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Baugerüste zur Begrüßung
Warschau – „Wir werden die Fans mit Baugruben und Gerüsten begrüßen“
Łukasz Szewczyk, 25, hat vor kurzem seinen Abschluss in Finanz- und Rechungswesen in Warschau gemacht und arbeitet dort jetzt als Assistent eines Maklers:
„Ich bin großer Fußballfan und freue mich tierisch auf dieses Event. Über die Seite der UEFA habe ich es geschafft, Karten für vier Spiele zu ergattern: Ich werde bei zwei Spielen in Warschau sein, fahre außerdem mit Freunden nach Danzig und auch nach Lwiw in der Ukraine – das einzige Spiel, bei dem ich übrigens die Deutschen sehe.
Ich bin mir sicher, dass diese EM auf lange Sicht eine ausgezeichnete Sache für Warschau ist. Eine zweite Chance, sich so zu präsentieren, wird’s nicht geben. Angeblich sollen ganze Touristenmassen anreisen. Die werden dann irgendwelche Fotos schießen, die auf Facebook posten und das kann dann weitere Touristenwellen nach sich ziehen.
Polen bringt das jetzt schon was: Den Bau der Autobahn von Warschau nach Berlin, die Modernisierungen von Flughäfen und Bahnhöfen. Gerade gleicht das Land wirklich einer Baustelle. Noch vor ein paar Jahren hat man gehofft, alle Bauarbeiten bis zur EM abzuschließen – tja, das wird leider nicht klappen. Warschau wird die Fans mit Baugruben und Gerüsten begrüßen. Aber in zwei, drei Jahren wird man diese Fortschritte so richtig sehen können.
In letzter Zeit wurden die polnischen und ukrainischen Fans in ausländischen Medien oft in einem sehr schlechten Licht gezeigt. Ich glaube, da muss man aber Spiele irgendwelcher Vereine von Spielen der Nationalmannschaften unterscheiden: Die ziehen nun mal andere Fans an. Man könnte sagen: ruhigere ‚Sonntagsfans’. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu irgendwelchen größeren Reibereien in der Stadt kommt. Da werden bestimmt kleine Grüppchen betrunkener Fans sein, aber die gibt’s überall. In England oder in Österreich oder in Spanien. Das ist nichts Außergewöhnliches.
Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist das Spiel Polen gegen Russland. Angeblich sollen wirklich viele Russen nach Warschau kommen. Dieses Spiel wird am 12. Juni stattfinden und da ist irgendein Nationalfeiertag in Russland (Anm. d. Red.: Der 12. Juni ist ein russischer Feiertag: Am ‚Tag Russlands’ wird der russischen Erklärung staatlicher Souveränität nach der Auflösung der Sowjetunion am 12. Juni 1990 gedacht.). Das kann schon zu einer recht hitzigen Atmosphäre führen. Wie man weiß, waren ja die polnisch-russischen Beziehungen in der Geschichte, gelinde gesagt, schwierig.
Aber eigentlich denke ich, man sollte Politik und Sport trennen. Im Hinblick auf die Ukraine empfinde ich die Boykotte durch verschiedene Politiker als extrem zynisch. Denken wir zum Beispiel mal zurück an die Olympischen Spiele in Peking. Da gab es noch mehr Anlässe, die zu boykottieren, aber, wie wir alle wissen, macht die EU halt einen Haufen Geschäfte mit China. Mit der Ukraine gibt es solche Geschäftsbeziehungen nicht und deswegen haben so viele führende Politiker versucht, diese EM zu boykottieren. Klar, die Art, wie Julia Timoschenko behandelt wird, ist skandalös, aber die Politik sollte dieses Fußballfest nicht in Frage stellen.“
Experimentierfreudigen Kulturinteressierten legt Łukasz nahe, das untypische Forschungszentrum „Kopernik“ aufzusuchen. Zum Biertrinken empfiehlt sich der hippe Stadtteil Praga, dessen Kneipen und Clubs nur ein paar Straßenbahnstationen vom Nationalstadion entfernt sind.
