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Das Sommerloch

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Wahrscheinlich sind die Deutschen mal wieder selbst schuld an der Misere. Hätten wir halt nicht Weltmeister werden dürfen. Dann wäre uns nicht nur das erneute Aufflammen von Helene Fischers "Atemlos durch die Nacht" erspart geblieben. (Wie können moderne, junge Männer überhaupt einen solch abseitigen Musikgeschmack entwickeln?) Es wäre dann auch gar nicht erst dazu gekommen, dass Schlagerkollege Andreas Bourani mit seiner Allzweck-Zuprost-Hymne "Auf uns" einen solchen Lauf entwickelt hätte. Auch One Republic wären mit ihrem Durchschnittssong "Love runs out" ohne permanente TV-Berieselung wohl kaum so weit gekommen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
Irgendwelche Musik kommt auch diesen Sommer aus dem Radio - aber halt kein Sommerhit. 

So hat die WM mit ihren Liedern just in der Phase, in der ein gemeiner Sommerhit üblicherweise gedeiht, alles plattgemacht. Vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn die Brasilianer nicht etwas unglücklich im Halbfinale ausgeschieden wären. 2012 nämlich kam der Sommerhit von Brasiliens Gusttavo Lima, hieß "Ai se eu to pego!" (viele erinnern sich vor allem an den "Nossa! Nossa"-Refrain) und wurde nicht zuletzt deshalb weltberühmt, weil Neymar zu dem Song in der Umkleidekabine tanzte und ein Video seiner Darbietung hochlud. In diesem Sommer tanzte Neymar bekanntlich nicht.

Die Hits des Sommers, die vom Fernsehen und von der kollektiven Geschmacksverwirrung kreiert wurden, sind nämlich gar keine richtigen Sommerhits. Grund: Sie sind nicht sexy. Ja, liebe Helene-Fans, da könnt ihr ruhig schäumen vor Unverständnis, das ist so. Außerdem: Kann man nicht zu tanzen. Will man auch nicht. Kann man höchstens zu trinken. Das ist besser als nichts, aber eben nicht genug.

Es wäre der perfekte Sommerhit - aber warum kam Pharrells "Happy" mitten im Winter raus?

Vor einem Jahr noch, da gab es gleich zwei Tanzknaller, und beide beinhalteten Pharrell Williams: "Get lucky" von Daft Punk und "Blurred Lines" von Robin Thicke. Während man ersteres Stück immer noch gern hört, ist die Thicke-Nummer mittlerweile etwas verpönt. Der Typ gilt als Loser, weil er seiner Noch-Frau peinlich hinterherstalkt, und das Video mit den barbusigen Mädchen steht im Ruf, ein frauenfeindliches Machwerk zu sein. Dass Williams dann mit "Happy" erneut ein perfekter, alle Kriterien erfüllender (trinkbar, tanzbar, nicht peinlich) Sommerhit gelang, war für ihn erfreulich, bloß dem Sommer brachte das nichts. "Happy" kam mitten im Winter raus.

Traditionell neigt der Deutsche ja dazu, seine Sommerhits einzuschleppen. War irgendwo in den Südländern unterwegs, hörte die Nummer, während er mit Wildfremden rummachte und erwarb das Lied anschließend käuflich, so dass ihn nicht nur der Herpes an den Ferienflirt erinnern möge. Mit "Mr. Saxobeat" von Alexandra Stan funktionierte das vor einer Handvoll Jahren so, auch mit "We no speak Americano" (Yolanda Be Cool) und "Dragostea din tei" (O-Zone). Dieses Jahr hörte der Deutsche – wie auch der Österreicher und der Schweizer – im Urlaub vor der Großleinwand die gleichen WM-TV-Hits wie daheim; siehe oben.

Was steht denn überhaupt auf der Haben-Seite?

"Traum" von Cro ist ein feines Stück Popmusik, charmant und schwerelos, bloß zwei Monate zu früh erschienen. Robin Schulz, ein naseweiser Nachwuchs-DJ aus Osnabrück hat ein hervorragendes Gespür bewiesen und erst "Waves" von Mr. Propz und anschließend "Prayer in C" von den Franzosen Lily Wood & The Prick geremixt – beide Nummern sind und waren höchst erfolgreich und kommen in ihrer butterweichen Beachclubartigkeit dem Ideal des Sommerhits schon sehr nahe. 

Die Kanadierin Kiesza mit ihrem ]One Day (Vandaag)[/link]" von Bakermat fällt nicht nur durch das Saxophonsolo, sondern auch durch die Verwendung von Martin Luther Kings "I have a Dream" positiv aus dem Rahmen – nutzt sich jedoch irgendwann ab. "Au Revoir" von Mark Forster? Nett, aber auch nicht mehr.

Dem ebenfalls sehr sympathischen Norweger-Duo Nico & Vinz gelang mit ihrem "Am I wrong" ein freundliches Liedchen, das jetzt auch zum Sturm auf die Chartspitze in den USA ansetzt (in Großbritannien ist es dort bereits angekommen), für einen Sommerhit aber das entscheidende Quäntchen Prolligkeit vermissen lässt. Das Problem kennen zwar weder Calvin Harris ("Summer") noch seine Ex-Freundin und Fifty-Shades-of-Grey-Filmsternchen Rita Ora ("I will never let you down"). Die Songs der beiden sind aber schlicht zu schwach.

 

Selbst die Kombination aus David Guetta und Avicii ist nur theoretisch ein Traumpaar. Ihr Beitrag "Lovers on the Sun" klingt wie der Abklatsch vom Abklatsch. Manche der aktuellen Hits sind auch zu melancholisch für den Strand. "Budapest" von George Ezra oder "When the Beat drops out" von Marlon Roudette sind sehr anständige Songs, verleiten aber allzu sehr zum Zuhören. Was gar nicht geht, aber in diesem Jahr voll angesagt ist: Der Sommerhit zum Heulen. "All of me" von John Legend und "Stay with me" von Sam Smith sind in literweise Pathos geschwenkte Klavierballaden, die im Sommer ja schon fast nichts zu suchen haben, aber seit Wochen die Hitlisten prägen.

 

Das Phänomen des Sommerhitmangels ist übrigens nicht lokal begrenzt. In der Schweiz stand der traurige Chris Martin mit seinen Coldplay-Jungs und "A Sky full of Stars" lange auf Platz Eins, in Großbritannien hat sich seit Clean Bandits "Rather be" (noch so ein vorzeitiger Sommerhit) kein Song mehr wirklich festsetzen können, und in den USA heißen die Sommerhitprinzessinnen Iggy Azalea mit "Fancy" und Ariana Grande mit diversen Singles. Beide Mädchen spielen hierzulande aber gar keine Rolle, was zumindest im Falle von Iggy Azalea, der blonden HipHop-Sexbombe aus Australien, etwas verwundert.

 

Und was machen eigentlich Katy Perry und Rihanna, wenn man sie braucht? Falls in den kommenden drei Wochen also nicht noch ein Wunder passiert, wird 2014 als der Sommer ohne erinnerungswürdigen, coolen, lässigen oder wenigstens dumpf-exotischen Hit in die Geschichtsbücher eingehen. Dafür ist Deutschland Weltmeister. Beides zusammen geht scheinbar nicht. 1990 hieß der Sommerhit des Jahres: "Verdammt, ich lieb' dich" von Matthias Reim.

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