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Ben Kweller: Vom Scheitel bis zur Kohle

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Im Büro der Plattenfirma herrscht Eitelkeit und Aufregung. Die Termine mit Kweller sind beinahe auf die Sekunde getaktet, ihn aus dieser Laboratmosphäre herauszueisen ist trotz vorheriger Absprachen und Zusagen nicht möglich. Die aufgehübschten Mitarbeiterinnen huschen durch die Büroflure, als handle es sich um einen übergroßen Laufstall. Ben Kweller ist smart und nett und selber halbwegs genervt vom Täglich-grüßt-das-Murmeltier-artigen Originaltonjournalismus nach Stückzahl.

Er sieht ein bisschen so aus, als hätte sich ein Spielzeughersteller entschieden, einen lebensgroße, lebende und arg freundlich dreinblickende Kinder-Country-Star-Ausgabe eines Zaubertrolls zu produzieren: Seine Augen sitzen weit hinter den Augenbrauen, das Gesicht ist auf eine Weise rundlich, knuffig, auf eine andere ein bisschen teigig und unförmig. Er lächelt über das ganze Gesicht und ist auf eine amerikanische Weise sehr, sehr nett. Vielleicht auch professionell, wer weiß das schon, bei jemandem, der schon seit seinem dreizehnten Lebensjahr mit dem Musikzirkus durch die Lande zieht. „Ja“, sagt Ben Kweller, „ich war die ganze Zeit unterwegs, das war oft toll – aber es ist auch wahnsinnig anstrengend. Aber langsam habe ich das Gefühl, irgendwo anzukommen.“ Er sagt das nicht nur, er singt es auch: Früher in „On my way“ und nun, auf dem neuen Album im Lied „Run“: „Since fifteen, I have ran, everywhere you can run.“ Es scheint das beherrschende Gefühl der Stunde zu sein. Next Stop: Adulthood. Ben trägt ein fesches, braun gemustertes Tüchlein um den Hals, klobige Cowboystiefel an den Füßen, dazu klassische Bluejeans und am Reverse seines beigefarbenen Cordjacketts prangt eine Rhodes Fender als Pin. Hübsch sieht das aus, ja, auf eine Weise passt es zu seiner Musik, vor allem zu seiner texanischen Heimat, andererseits hat sich hier jemand höchst selbst durch die Aservatenkammer der Westernklischees bugsiert. Westernklischees, ja! Ebensowenig wie am Kleiderschrank zeigt Ben Kweller in seiner Musik Schrecken vor Klassikern oder Gleichbleibendem. Avantgarde oder Experimentierfreude kann man Ben Kweller nun wirklich nicht vorwerfen, das ist seine Kunst nicht. Die besteht, und das ist tatsächlich eine sehr große Kunde, darin, den tausendmal gehörten Motiven von Liebe und Angst einen neuen, beinahe mutmachenden Anstrich zu verpassen, sie mit Schmackes in Popmelodien zu packen, denen zu entrinnen nur hartnäckigen Fast-Food-Verfechtern oder Freunden schockgefrorener Kiwigelees gelingen mag. Wem aber das musikalische Pendant zu Großmutters Küche und der liebevoll furchtlose Umgang damit in Ansätzen gefällt, wird Kweller mögen. Mögen müssen. Die Musik schreit dies geradezu – dazu singt Kweller herzergreifend. „Ich bin“ sagte er „mit dieser Art von Musik aufgewachsen. Ich mag auch heute noch diese Musik besonders, gerade weil sie so einfach ist.“ Was letztlich wohl bedeutet, sich im besten Sinne einer Tradition zu verschreiben. Sich – und auch einem Stil – treu zu bleiben

Das neue, schlicht „Ben Kweller“ betitelte und komplett von Kweller allein eingespielte Album sitzt trotzdem zwischen vielen Stühlen, auch wenn es ganz unbedingt das Gegenteil davon will. Für diejenigen, die Kwellers Solodebüt „Sha Sha“ über Freunde oder in kleinen Plattenläden (die ja auch Freunde sind) fanden, wird es zu weich, zu gefällig, zu ausgesprochen poppig sein. „Ich wollte diesmal einen anderen Sound“ sagt Ben „ich wollte, dass es ganz großer Pop ist, wie in den 70ern, ich wollte, dass es nach Phil Spector klingt - that’s not exactly how you make it to the charts, right?“ Nein, denn gerade dieses Weiche, nicht aber Heranschmeißende ist ja das Kweller-Problem, kommerziell betrachtet. Für MTV ist Kweller zu wenig Rapper und nicht leicht bekleidet genug, während er für das erwachsene Radioprogramm, wo er theoretisch hingehören würde, nicht bekannt genug ist. Und einen Hit in der 80ern oder 90ern hatte er auch nicht – obwohl selbst das fast geklappt hätte. Get back, get back Denn Kweller, der einer musikalischen Familie entstammt, lernte mit neu beim Vater Schlagzeug und in den Folgejahren alle anderen Instrumente bei sich selbst. Mit knapp vierzehn Jahren verließ er das Elternhaus, um mit seiner Band Radish als Wunderkind durch den Indiepopzirkus gereicht zu werden. Sonderlich viel kam dabei nicht rum, eines aber doch: Spricht man mit Kweller und beobachtet, wie seine Augen dabei ein bisschen müde und arg gelassen lächeln, merkt man bald, dass er in diesen langen Jahren on the road eine schnelle Jugend hatte – und entsprechend schnell erwachsen geworden ist. Neueste Entwicklung: Ben Kweller ist seit wenigen Wochen Vater. Und damit, scheint es, geht nach der Zeit mit Radish ein weiteres Kapitel in Kwellers Leben zu Ende. Genug gerannt, genug auf dem Weg gewesen: Brooklyn, der geliebten und besungenen neuen Heimat, will Kweller auf Dauer den Rücken kehren, alle Wege scheinen zurück nach Texas zu führen, wo Frau und Kind während seiner Europatingelei bereits untergebracht sind. „Ich musste damals weg aus Texas, ich habe es wirklich nicht mehr ausgehalten. Für meine Eltern muss es verdammt schlimm gewesen sein, mich in so jungem Alter gehen zu lassen. Aber jetzt, wo ich selbst Vater bin, merke ich erst, wie viel mir an Texas liegt. Und wie toll Texas auch sein kann.“ Doch noch mehr. Das nächste Album, fabuliert Kweller weit in die Zukunft blickend, soll ein Countryalbum werden. Dann passen Musik, Wohnort und Heimat endlich vollends zusammen. Ob dann die Musik noch so mitreißend sein wird, wie während der Wanderjahre – Spekulation. Erstmal aber schön, dass es Neues von Kweller zu hören gibt. „Ben Kweller“ von Ben Kweller ist am 15. September auf Red Ink (Rough Trade) erschienen. Im November spielt Kweller in Köln und München – für das nächste Jahr ist eine umfassendere Tour geplant. Auf

kann man sich Kwellers Mini-Musik-Format „One Minute Popsong“ ansehen. Fotos: Red Ink

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