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Copy and Paste: Die Arbeitstechnik für geistige Dünnbrettbohrer
Debora Weber-Wulff ist Informatik-Professorin an der Berliner Fachhochschule für Technik und Wirtschaft - und die gefürchtetste Plagiatsjägerin des deutschen Wissenschaftsbetriebs. Mit Hilfe ihres silbergrauen Laptops durchkämmt die Expertin für Medien und Computer die Weiten des Internets nach akademischen Betrügern, sie fahndet nach Studenten, aber auch Doktoranden oder gar Professoren, die fremde Arbeiten kopieren, stehlen, plündern, die sich unbekümmert mit dem geistigen Eigentum anderer schmücken. "Es gibt unzählige Fälle", sagt Weber-Wulff, "und das Schlimme ist: Wer Plagiate aufdeckt, der gilt auch noch als Netzbeschmutzer." Das genaue Ausmaß des geistigen Diebstahls an Hochschulen und Forschungseinrichtungen lässt sich nur schätzen. Als Weber-Wulff alle Arbeiten einer von ihr gehaltenen Lehrveranstaltung unter die Lupe nahm, handelte es sich bei 12 von 32 studentischen Manuskripten um Plagiate. "Der dreisteste Plagiator hatte genau zwei Änderungen gegenüber der Quelle vorgenommen: Vor- und Nachname des Autors", berichtet die Computerspezialistin. Bei einem Kollegen Weber-Wulffs an der Fachhochschule fanden sich unter 50 abgegebenen Arbeiten 35 Fälschungen. Für eine Magisterarbeit an der Universität Münster gaben Studenten und Dozenten mehrerer geisteswissenschaftlicher Fächer der Hochschule anonym Auskunft über ihren wissenschaftlichen Ethos. Knapp 60 Prozent der Studierenden räumten Plagiatshandlungen ein, rund ein Fünftel schwerere, über ein Viertel berichtete, einen oder mehrere plagiierende Kommilitonen zu kennen. Über zwei Drittel der Dozenten hatten schon einmal eine abgekupferte Hausarbeit erhalten. Nach Ansicht der Autorin der Arbeit "besteht Grund zur Annahme, dass Plagiate von Studierenden keineswegs selten begangen werden". Im Rahmen einer Studie für das Center for Academic Integrity der amerikanischen Duke University wurden zwischen 2002 und 2005 etwa 82 000 Studiosi und 12 000 Lehrende in den USA und Kanada befragt. Mehr als ein Drittel der Studenten gestand ein, Sätze aus dem Web kopiert oder paraphrasiert zu haben, ohne die Quelle genannt zu haben.
Debora Weber-Wulff. Und auch in Österreich wird kopiert. Zu großen Teilen abgeschrieben sei die Magisterarbeit einer Studentin der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, hatte der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber angeklagt. Doch die Reaktion auf diese Entdeckung folgte nicht etwa dem Schema prüfen – handeln. Die Arbeit, stellte sich der verantwortliche Professor vielmehr schützend vor seine Studentin, sei „sehr gut und methodisch innovativ.” Dabei hätte er nur ein paar zentrale Begriffe aus der Arbeit in Google eingeben müssen, und die Suchmaschine hätte ihm, genauso wie Stefan Weber, ausgespuckt, woher die Studentin einen großen Teil ihrer Erkenntnisse bezog: aus einer Reihe verschiedener Quellen im Internet und einer Doktorarbeit. Der Fall, aufgedeckt vor knapp einem Jahr, ist wegen des besonders dreisten Vorgehens bizarr, aber kein Einzelereignis. Seit Jahren heißt es an den Universitäten, etwa 30 Prozent aller Arbeiten könnten Plagiate sein. Weber diskutiert die These in seinem Buch „Das Google-Copy-Paste-Syndrom”. Sein Ergebnis: Große Umfragen zeigen, dass in der Tat zahlreiche Studenten schon einmal Erkenntnisse, die sie im Netz oder anderswo gefunden haben, einfach als ihre eigenen ausgegeben haben. Stichproben weisen in eine ähnliche Richtung. Belastbare Zahlen sind aber schwer zu ermitteln, weil es keine verbindlichen Regeln dafür gibt, wann eine Arbeit als Plagiat zu betrachten ist. Ein Mann auf dem Kreuzzug gegen Plagiate - mehr auf der nächsten Seite.
