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Bedroht die UN die Freiheit im Netz?
1. Vom Telegrafen zum Internet Die „International Telecommunication Union" (ITU, deutsch: Internationale Fernmeldeunion) ist ziemlich alt. Sie wurde schon 1865 gegründet, damals unter dem Namen „International Telegraph Union“. Die ITU ist eine UN-Sonderorganisation und kümmert sich um die internationale Standardisierung und Entwicklung von Telekommunikationstechnik. Hört sich zunächst mal ziemlich dröge an, wird aber spannend, wenn man sich die aktuellen Debatten um ihre Aufgaben ansieht.
2. Die Weltkonferenz Ab kommenden Montag hält die ITU in Dubai ein fast zweiwöchiges Gipfeltreffen ab, die „World conference on International Telecommunications“ (WCIT). Solche Treffen gab es in der ITU-Geschichte schon öfters, dort werden die Regeln und Standards der Telekommunikation ausgehandelt. Die derzeitigen Regeln stammen aus einer Zeit, als diese Kommunikation noch vollkommen anders aussah – von 1988. Damals standen in den Haushalten noch Telefone mit Wählscheibe, das Internet als allgegenwärtiges und alltägliches Kommunikationsinstrument, wie wir es heute kennen, gab es noch nicht. Deshalb steht jetzt zur Debatte, ob und wie die ITU die Regulierung des Internets in ihren Aufgabenbereich integrieren soll.
3. Die Strukturfrage Bislang zeichnet sich die Struktur der Verwaltung des Netzes vor allem durch ein Merkmal aus: ihre staatliche Unstrukturiertheit. Das Netz wird nicht von staatlichen oder gar supranationalen Organen verwaltet und weiterentwickelt, sondern von verschiedenen nichtstaatlichen Akteuren, die wiederum aus Zusammenschlüssen von Einzelpersonen, Unternehmen und Organisationen aus unterschiedlichen Ländern bestehen. Würde die ITU übernehmen, würde sich das ändern. Beschlüsse über Netzstrukturen und die Zukunft der Datenautobahnen wären zukünftig Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft. Ob deren oft langwierige Entscheidungsprozesse der Geschwindigkeit der technischen Entwicklungen angemessen sind, bezweifeln viele. Befürworter der UN-Lösung argumentieren, dass die ITU für eine Internationalisierung sorgen würde. Denn die nichtstaatlichen Organisationen sind meistens in den USA ansässig und damit Interessen der dortigen Politik und Wirtschaft stärker ausgesetzt und zugetan als so mancher Internetnutzer in, sagen wir, Kenia oder Kambodscha.
4. Die peinliche Passwortpanne Ein Kolumnist des Wall Street Journals kommentierte die mögliche Übernahme der Netzgeschäfte durch die ITU mit folgenden Worten: „Das Internet von solchen Bürokraten neu verdrahten zu lassen, wäre so, als würde man einem Gorilla eine Stradivari anvertrauen.“ Man kann über die Kompetenz der ITU durchaus ins Grübeln kommen, wenn man sich zum Beispiel eine Panne ansieht, die ein Bloger jüngst aufgedeckt hat. Die ITU hatte ihr eigenes Blog mit einem Passwort gesichert, das gelinde gesagt nicht sonderlich geschickt gewählt war. Es lautete „Admin“, genauso wie der Benutzername.
5. Transparenz Schon bei den Demonstrationen gegen das Acta-Abkommen wurde immer wieder bemängelt, dass es hinter verschlossenen Türen verhandelt worden war, ohne dass die Öffentlichkeit Einsicht oder gar Einfluss auf den Verhandlungsprozess hatte. Gleiches gilt nun für die Konferenz kommende Woche. Wer dort welche Anträge einreichen will und was in den Vorbereitungen schon Zustimmung fand, war nicht öffentlich zugänglich – bis zwei US-Akademiker die Seite WCITLeaks eröffneten und dazu aufforderten, anonym die Entwürfe für die neuen Regeln einzureichen. Zum Teil ging dieser Plan auf, es gingen einige Vorschläge ein – zum Teil mit bedenklichem Inhalt.
6. Zensur und Kontrolle Staaten wie Russland, China oder Iran sind nicht gerade als Freunde des unbegrenzten Meinungsaustauschs bekannt. Auf ihrem Wunschzettel für neue ITU-Regeln stehen deshalb auch Forderungen nach Überwachung von E-Mails, beziehungsweise nach der Möglichkeit, staatliche Kontrolle auf Internetanbieter ausüben zu können.
7. Die "Sender Pays"-Regel Eine weitere fragwürdige Idee ist die „Sender Pays Rule“. Sie würde den internationalen Datenverkehr ähnlich regeln, wie es im Bereich der Telefonie geschieht: Wer anruft, zahlt, und wenn der Anruf über Landesgrenzen hinaus geht, wird der Anruf teurer. Eine solche Regel auch auf das Netz anzuwenden, würde bedeuten, seine Grenzenlosigkeit, also seinen wohl größten Vorteil, ad absurdum zu führen.
8. Icann Ein weiterer Vorschlag gäbe den Vereinten Nationen Hoheit über die Zuteilung von IP-Adressen. Bisher liegt die bei der Icann, einer privaten Non-Profit-Organisation mit Sitz in den USA. Die Icann arbeitet ihren eigenen Grundsätzenzufolge basisdemokratisch, konsensorientiert und nach dem Multi-Stakeholder-Modell. Das heißt, Regierungsvertreter sind mit im Boot, haben aber nicht allein die Kapitänsmütze auf und stellen den Steuermann. Unter dem ITU-Modell wäre wohl genau das der Fall.
9. Position der Bundesregierung Im Vorfeld der Konferenz hat sich diese Woche Wirtschaftsminister Philipp Rösler zur ITU-Regulierung geäußert. Die Bundesregierung werde sich gegen Versuche wenden, „durch Kontrollen im Internet das Netz sicherer zu machen. Das wird nicht funktionieren.“ Sein Ministerium veröffentlichte außerdem ein Positionspapier mit sechs Punkten (hier als PDF), das den Plänen zur Regulierung des Internets durch die ITU in weiten Teilen eine Absage erteilt.
10. Weitere Gegner
Die Bundesregierung ist bei weitem nicht der einzige Kritiker. Auch das EU-Parlament kritisiert die ITU-Pläne. Das Parlament, so heißt es in einem Entschließungsantrag, "vertritt die Auffassung, dass weder die ITU noch irgendein anderes einzelnes zentrales internationales Gremium als Aufsichtsstelle für die Verwaltung des Internets oder für den Internetdatenverkehr geeignet ist". In Deutschland hat sich unter anderem die Digitale Gesellschaft zur ITU geäußert und von einer Bedrohung der Freiheit des Internets gewarnt. Netzaktivisten verbreiten über eine Online-Aktion namens whatistheitu.org ein Aufklärungs- und Protest-Video, eine weitere Petition hat derzeit mehr als 36000 Unterstützer gesammelt. Und nicht zuletzt hat Google mit einer Kampagne gegen die ITU mobil gemacht — natürlich nicht aus reinem Altruismus, sondern weil eigene Interessen bedroht sind.