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Bollywoods größter Frauenfeind?
Knapp drei Wochen ist es her, dass eine 23-Jährige Studentin aus Neu Delhi an den Folgen einer Vergewaltigung durch mehrere Männer starb. Seit gestern läuft der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter. Die Medienaufmerksamkeit ist groß, denn der Fall hat in Indien für enorme Entrüstung gesorgt. Täglich demonstrieren Menschen für mehr Sicherheit, Respekt und Rechte für Frauen in ihrem Land. Spiegel Online berichtet, einer Studie zufolge sei Indien der Staat unter den 20 führenden Entwicklungs- und Schwellenländern, in dem die Rechte der weiblichen Bevölkerung am wenigsten geschützt werden. 90 Prozent der im Jahr 2011 verübten Gewalttaten seien an Frauen verübt worden.
Die gesamte indische Gesellschaft diskutiert jetzt über die aktuelle Lage. Der Vater der Studentin, aus der Unterschicht eines indischen Dorfes stammend, meldet sich ebenso zu Wort wie berühmte Bollywood-Regisseure. Im popkulturellem Umfeld, und damit in der Mitte der Gesellschaft, findet man auch den Mann, der im Zuge des „Gang Rape Case" genannten Falls besonders in die Kritik geraten ist: Den Rapper Yo Yo Honey Singh. Seine frauenverachtenden Texte, so der Vorwurf, verharmlosten Vergewaltigungen oder propagierten sie sogar. Honey Singh ist ein Star in Indien. Er besetzt regelmäßig obere Chartplatzierungen und seine Musikvideos gehören zu den beliebtesten auf YouTube. In den vergangenen zwei Jahren hat er die Musik zu mehreren Bollywood-Produktionen geliefert und eine große Fangemeinde gewonnen.
Der indische Rapper Yo Yo Honey Singh sorgt für Aufregung in seinem Heimatland.
Ende Dezember 2012 hat ein Polizist einen First Information Report (FIR) zu Honey Singh eingereicht. Mit einem FIR wird in Indien ein Verstoß gemeldet und möglicherweise eine Ermittlung angestoßen. Honey Singhs Songs, heißt es in dem Report, seien vulgär und anstößig. Dieser FIR hat die Aufmerksamkeit der zur Zeit extrem sensibilisierten Bevölkerung auf den Rapper gelenkt. Eine junge Frau startete kurz darauf eine Online Petition, um sein Neujahrskonzert in einem Hotel in der indischen Stadt Gurgaon zu verhindern. Mehr als 2500 Menschen unterzeichneten sie. Das Konzert wurde abgesagt.
Es ist nicht leicht, die Anstößigkeit der Songtexte zu überprüfen. Honey Singh rappt in einer Mischung aus Englisch und Punjabi, Übersetzungen gibt es wenige. Doch was dort mutmaßlich zitiert wird, ist eindeutig erniedrigend und frauenfeindlich. So auch einige Passagen in dem noch sehr jungen Song „Brown Rang". In der Diskussion geht es allerdings vor allem um den nicht offiziell veröffentlichten, aber online sehr erfolgreichen Song „Choot Volume 1" („Vagina Volume 1") aus dem Jahr 2006 sowie um einen weiteres, ebenfalls nicht mehr ganz aktuelles Stück. Nach anfänglicher Zurückhaltung hat sich Honey Singh gestern geäußert – und dementiert, dass die beiden besagten Titel von ihm stammen. „I swear on my music, I've neither written nor sung those offensive songs", zitiert ihn Daily News & Analysis India. Hinter den Anschuldigungen stecke eine Rufmordkampagne weniger bekannter Konkurrenten, die ihm seinen Erfolg neideten. „If anyone can prove I'm behind those anti-women songs I'm ready to give up music", so ein Zitat. Prominente unterstützen ihn, der Bollywood-Regisseur Anurag Kashyap zum Beispiel twitterte, einer der Songs stamme nicht von Singh, sondern von einer pakistanischen Band. Der Beschuldigte fühlt sich selbst als Opfer: „What I am going through is another form of rape", sagte er Daily News & Analysis. Angeblich erreichten ihn bereits Morddrohungen.
Die meisten Publikationen behandeln den Rapper weiterhin als Urheber der umstrittenen Songs. Um die Verwirrung um wahr oder falsch perfekt zu machen, tauchte auch noch ein angeblich gefälschter Reue-Tweet auf. „I've admitted that my past was a wrong choice but now I deliver completely different music!" lautete eine Stellungnahme, die vom Account @TheHoneySingh1 ausging. Damit hätte Singh zugegeben, dass die Songs von ihm stammten. Kurz darauf meldete er sich jedoch mit der Nachricht, dies sei ein Fake-Account, der die Kampagne gegen ihn anstacheln solle. Er twittere ausschließlich unter @asliyoyo. „Why should I apologize when I've repeatedly stated that I haven't written those filthy songs?", so sein Statement. Die Entschuldigung, ob echt oder nicht, wird trotzdem weiterhin eifrig zitiert, in Nachrichtenartikeln sowie unter dem Hashtag #HoneySinghIsInnocent. Der indische Musikvideoregisseur Anirudh, der bereits mit Honey Singh zusammengearbeitet hat, räumte ebenfalls ein, dass Singh in früheren Titeln anstößige Texte verwendet, sich im Zuge seiner Popularität aber verändert habe.
Am Ende ist es vielleicht gar nicht so wichtig, von wem die Songs des Anstoßes stammen. Fakt ist, dass sie kursieren und gehört werden. Die Diskussion hat sich darum mittlerweile vielerorts von der Person Honey Singh wegbewegt. Während die einen noch darüber spekulieren, dass das Management den gerade aktuellen Streitpunkt Frauenrechte ausnutze, um ihren Musiker noch bekannter zu machen (und Singh das dementiert), zielen die anderen schon aufs große Ganze: Wie frauenfeindlich ist die indische Popkultur? Zeigen Musiker und Bollywood-Filme ein respektloses Bild der Frau und wie sehr beeinflusst das ihren Status in der Gesellschaft? Bildet Bollywood die Gesellschaft ab oder prägt es sie? Diese Fragen kursieren in Netzwerken, auf Blogs und in Artikeln. Und sie reichen bis auf die Straße, auf der die Menschen grundlegende Änderungen fordern.
Text: nadja-schlueter - Foto: Screenshot