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Blut und Öl - Neues von Magnolia-Regisseur Anderson
Am Anfang und am Ende mäandert eine zähe Flüssigkeit vor sich hin. Am Anfang, im Jahr 1897, schuftet ein schwitzender, darbender Mann in einem Erdloch und irgendwann sickert Öl aus dem Erdreich. Am Ende, 1927, ist es Blut, dass aus dem zerschlagenen Schädel eines Prediger dringt. Zwischen diesen 30 Jahren stehen 158 Minuten unter dem Menetekel "There Will Be Blood".
Dass Öl und Blut viel miteinander zu tun haben, wissen wir spätestens seit dem Irakkrieg im Jahr 2003. Zumindest suggerierten das die zahlreichen Transparente der Kriegsgegner „No Blood for Oil“. Einen subtileren Zusammenhang zwischen beiden Flüssigkeiten stellt das neue Meisterwerk des Regisseurs Paul Thomas Andersons („Boogie Nights“, „Magnolia“) her. „There Will Be Blood“ erzählt – basierend auf dem Roman „Oil!“ von Upton Sinclair – die Geschichte des „Oilmans“ Daniel Plainview (gespielt von Daniel Day-Lewis). Der sucht Ende des 19. Jahrhunderts in der kalifornischen Einöde nach Silber und findet Öl. Zwei Jahre später hat es Plainview mit seinen Quellen zu bescheidenen Wohlstand gebracht, als eines Tages ein Junge bei ihm erscheint und von der Ranch seines Vater erzählt. Dort und im Ort namens Little Boston soll es Öl geben. Plainview fährt in die ärmliche, von religiösen Eiferern bewohnte Siedlung und kauft das Land. Hilfreich bei den Verhandlung ist ihm sein zehnjähriger Sohn H.W., der durch seine Niedlichkeit besticht. Plainview baut Bohrtürme in die trockene Halbwüste, setzt sich gegen Konkurrenten durch, expandiert und wird reicher. Mit seinem geschäftlichen Erfolg verhärtet sich Plainviews Charakter. Er neigt immer öfter zu grausamen Wutausbrüchen. Nachdem sein Sohn bei einem Unfall das Gehör verliert, isoliert er sich mehr und mehr von seiner Umgebung. Seinen angeblichen Halbbruder erschießt er kaltblütig, als er erfährt, dass er ein Aufschneider ist. Sein Gegenspieler innerhalb der Gemeinde ist der junge Eli Sunday (gespielt von Paul Dano). Eli ist fanatischer Prediger der „Kirche der Dritten Offenbarung“ und hasst Plainview vor allem, weil er seinen Vater beim Verkauf dessen Landes über den Tisch gezogen hat. Zwischen beiden entwickelt sich ein subtiler Krieg, der auch nicht endet, als Plainviews Sohn Elis Schwester Mary heiratet.
Plainviews Geschichte ist es nicht, die „There will be Blood“ so besonders macht. Dafür passiert in fast drei Stunden zu wenig. Die wenigen Lacher – als Plainview von Eli getauft wird und als dieser Eli dazu zwingt, zuzugeben, dass er ein „falscher Prophet“ ist – bleiben einem im Halse stecken. Aber nebenbei erzählt „There will be Blood“ mehr über die USA, als es Geschichtsbücher und Experten vermögen: Es ist zum einen der Mythos der Gründerzeit: Harte Männer, die es nur Kraft ihrer eigenen Arbeit und unter größten Strapazen zu sagenhaften Wohlstand bringen. In den ersten zehn Minuten des Films fällt kein einziges Wort: Alles, was zu sehen ist, sind zwei schmutzige, schwitzende Männer, die unter der brennenden Sonne die Erde durchwühlen. Am Ende residiert Plainview – zwar einsam und alkoholkrank – in einer Villa mit eigener Kegelbahn und trinkt Whiskey. Dazwischen liegen genau 30 Jahre. Außer dem verbrauchten „Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär“-Mythos erzählt der Film aber auch die Geschichte tiefer Gläubigkeit armer, einfacher Menschen und dem schmalen Grat zum Fanatismus. Als Plainview eine Pipeline bauen will, benötigt er dazu die Genehmigung eines alten Farmers. Der gibt sie ihm nur unter der Bedingung, dass Plainview sich taufen lässt. All dies vermittelt "There Will Be Blood" nachfühlbar und ohne falsche Sympathien zu verteilen. Bezüge zu Bush, dem Irakkrieg und zu aktuelle religiöser Rethorik drängen sich nicht auf und doch meint man dieses Land plötzlich besser verstehen zu können: Als sei es zwischen diesen zwei Polen Kapitalismus und Religiösität zu schnell gewachsen. Letztendlich fließt in "There Will Be Blood" wesentlich weniger Blut, als der Titel vermuten lässt. Doch lässt der Film eine Zeit lebendig werden, die solange nicht her ist und bis heute nachwirkt. Das gelingt meisterhaft durch die grandiosen Darsteller, seine Bilder, seine dahin schreitende Dramaturgie und nicht zuletzt durch die Musik, die von Jonny Greenwood von Radiohead ausgesucht und komponiert wurde. Am Ende bleibt das Gefühl, einen Klassiker gesehen zu haben, der genauso gut schon 40 Jahre auf dem Buckel haben könnte.
Text: philipp-mattheis - Fotos: www.paramountvantage.com