Posen – „Es fehlt nur noch, dass der Rasen grün angemalt wird“
Paweł Wita, 22, studiert Kulturanthropologie in Posen und zieht in den nächsten Monaten nach Berlin:
„Im Prinzip ist der EM-Diskurs in Polen durch Euphorie gekennzeichnet. ‚Oh, mein Gott, jetzt können wir uns vor ganz Europa präsentieren’, so lautet die Erzählung in den Medien. ‚Wir und Europa’, heißt es die ganze Zeit. Als wären wir kein Teil von Europa. ‚Europa kommt zu uns und wir müssen uns zeigen’ – ich finde das ganz schön irritierend.
Wenn man sich das Ganze von unten anschaut – auf Kommunalebene – sieht das ganz anders aus: Posen musste einen Haufen Geld für den Bau des Stadions blechen. Aber eigentlich hat Posen dieses Geld nicht. Die Verschuldung Posens betrug Ende 2011 zwei Milliarden Złoty (Anm. d. Red.: Umgerechnet sind das ungefähr 455 Millionen Euro; 1 Euro entspricht derzeit 4,3944 Złoty.). Das Stadion selbst hat 750 Millionen Złoty gekostet. Und es ist einfach schlecht konstruiert: Das Gras im Stadion wächst nicht. Deshalb muss der Rasen alle drei, vier Monate ausgewechselt werden, was mit wahnsinnigen Kosten verbunden ist. Jährlich wird eine Million Złoty für den Rasenwechsel verbraten, während für die Radwege in Posen im letzten Jahr offenbar nichts ausgegeben worden ist.
Gerade noch habe ich bei Facebook gelesen, was im Moment alles in Posen gemacht wird und es fehlt eigentlich nur noch, dass der Rasen grün angemalt wird. Man reinigt Stellen, die seit vielen Jahren nicht gereinigt worden sind, unter anderem die Gleise des alten Bahnhofs. Das Kopfsteinpflaster, das seit vielen, vielen Jahren in einem schlechten Zustand war, wird ausgewechselt. Es gibt neue Straßenbahnen, aber das Gleisbett ist immer noch in einem katastrophalen Zustand. Das alles hätte man deutlich früher durchführen sollen. Jetzt hat aber der Endspurt begonnen: ‚Wir müssen das vor der EM schaffen!’ Dadurch werden viele Dinge gleichzeitig gemacht, die Stadt war im letzten Halbjahr durch gigantische Staus gelähmt. Einige Projekte können dabei gar nicht mehr bis zur EM fertig gestellt werden. Der ganze touristische Rummel wird die verbratenen Gelder auch nicht wieder in die Kassen treiben. Man hat das alles nur bis zur EM geplant. Danach kann die Welt untergehen, verstehst du? Nach der EM die Sintflut.
Aktuell fehlt es in Posen an Kohle für ganz grundlegende Investitionen: Wir reden hier von der sozialen Schere, von Krippen, von Bildung. Dabei kritisiere ich nicht den Ausbau der Autobahnen. Der war nötig. Aber diese Gelder kommen aus speziellen Strukturmitteln zum Straßenbau. Polen hat für die Organisation der EM 2012 von der Europäischen Union keinen Groschen zusätzlich bekommen. Dieser finanzielle Kraftakt der letzten Jahre nagt an den kommunalen Budgets der Austragungsorte. Warschau hatte das Glück, dass zumindest das Stadion aus staatlichen Geldern gezahlt wurde. Posen hatte dieses Glück nicht.
Wenn ich jetzt sage, dass ich nicht zufrieden bin mit der Organisation der EM 2012, dann kriege ich das Gefühl, unpatriotisch zu handeln. Aber, ganz ehrlich: Meiner Meinung nach ist diese Veranstaltung nicht das Geld wert, das da reingepumpt worden ist. Natürlich stärkt das den Status Polens in der europäischen Arena. Sicher. Aber da hat sich Polen schon auf viele andere Weisen beweisen können.“
Denjenigen, die mehr vorhaben als den Rasen in Posens Stadion zu inspizieren, empfiehlt Paweł das Café „U przyjaciół“ („Bei Freunden“) und den Kultclub „Meskalina“.
