Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Berlin von außen

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Es hat etwas sehr Erfreuliches, dass der Autor von Ich werde ein Berliner ein Zugezogener ist. Es spricht irgendwie für beide Seiten. Während die Deutschen seit einigen Jahren so hartnäckig wie erfolglos versuchen, ihre Hauptstadt zu begreifen, schreibt dieser anonyme Blogger alles Wichtige, was man über Berlin wissen muss, in seinen Blog und zwar mit viel Aufmerksamkeit, freundschaftlichem Interesse und geradezu ethnographischer Präzision: Er analysiert die Deutschen, als seien sie eine neue Spezies. Bionade zum Beispiel: „Für die Deutschen ist Bionade als Soft Drink gerade erste Wahl. Im Prinzip ist das sogar der einzige Soft Drink, den man sicher in der Öffentlichkeit trinken kann, ohne dabei zu riskieren, für einen Ausländer des falschen Typs gehalten zu werden. Man muss wissen, für die Deutschen ist Bionade nicht einfach eine Möglichkeit, den Körper mit Flüssigkeit zu versorgen, sondern eine Formel, die die drei Lieblingsideologien der Deutschen (Anti-Amerikanismus, Umweltbewusstsein und Globalisierungskritik) in eine retrodesignte, wiederverwertbare Flasche packt. Dabei gesehen zu werden, wie man Bionade trinkt, während man vor einer coolen Bar in, sagen wir, Prenzlauer Berg sitzt, ist ein allgemein akzeptiertes Lebensziel in Deutschland.“