Seit mehr als einem Jahr meldet sich der eloquente Salzburger regelmäßig zu Wort, um von ihm entdeckte Missetaten öffentlich anzuprangern. Er hat sich damit an den Universitäten viele Feinde gemacht. Zwar lobt man allerorts den »hochintelligenten Kollegen«, doch hinter vorgehaltener Hand wird gelästert: »selbst ernannter Rächer«, »mediengeiler Django« oder gar »ein Fall für die Psychotherapie und nicht für die Berichterstattung«. Offen sagt das niemand, denn der »Denunziant« könnte ja auf die Idee kommen, ein wenig in den Abschlussarbeiten des jeweiligen Doktorvaters zu schnüffeln. Zum Gespräch mit Journalisten lädt der selbstwusste Privatdetektiv stets in die noble Lounge des Salzburger Sheraton-Hotels. Er isst Torte, trinkt Tee und erzählt von den Plagiatsfällen, die er in den vergangenen Jahren aufgedeckt hat. »Ich habe mit der Zeit eine Spürnase entwickelt«, sagt er. Wenige Minuten Lektüre in einem wissenschaftlichen Text würden ihm schon genügen, um Lunte zu riechen. Wittert er Verdacht, setzt er sich in sein mit Büchern vollgestopftes, acht Quadratmeter großes Arbeitszimmer und beginnt, einzelne Sätze am Computer in die Suchmaschine Google einzugeben. Ganze Arbeiten hat er so »durchgoogelt« nächtelang. Begonnen hat sein Kreuzzug vor fünf Jahren. In einem Antrag für ein renommiertes Forschungsstipendium erkannte er zentrale Thesen seiner eigenen Dissertation über die Dualisierung des Erkennens wieder. Weber beschwerte sich, stieß aber nur auf Unverständnis. »Die Forscherin musste nur den Antrag neu formulieren und hat das Stipendium erhalten.« Ärger blitzt bei der Erzählung in seinen Augen auf. Drei Jahre später entdeckte er sich ein zweites Mal als Plagiatsopfer: Ein Tübinger Theologe hatte 110 Seiten von Webers Arbeit kopiert und seiner Dissertation einverleibt. Seitdem, so scheint es, sucht der Salzburger rastlos nach Plagiaten. „Immer weniger Leute wissen, wovon sie schreiben. Immer mehr simulieren ein Wissen, das sie nicht haben, und das ist ihnen auch herzlich egal.” Viele Studierende recherchierten hauptsächlich im Internet: „Ich bin öfters ganz allein in der Bibliothek”, erzählt Weber. Dabei seien Webquellen in einigen Jahren wertlos, weil nicht mehr auffindbar. Und wer nur über Suchmaschinen im Internet recherchiere, liefere sich auch deren Suchalgorithmen aus. Viele seiner Studenten aber seien gar nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, welche Texte sich überhaupt in einer wissenschaftlichen Arbeit verwenden lassen und welche nicht. „Da finden Sie in einer Arbeit dann auf einmal zwei Seiten von der Webseite irgendeines Wuppertaler Heilpraktikers.” Insgesamt kommt Weber zu einem vernichtenden Urteil: 90 Prozent aller Abschlussarbeiten hält er für „völlig wertlos”. Er konstatiert einen generellen Niveauverlust, seit fast jeder einen Zugang zum Internet hat: „Seit 2002 ist nichts mehr zu machen.” Zum Teil seien die Studienbedingungen daran schuld, auch der Arbeitsmarkt werde immer prekärer. Anstatt sich mit Feuereifer und Freude an der wissenschaftlichen Erkenntnis aufs Studium zu stürzen, müssten viele nebenher arbeiten. Um voranzukommen, müssten auch die Lehrenden umdenken, fordert Weber, doch viel Zustimmung erntet er innerhalb des wissenschaftlichen Betriebes nicht. „Die effizienteste Waffe gegen das Aufdecken von Plagiaten ist das Schweigen”. Immerhin: Die entlarvte Plagiatorin von Klagenfurt wurde nach einem ausgiebigen Untersuchungsverfahren entlassen. Sie hatte als Assistentin gearbeitet. +++ HINWEIS: Dieser Beitrag wurde generiert mit der Copy+Paste-Funktion. Sämtliche Textbausteine stammen aus folgenden Veröffentlichungen: * „Fremde Federn“, erschienen im neuen „Spiegel spezial“ vom 26. Juni 2007, Seite 82; Autor: Joachim Mohr * „Im Dickicht der Zitate“, erschienen in der „Zeit“ vom 6. Juni 2007, Seite A14; Autor: Wolfgang Luef * "Das Google-Diplom“, erschienen in der „Süddeutschen Zeitung“, 6. März 2007, Seite 16; Autor: Helmut-Martin Jung Das Bild von Debora Weber-Wulff haben wir von dieser Seite kopiert.
Dieser Text ist Teil der jetzt.de-Sonderausgabe zum Thema Kopieren.