Danzig – „Alle tragen sehr schöne blaue Trainingsanzüge“
Ola Golec, 19, jobbt gerade als Sekretärin in einem Bauunternehmen und will bald nach Warschau, um dort Marketing und Public Relations zu studieren:
„Ich habe leider keine Karten für die EM gewonnen. Freiwillige EM-Helferin bin ich auch nicht, aber sehr viele meiner engen Freunde machen das. Gerade habe ich mich als Touristenführerin beworben – auf Englisch und auf Deutsch. Nun, ich dachte, dass ich das vielleicht vor der EM schaffe, weil das immer ein finanzielles Plus darstellt, aber das hat leider nicht funktioniert. Schade. Aber ich bin ein passionierter Fußballfan: Ich verfolge mit großem Interesse, was da passiert. Und ich habe noch eine Woche Zeit, Karten zu gewinnen. Also: schauen wir mal.
Die UEFA hat sich intensiv darum gekümmert, dass die EM-Helfer total gut auf das Turnier vorbereitet werden. Obwohl die EM erst in einer Woche beginnt, arbeiten die schon dort, gehen abends zusammen raus und so. Täglich haben die dort Yoga-Kurse und können für lau ins Schwimmbad, weil die UEFA das den Helfern anbietet. Außerdem tragen alle sehr schöne blaue Trainingsanzüge. Da ist es echt super.
Letzte Woche war ich sogar ein paar Mal in der PGE Arena, zusammen mit Freunden, um dort irgendwelche Akkreditierungen abzuholen. Das Stadion liegt etwas außerhalb von Danzig. Normalerweise spielt dort mein Lieblingsverein Lechia Gdańsk und es war immer sehr schwierig, da hinzukommen. Aber zur EM sind neue Gleise gelegt worden, damit man mit dem Zug hinfahren kann, und es gibt mehr Straßenbahnen. Wenn es um den Rest von Danzig geht, na, da wollten sie etwas besser vorbereitet sein: Die ganze Zeit sehe ich noch Bauarbeiter auf den Straßen. Es herrscht ein bisschen Chaos. Nichtsdestotrotz ist das ein enormer Schritt nach vorne – verglichen mit dem, was war.
Das Ganze ist sicher eine tolle Werbung für Danzig. Danzig ist eine sehr schöne Stadt und es gibt viele – wie ich sie scherzhaft nenne – „Deutschlandowie“ (Anm. d. Red.: Eine Wortneuschöpfung aus ‚Deutschland’ und dem polnischen Suffix ‚-owie’, die für ‚die Deutschen’ steht.), die die Stadt besichtigen. Heute habe ich sogar welche vor meinem Block gesehen, die sich meinen Stadtteil Zaspa angeschaut haben. Dabei ist Zaspa kommunistisch geprägt und ziemlich schrecklich. Ich schaue also heute aus dem Fenster und da ist gerade eine Führung auf Deutsch. Da denke ich mir: Mein Gott, die müssen verrückt geworden sein!
Die Meisterschaft ist bestimmt ein großer Gewinn für Polen, obwohl auch kommunale Gelder in die Vorbereitung dieser Veranstaltung geflossen sind. Aber es gibt viel finanzielle Unterstützung seitens der EU und der UEFA. Insgesamt glaube ich also, dass wir im Plus landen. Außerdem wurde das Stadion für diese EM gebaut. Wäre das nicht so, würde meine geliebte Lechia immer noch in einem hässlichen, heruntergekommenen und kleinen Stadion spielen. So haben wir jetzt, wie mir scheint, das schönste Stadion in Polen. Ich sage, dass Chaos herrscht, weil es nun mal noch Chaos gibt. Aber es bewegt sich was.
Sopot bei Nacht ist Olas Tipp, um sich nach einem emotionalen Spiel auszuruhen: Dorthin fährt man bloß eine Viertelstunde von der Danziger Stadtmitte aus und es gibt eine sehr hohe Club- und Restaurantdichte.
Text: jurek-skrobala - Bilder: privat