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Das englische Talent
Theodore Walcott war nervös. Die erste theoretische Führer- scheinprüfung hatte er verpatzt, seine Freundin Mel dagegen hatte bestanden. Peinlich. Ein zweites Mal durfte ihm das nicht passieren. Während mehrere Dutzend Premier League-Fußballer im Londoner „Embassy Club“ das Ende der Saison feierten und sich dabei mit einem Bataillon von Seite 3-Models vergnügten, büffelte er im Bett Verkehrsschilder. Am nächsten Tag ging er ins „Driving Test Centre“ der Driving Standards Agency in Southgate, Nordlondon, schaltete sein Handy aus und begann zu schwitzen. Gegen drei war er fertig. Er rief seinen Vater Don an – und fühlte sich verarscht. „Er meinte, ich bin in Englands WM-Kader“, erinnert sich Theo, „mir fielen die Augen aus dem Gesicht.“ 100 Tore in einer Saison Doch es stimmte: Sven-Göran Eriksson, der englische Nationaltrainer hatte den 17-Jährigen tatsächlich nominiert. Und das, obwohl Theo noch kein einziges Match in der Premier League gespielt und ihn Eriksson auch nicht vor einem Jahr in der zweiten Liga beim FC Southampton in Aktion gesehen hatte. Der Schwede hatte das Talent vom FC Arsenal lediglich zwei Mal beim Training erlebt. Der gerade mal 1,54 Meter kleine Theo muss einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht haben. „Ich weiß, was ich tue“, sagte Eriksson auf der Pressekonferenz. Die völlig überraschten Journalisten waren sich nicht so sicher. Theos außergewöhnliche Veranlagung stand dabei jedoch nie zur Diskussion. Die halbe Premier League hatte den im Städtchen Newbury, im Westen Londons, geborenen Sohn von Einwanderern aus Barbados schon lange gejagt. Hundert Tore schoss er in einer einzigen Saison beim AFC Newbury, seinem ersten Verein. Ein Mal, als beim Gegner einer fehlte, stellte sich kurzerhand ein Vater ins Tor. Der arme Mann brach sich den Finger. Theo, damals zehn Jahre alt, hatte zu hart geschossen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Im vergangenen August, bei seinem Profidebüt gegen die Wolverhampton Wanderers, wäre Theo um ein Haar das klassische Missgeschick eines Einwechselspielers widerfahren – er hatte vor lauter Aufregung sein Trikot vergessen. Fünf Tore schoss er in 23 Spielen für Southampton, dann rief Arsène Wenger an – Arsenal bekam wenige Wochen vor Theos 17. Geburtstag im März für fünf Millionen Pfund den Zuschlag. Sollte er sein immenses Versprechen erfüllen, werden Nachzahlungen von bis zu sieben Millionen Pfund fällig. Insgesamt könnte Southampton mit ihm umgerechnet 18 Millionen Euro verdienen. „In finanzieller Hinsicht ist das ein sehr großes Risiko“, sagt sein Vereinstrainer Wenger, „in sportlicher Hinsicht aber nicht“. Arsenal hat Theo seit zwei Jahren beobachten lassen, seit einem U17-Turnier in Portugal, bei dem der damals 15-Jährige seine älteren Kollegen aus ganz Europa buchstäblich in Grund und Boden rannte. Schon mit zwölf lief er 100 Meter in 11,5 Sekunden. Mittlerweile ist er noch viel, viel schneller. „Thierry Henry hat wirklich Mühe, ihn im Training abzuhängen“, erzählt Ashley Cole, Linksverteidiger für Arsenal und die englische Nationalmannschaft. Natürlich wird Englands jüngster Nationalspieler – gegen Ungarn gab er Ende Mai sein Debüt – oft mit Wayne Rooney verglichen, seine Spielweise – sein Flair, seine Technik, sogar seine Kopfballschwäche – erinnern allerdings stark an den Franzosen Thierry Henry. „Ich möchte mich ungern mit dem besten Stürmer der Welt messen“, sagt Theo, „aber ich ziehe – wie er – auch gerne nach innen und versuche, Gegenspieler aussteigen zu lassen.“ Arsenals Torwart Jens Lehmann war nach eigenen Worten überhaupt nicht überrascht als er von Theos Nominierung erfuhr. „Man sieht im Training, dass er die Möglichkeiten hat“, sagt Lehmann. „Ich nenne ihn immer Hase – weil er klein und wendig ist und so schnelle Haken schlägt. Ein sehr netter, zurückhaltender Junge, wohlerzogen.“ Vor zehn Jahren hätte ein englischer Jungnationalspieler seine Nominierung wahrscheinlich feuchtfröhlich mit Freunden im Pub gefeiert, Theo aber schaltete am Abend nach der bestandenen Theorieprüfung Handy und Fernseher aus – und spielte mit seinem Vater Monopoly (die WM-Version). Theo verlor. Sein Azubi-Gehalt aus Southampton, 90 Pfund in der Woche, wurde in London mindestens verhundertfacht. Sein Sponsor Nike zahlt ihm dem Vernehmen nach eine sechsstellige Summe. „Geld interessiert ihn nicht“, sagt sein Berater Warwick Horton und fügt wie zum Beweis hinzu, dass „Bohnen auf Toast“ weiterhin Theos Leibgericht sei. Der englische Ronaldo Er träumt von einem Audi A3 – „ein guter, vernünftiger Wagen“. Bisher musste er sich von seinem Vater chauffieren lassen, oder mit dem Bus zum Training kommen. Nächste Woche hätte er eigentlich seine praktische Führerscheinprüfung machen sollen, doch jetzt ist er ja verhindert. Fußball-WM. Drei Wochen lang Baden-Baden, mindestens. „Wir spielen viel auf der Playstation zusammen, damit er zufrieden bleibt", sagt Cole. Nach seinen Kurzeinsätzen gegen Weißrussland und Ungarn wurde Theo vom Pressesprecher des englischen Verbands an den Journalisten vorbei zum Bus eskortiert, man will ihn nicht zu stark belasten. Über 500 Anfragen aus aller Welt seien in den ersten Tagen nach der Nominierung bei ihm eingegangen, sagt Horton. Wird er in Deutschland spielen, sogar vielleicht der neue Pelé werden? Möglich ist es, wahrscheinlich nicht. Seine erste Weltmeisterschaft dürfte er eher als aktiven Schnupperkurs erleben. Wie ein gewisser Ronaldo vielleicht. Der war beim Turnier in den USA 1994 ebenfalls 17, machte kein Spiel – wurde aber auf der Bank zum Weltmeister. Foto: dpa