Screenshot des etwas anderen Hauptstadt-Blogs Der Autor, der sich hier aus dem Fenster lehnt, nennt sich Wash Echte. Er macht eine konservative Karriere in einer international aufgestellten Firma, wurde von seinem Arbeitgeber bereits in alle relevanten europäischen Hauptstädte geschickt und hat sich schließlich in Berlin niedergelassen, wobei er jetzt gerade wieder ein paar Monate in der Londoner Niederlassung arbeitet. Es amüsiert ihn, dass alle ihn für einen Amerikaner halten, besteht aber auf der Feststellung, weder US-Bürger noch Kanadier zu sein. Außerdem ist er männlichen Geschlechts. Das ist deshalb interessant, weil das schon alles war, was er von sich preisgibt. Gegen Wash Echte ist Thomas Pynchon ein offenes Buch. Man hängt an jedem Detail. Man muss damit leben, dass vielleicht nichts davon stimmt. Vielleicht wohnt er in Cottbus. Für viele Jungautoren mag es bedrückend sein: Der talentierte Mr. Echte, der alle paar Wochen eine brillante Story über diese ironischen, toleranten und darin engstirnigen Menschen veröffentlicht, die die Straßen vor seinem Altbau bevölkern, hat nie zuvor irgendetwas publiziert oder sonst in irgendeiner Form als Autor gearbeitet. Er ist sogar aufmüpfig genug, nicht das geringste Interesse an einer Karriere als berühmter Popliterat zu haben. Seine Geschichten, die sich lesen, als sei Nick Hornby plötzlich wieder ein guter Schriftsteller geworden und heimlich nach Berlin gezogen, wollte er eigentlich bloß loswerden, „out of the system“. Mit irgendeiner Art Feedback hat er eigentlich nicht gerechnet und wenn ihm jemand schreibt, dass er seit Stunden Tränen lacht, glaubt er kein Wort. Die Mails, in denen er aufgefordert wird, schleunigst das Land zu verlassen, kommen ihm pausibler vor. Ziemlich sicher ist das nur aufreizende Pose, aber ab einem gewissen Maß an Talent ist das so erlaubt wie erwünscht. Vor allem die Geschichte über das deutsche Radfahrer/Autofahrer-Verhältnis hat brutale Reaktionen gezeitigt. Das kann nicht überraschen, schließlich ist das diskursives Kriegsgebiet und Wash Echte ist in fast jede verfügbare Mine getreten. Mit den Deutschen verhalte es sich nämlich so, dass sie das Auto zwar erfunden haben und es bis heute in alle Welt verkaufen, trotzdem gebe es unter Deutschen nur eine einzige Möglichkeit, sich gegenüber Autos zu positionieren: Die entschiedene Aversion. „Das ist vor allem dann wahr, wenn man ein Date hat. Deine zukünftige Freundin/deinen zukünftigen Freund mit einem Auto abzuholen, lässt dich wie die langweiligste, spießigste Person auf der Erde aussehen und weckt bei ihnen Erinnerungen an ihre übereifrigen Väter. Statt die Zeit bis zum Sex zu verkürzen, wie das in ungefähr jedem anderen Land der Fall ist, wird der Besitz eines Autos in Deutschland dein Sexleben endgültig ruinieren.“ Es ist ein junges Deutschland, das hier seziert wird. Ein Deutschland, von dem man gar nicht wusste, dass es existiert, obwohl man selbst dazu gehört. Erschrocken stellt man fest, wie sehr man sich bereits daran gewöhnt hat, dass der deutsche Talkshow-Wächterrat diesem jungen Deutschland ratlos bis ängstlich gegenüber steht und darüber spricht, als sei es ein einäugiges Monster, das sich im Kyffhäuser eingenistet hat und das mithilfe innovativer Waffen aus modernen Untergrundlaboren auf irgendeine einfallsreiche Art bezwungen werden muss. Manchmal hat man das Gefühl, das junge Deutschland glaubt das sogar selbst, versteht sich als Problem und ist sich selbst fremd. Gut, dass es Wash Echte gibt. Stellt sich bloß die Frage: Wieso musste erst jemand von außen kommen? Echte: „Ich schätze, Ausländer fallen nicht so leicht auf die Hypes rein, die von der Mitte-Meute erzeugt werden. Sie sehen das wirklich Besondere an Berlin und verschwenden nicht so viel Energie darauf, durchzudrehen, wenn ein American-Apparel-Laden in der Neuen Schönhauser aufmacht. Diese unübersichtliche Hipness-Hierarchie, die in Berlin immer so bestaunt wird, ist genau dieselbe, die man in New-York-Williamsburg oder London-Shoreditch oder jeder anderen größeren Stadt der westlichen Welt findet. Der Mangel an Reflektion ist überall gleich, nur die Accessoires unterscheiden sich. Wenn du zum Beispiel in Brooklyn hip sein möchtest, musst du Pabst-Blue-Ribbon-Bier trinken, was furchtbar schmeckt. In Berlin ist es eben Bionade. Oder wenn du zeigen willst, dass du ein entrückter, intellektueller Künstler bist, würdest du in Williamsburg eine Nerd-Brille und einen Filzhut tragen, in Berlin gibt es dafür den Bart-Schal-Chucks-Look. Meine Inspiration sind vor allem die Unterschiede, die ich zwischen meinen Kollegen und meinen Freunden feststelle. Die Leute aus meiner Firma sind Mitte Dreißig, ziehen Kinder groß und haben einen guten Job. Meine Freunde finden das zu begrenzt und wollen frei und kreativ sein und dabei merken sie nicht, dass sie in genau so einem streng-hierarchischen System festhängen. Nur dass das vollkommen widersprüchlich ist und keine nachvollziehbaren Regeln hat.“ Dieses System ist sein Thema und er zeigt, dass es bei weitem keine Nebensache ist. Und natürlich kann er es leugnen, wenn er möchte – trotzdem ist er einer der talentiertesten Popliteraten in Deutschland, im besten, angelsächsischen Sinne des Wortes. Und wahrscheinlich ist es ein Glücksfall, dass er kaum deutsch spricht. Viel Gerede über Berlin und die jungen Deutschen ist ihm erspart geblieben, das seinen Blick hätte trüben können.

Text: felix-stephan - Bild: photocase/mathias the dread

  • teilen
  • schließen