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Blut zweiter Klasse

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1. Was bedeutet #Buntspenden?  

In Deutschland sind einige Personengruppen dauerhaft von der Blutspende ausgeschlossen, weil sie zur „infektionsgefährdeten Risikogruppe“ gehören. Auf dem Standardfragebogen, den man vor jeder Blutspende ausfüllt, steht, wer damit gemeint ist: heterosexuelle Personen mit Risikoverhalten wie zum Beispiel wechselnden Intimpartnern. Das leuchtet noch ein. Wer seine Sexualpartner oft wechselt, hat zum Beispiel ein höheres Ansteckungsrisiko für HIV, das nicht sofort in der Blutprobe nachweisbar ist. Männliche und weibliche Prostituierte sind ebenfalls von der Spende ausgeschlossen. Okay. Aber auch: bi- und homosexuelle Männer, auch wenn sie einen festen Partner haben. „MSM“ (Männer, die Sex mit Männern haben) wird das in den Richtlinien der Bundesärztekammer abgekürzt. In einem schriftlichen Statement* betonte die Bundesärztekammer, dass man daran merke, dass bi- und homosexuelle Männer wegen ihres Verhaltens, also dem Sex mit Männern, nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgeschlossen werden. Ob das einen großen Unterschied macht, sei dahingestellt.  

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder von Homosexuellen-Verbänden und vermehrt von Politikern eine Änderung des Gesetzes gefordert, unter anderem von Birgitt Bender, ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen. Seit vergangenem Freitag taucht die Forderung auch auf Twitter auf, in vielen Tweets unter dem Hashtag #Buntspenden. In einer gleichnamigen Petition wollen der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD), der Christopher Street Day e. V. Berlin und die Werbeagentur DDB Tribal Berlin mindestens 50.000 Stimmen sammeln, um damit zur Bundesärztekammer zu gehen. Bisher haben etwa 13.000 unterzeichnet (Stand: 25.6.2014).    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bis zu 25 Prozent der Blutspender werden in Deutschland abgewiesen, weil sie bi- oder homosexuelle Männer sind.


2. Seit wann und warum dürfen homo- und bisexuelle Männer nicht Blut spenden?  

Das ist seit den Neunzigern so. Damals wurde bekannt, dass sich mehrere hundert Menschen über Bluttransfusionen mit HIV infiziert hatten. Seitdem gehören bi- und homosexuelle Männer laut Transfusionsgesetz zur Hochrisikogruppe.  

Ursprünglich wurde die Risikogruppe sogar so zusammengefasst:  

„Personen, deren Sexualverhalten oder Lebensumstände ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV bergen. Fußnote: z. B. homo- und bisexuelle Männer, Drogenabhängige, männliche und weibliche Prostituierte, Häftlinge“  
Haft und Drogenabhängigkeit wurden dann aber an eine andere Stelle im Gesetz verschoben.  

Die Bundesärztekammer begründet diesen pauschalen Ausschluss damit, dass HIV-Neuinfektionen bei „MSM“ im Vergleich zu heterosexuellen Männern etwa 100-fach häufiger vorkommen. Das Robert-Koch-Institut schätzte 2012, dass in Deutschland 78.000 Menschen mit HIV oder Aids leben, davon seien 51.000 bi- und homosexuelle Männer. Das ist aber nur ein Bruchteil aller bi- und homosexuellen Männer in Deutschland. Die Zahl der schwulen Männer in Deutschland wird auf 1,1 bis 2,7 Prozent der Bevölkerung geschätzt, das wären knapp 900.000 bzw. etwa zwei Millionen.

Ein Punkt, der häufig als Begründung für den Ausschluss von der Blutspende genannt wird, ist, dass bi- und homosexuelle Männer eher riskante Sexualpraktiken anwenden. „Das klingt nach einem Vorurteil, ist statistisch aber nachweisbar, und etwa bei Analverkehr kann infektiöses Material leichter ins Blut gelangen“, sagt Dr. Markus Umhau, Oberarzt von der Universitätsklinik Freiburg und ärztlicher Leiter der Blutspendezentrale. Allerdings praktizieren nicht alle bi- und homosexuellen Männer, dafür aber auch heterosexuelle Paare Analverkehr.    


3. Wie viele Menschen betrifft das Blutspendeverbot überhaupt?  

Schwer zu sagen. n-tv.de recherchierte im Januar 2014, dass 15 bis 25 Prozent der Anmeldungen zur Blutspende abgelehnt werden, weil der Spendewillige wechselnde Sexualpartner hat, drogenabhängig ist, sich prostituiert oder ein bi- bzw. homosexueller Mann ist. 2013 wurden in Deutschland insgesamt etwa 4,6 Millionen Spenden abgegeben.    


4. Ist der pauschale Ausschluss von bi- und homosexuellen Männern von der Blutspende nicht diskriminierend?  

Natürlich ist er das. Bi- und Homosexualität wird auf eine Ebene mit Prostitution und anderem sexuellen Risikoverhalten und damit unter einen Generalverdacht gestellt. Auch von den Blutspendediensten hört man immer öfter, dass es keine Argumente mehr gebe, "bestimmte Personengruppen auszuschließen".


