öffentlichen Raum neu bewertet. Prints von küssenden Polizisten verkaufen sich zwar gut, aber die eigentlichen Künstler profitieren selten direkt von den zahlreichen Fotos, die von ihren Werken geschossen werden. Wäre es nicht schön, wenn man einfach ein paar Euro für ein Kunstwerk zahlen könnte, das einem gefällt? So wie man einem Straßenmusiker Geld für eine schöne Melodie abtritt?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Seite www.streetartforbitcoin.com versucht, genau dies umsetzten. Die Macher haben eine Plattform entwickelt, die es ermöglicht, für ein Kunstwerk auf der Straße zu spenden. Das soll so funktionieren: Der Künstler fügt seiner Arbeit einen QR-Code bei, der auf sein Profil auf der Website verlinkt. Interessierte Passanten können den Code einscannen und direkt, ohne den Umweg über einen Mittelsmann gehen zu müssen, an den Street Artist spenden – und das via Bitcoin, eine virtuelle Währung, die nicht in einer Zentralbank geboren, sondern einzeln errechnet wird, indem Computer mathematische Aufgaben lösen.
Die Idee klingt gut, die Street-Art- und vor allem die Graffiti-Szene ist aber gespalten. Vielleicht will deshalb bislang kein Künstler mitmachen.
Bote der Demokratie oder Sell-Out?
„Bitcoins sind eine dezentrale Währung. Die gehört keinem. Demokratischer geht’s wohl nicht“, sagt etwa der Berliner Street-Art-Künstler, Blogger und Fotograf Just. „Da sitzt keine Bank dahinter und du hast direkten Kontakt zu dem Künstler. Die Idee der Bitcoins hat vielleicht schon etwas Antikapitalistisches.“ Kapitalismus, Konsumismus und Systemkritik sind seit der Entstehung der Street Art inhaltliche Schwerpunkte. Geld mit seinen Werken zu verdienen und die Integrität als Street Artist zu wahren, stehen für ihn jedoch nicht im Widerspruch: „Ich finde, dass jeder von dem, was er tut, leben können sollte.“Nicht alle teilen diese Meinung. Carsten Janke vom „Graffiti Archiv“, einer Unterabteilung des Archivs für Jugendkulturen in Berlin, erläutert: „Graffiti und Street Art leben doch davon, dass sie seit Jahrzehnten unbezahlte Kunst für alle bieten. Das Unentgeltliche ist wohl der Hauptunterschied zu allen anderen Kunstformen. Gewinn zu machen, widerspricht dem Grundgedanken.“
Raiko Schwalbe, dessen Agentur „Intoxicated Demons“ jährlich die „Stroke Art Fair“ organisiert, glaubt nicht an einen Geldsegen für die Künstler. Er befürwortet zwar die Idee, Schöpfern den direkten Kontakt zum Publikum zu ermöglichen, und glaubt auch, "dass die Bereitschaft seriösen, schönen Arbeiten durch Spenden Respekt zu zollen" vorhanden sei. Aber die "Awareness", für etwas, das man umsonst bekommt, zu bezahlen, müsse noch aufgebaut werden. „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das so viel für Künstler abwirft, die sonst keinen Zugang zum Markt haben. Es wird wohl nicht irgendjemand, der mit seinem Bananen-Stencil durch die Stadt läuft etwas daran verdienen.“
„Für diejenigen“, so Carsten Janke, „die wirklich noch auf der Straße Kunst machen, zählt das große Geld ohnehin nicht. Aber auch das System zu ficken ist nicht die Hauptmotivation. Ich denke, Respekt ist die Währung, die bei Graffiti und Street Art zählt, obwohl immer mehr Leute auf den Kapitalismus-Zug aufspringen. Das System hat die Street Art in diesem Sinne schon irgendwie inhaliert. Je mehr in die Galerien kam, desto weniger passierte auf der Straße.“ Bei Graffiti sei das anders, viel komplizierter. Rausgehen und einfach loslegen zu können, sei der eigentliche Antrieb. Auch der professionelle Straßenkünstler Just bestätigt diese Entwicklung: „Diese Haltung, dass Street Art subversiv sein muss, wird da eigentlich auch nur reininterpretiert. Das hat sich mittlerweile schon ausdifferenziert. Die meisten Leute wollen nicht zwingend gegen das Establishment kämpfen, sondern sich einfach ausdrücken. Andere machen Ad-Bustings, fahren die politische Schiene, wieder andere lassen sich ausstellen.“
Text: julian-schmitzberger - Foto: Reuters