5. Ist dieses Verbot überhaupt noch zeitgemäß?  

Die Tests für den Nachweis von HIV, HBV (Hepatitis-B-Virus) und HCV (Hepatitis-C-Virus) sind in den vergangenen Jahren viel besser geworden. In einer Studie des Blutspendedienstes des Deutschen Roten Kreuzes wurde die Dauer der diagnostischen Fensterphase so berechnet:
HBV: 31,4 Tage
HCV: 6,3 Tage
HIV: 9,7 Tage  

Allerdings gibt es immer wieder neue Erreger, die sich durch Mutationen verändern und (noch) nicht nachgewiesen werden können. Die Bundesärztekammer schrieb in ihrem Statement: „Besonders in der Frühphase einer Infektion können auch heute infektiöse Blutspenden durch Laboruntersuchungen nicht mit 100-prozentiger Sicherheit erkannt werden.“ In Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren zwei HIV-Übertragungen über Bluttransfusionen gemeldet worden – bei geschätzt 7,5 Millionen Bluttransfusionen pro Jahr (dazu Prof. Klaus Cichutek und Prof. Rainer Seitz vom Paul-Ehrlich-Institut im Interview mit dem Handelsblatt).    

* Von der Bundesärztekammer wollte niemand mit uns sprechen.


Wie ist die Regelung für lesbische und bisexuelle Frauen? Und wie ist es in anderen Ländern? Gibt es eine Aussicht auf eine Änderung des Gesetzes? Steht alles auf der nächsten Seite.





6. Wie ist das mit lesbischen oder bisexuellen Frauen?  

Auch wenn Frauen in der Vergangenheit schon wegen ihrer sexuellen Orientierung abgewiesen wurden: „Frauen, die Sex mit Frauen haben, dürfen in Deutschland schon immer Blut spenden“, sagt Markus Umhau. „Wir wissen von Statistiken, dass sie nicht so riskante Sexpraktiken anwenden. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Frauen untereinander zum Beispiel mit HIV infizieren, sehr viel geringer.“    


7. Wäre eine zeitliche Begrenzung nicht besser? 

„Möglich wäre es, aber nicht sinnvoll. Wenn ein Mann, sagen wir, vier Monate keinen Sex mit Männern hatte, besteht bei ihm kein Risiko für eine Blutspende, aber in der Praxis kommt es selten vor, dass jemand monatelang keinen Sex hat“, sagt Markus Umhau. Es kommt allerdings vor, bestimmt auch bei Menschen, die gern Blut spenden gehen würden. „Sinnvoller, um bi- und homosexuelle Männer zur Blutspende zuzulassen, wären zwei Tests, mit denen man die Blutkonserven noch sicherer machen kann: zum einen die Nukleinsäure-Amplifikationstechnik (NAT), die ab 2015 von den Blutspendediensten eingeführt wird, zum anderen die Pathogeninaktivierung, gegen die sich die Krankenkassen aus Kostengründen aber noch wehren.“    


8. Würde nicht, für Männer und Frauen gleichermaßen, die Frage reichen: Hatten Sie in den vergangenen Monaten ungeschützten Sex – egal ob mit Männern oder Frauen?  

Für die Experten des Robert-Koch-Instituts nicht. Kondome seien nicht sicher genug, außerdem  komme es bei der Verwendung häufig zu Fehlern. Deshalb werden vor der Blutprobe alle Frauen und Männer nach wechselnden Sexualpartnern gefragt. „Das Problem ist, dass sich die Bundesärztekammer, um die Blutkonserven so sicher wie möglich zu machen nur an epidemiologischen Daten und Statistiken orientieren kann“, sagt Markus Umhau.    


9. Wie ist das in anderen Ländern?  

In einigen Ländern gibt es Fristen für „Risikokontakte“, nach denen homo- und bisexuelle Männer wieder Blut spenden dürfen, zum Beispiel in Spanien, Italien, Estland, Lettland und Tschechien. In Italien befragen Ärzte Neuspender in Einzelgesprächen nach ihrem Sexualleben und entscheiden individuell. Laut n-tv.de stieg in Italien seitdem die Zahl der Spender um 20 Prozent an und die Zahl der infizierten Spender sank.    


10. Gibt es eine Aussicht auf eine Änderung des Gesetzes?  

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert-Koch-Instituts und der Bundesärztekammer empfahl bereits 2012 eine Änderung der Regelungen: Eine „befristete Rückstellung von der Spende nach Beendigung eines sexuellen Risikoverhaltens (einschließlich MSM) von mindestens einem Jahr“ wäre statt eines Dauerausschlusses ausreichend, um eine vergleichbare Sicherheit der Blutprodukte zu erzielen. Allerdings schließt die EU-Richtlinie 2004/33/EG von 2004 bi- und homosexuelle Männer dauerhaft von der Blutspende aus. 2016 soll der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Zulässigkeit eines pauschalen Dauerausschlusses von Männern, die Sex mit Männern haben, entscheiden.  

Das Beispiel Italien zeigt, dass bi- und homosexuelle Männer nicht auf Lebenszeit von der Blutspende ausgeschlossen werden müssen, um sichere Blutkonserven zu garantieren und dass es Spendewillige auch nicht abschreckt, dass sie über ihr Sexualleben befragt werden. Natürlich ist dieses Verfahren aufwändig und genauso wie beim Fragebogen können Spendewillige falsche Angaben machen, etwa, ob man immer und jedes Mal von Anfang an mit Kondom verhütet hat. Aber so ist es in der Blutspende, die auf die Antworten in Gesprächen und Fragebögen angewiesen ist, an vielen Stellen. Auch in festen, hetero- wie homosexuellen Beziehungen kann es sein, dass der Partner untreu war und sich der Spender in seiner Beziehung infiziert hat. Manche nutzen die Blutspende als HIV-Test, weil das weniger Überwindung kostet als deshalb zum Arzt zu gehen.  

Allerdings steht in Deutschland hinter der Blutspende eine mächtige Industrie, die weniger Nachfrage aus dem Ausland fürchtet, wenn hier die Vorsichtsmaßnahmen gelockert werden.    





Text: kathrin-hollmer - Foto: David Ebener/dpa

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